Stephan Kesper

Hochfrequent


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Pissnelke?«, er nahm einen tiefen Zug durch seine Zigarette und blickte Brandtner starr durch den Qualm an.

      »Hat der sich beschwert? Hat er eine Anzeige erstattet?«

      »Nein, er ist tot.«

      Einen kurzen Moment – für die Kommissare aber deutlich erkennbar – ließ der Mann seine Maske fallen und sie sahen einen Anflug von Entsetzen. Nur eine halbe Sekunde, dann hatte er sich wieder im Griff. Für Hohenstein war diese Reaktion ein klares Zeichen, dass Zamblowski nichts mit dem Tod zu tun gehabt haben konnte.

      »Der blöde Sack. Macht hier Schulden und lässt uns hängen.«

      »Wieviel?«, fragte Hohenstein.

      »Zwanzig Riesen.«

      »Wie ging das? Hatte er ein paar Mädchen und dann anschreiben lassen?«

      »Quatsch, der hat die nicht angefasst. Hat in der Poker-Runde mitgemacht. Letztes Wochenende hatte er mal keinen guten Lauf, wie sonst. Hat immer weiter verloren. Bei zwanzig in den Miesen ist er raus.«

      »Haben Sie eine Glücksspiellizenz?«, fragte Brandtner.

      Zamblowski sprang auf die Füße, »Ich sag gar nichts mehr. Wenn Sie noch was wissen wollen, fragten Sie meinen Anwalt.«

      »Schon gut«, beruhigte ihn Hohenstein und reichte ihm seine letzte Visitenkarte. »Wenn Ihnen noch etwas einfällt, rufen Sie mich bitte an.«

      Auf der Straße unten konnten sie wieder Luftholen. Die Häuser und der Asphalt strahlten noch die Hitze des Tages ab. Doch langsam wurde es kühler.

      Sie stiegen in den Wagen und Hohenstein fragte, ob Brandtner etwas Trinken gehen wollte. Doch sie lehnte ab, lud ihn im Gegenzug ein, mit zu ihr zu kommen. Er lehnte ebenfalls ab und ließ sich in der Nähe seiner Wohnung absetzen.

      Statt in das kleine Apartment zu gehen, lenkte er seine Schritte in einen nahegelegenen Biergarten. Unter den alten Kastanien würde er den Abend verbringen. Ein weiteres Mal sah er auf die Uhr: 20:58.

      Er setzte sich an einen grünen Plastiktisch, einen von der Sorte, bei der man immer im weiß gestrichenen Metallgestänge hängen blieb. Die dazu passenden Stühle waren unbequem und schmerzten in Hohensteins Rücken. Eine Kellnerin kam und er bestellte einen großen Sauergespritzen.

      Aus seiner Umhängetasche fischte er sich einen weiteren von Cox' Berichten, sah kurz hinein und steckte ihn wieder zurück in die Tasche und nahm stattdessen eine Ausgabe der FAZ heraus und überflog einige Artikel. Bei einem blieb er hängen: Eine Hackertruppe hatte diverse Investmentfirmen und Banken gehackt. Ob dies auch der SB&M geschehen könnte? Die Truppe nannte sich kryptisch »m2.corps«. Nachdem er eher abwesend noch ein oder zwei Artikel zu lesen versucht hatte, saß er einfach nur da, beobachtete die kleinen Bläschen in seinem Glas dabei, wie sie aufstiegen und dachte nach.

      Eine Weile später – der Biergarten hatte sich gefüllt – fragte ihn ein Mann, ob er sich dazu setzen könne. Hohenstein deutete stumm auf die freien Stühle.

      Der Mann war groß und gut gekleidet. Seine blonden Haare trug er etwas länger - er musste sie beim Hinsetzen aus dem Gesicht streichen. Das Hemd ließ den Blick auf seine Brust frei, ein älteres, da schon grünlich gefärbtes, Tattoo lugte hervor - aber zuwenig, um erkennbar zu sein. An einer goldenen Kette baumelte ein russisches Kreuz auf der haarlosen Haut.

      Seine Augen waren dunkelbraun und Hohenstein bemerkte dies, da der Mann ihm fest in die seinen starrte. Offensichtlich hatte er Hohensteins Musterung bemerkt.

      »Suchen Sie nach etwas Bestimmtem?«, fragte der Fremde nicht unfreundlich.

      »Entschuldigen Sie, Berufskrankheit.«

      Der Mann lächelte, »Sind Sie Kriminalbeamter?«

      »Steht das auf meiner Stirn?«

      »Nein, aber die Bezeichnung ›Berufskrankheit‹ als Entschuldigung vorzubringen, bei etwas Harmlosen wie starren ...«

      Sie kamen ins Gespräch, trotzdem auch Hohensteins Gegenüber mit Lesestoff in den Biergarten gekommen war. Eine aktuelle Prawda-Ausgabe. Bei der überlasteten Kellnerin bestellte er sich ein alkoholfreies Bier.

      »Sind Sie Spätaussiedler?«, fragte der Mann Hohenstein.

      »Nein, meine Eltern sind aus der UdSSR geflohen, als ich ein kleiner Junge war. Sie haben im Westen ihren russischen Namen abgelegt und einen deutschklingenden angenommen. Ich glaube, der wurde ihnen von einer Behörde empfohlen.«

      »Politische Flüchtlinge?«

      Hohenstein nickte nachdenklich, so genau war das von seinen Eltern nie erklärt worden.

      »Ich kenne die genauen Umstände nicht. Das Einzige, woran ich mich erinnere, ist die Flucht über einen kalten Fluss irgendwo in der Tschechoslowakei und die Angst, die ich dabei empfand. Und natürlich der Trennungsschmerz, meine Großeltern nie wieder zu sehen.«

      »Sie hatten ein inniges Verhältnis zu Ihren Großeltern?«

      Hohenstein bekam langsam ein seltsames Gefühl bei dieser Fragerei.

      »Entschuldigen Sie«, begann sein Gegenüber, »ich komme Ihnen vermutlich sehr neugierig vor. Das ist auch bei mir eine Art Berufskrankheit.«

      »Und was arbeiten Sie?«

      »Ich investiere in Menschen, so zusagen.«

      »Musik?«

      »Entertainment im weitesten Sinne. Da muss man ein Gespür dafür entwickeln, wer einem in Zukunft Probleme bereiten wird, und wer nicht.«

      »Was sagt Ihr Urteil über mich?«

      »Problemlos.«

      Hohenstein lachte laut, »Da müssten Sie mal mit meinem Vorgesetzten reden, der würde Ihnen etwas ganz anderes erzählen.«

      Hohenstein trank einen großen Schluck, dann setzte er nach: »Sie sind auch russischer Herkunft, nehme ich an?«, dabei deutete er auf die Ausgabe der Prawda.

      »Das ist korrekt. Falls Sie sich über meine Sprache wundern, meine Mutter stammte von Wolgadeutschen ab und hat darauf bestanden, dass ihre Kinder zweisprachig aufwachsen.«

      »Wie viele Kinder?«

      »Ich habe noch zwei jüngere Schwestern.«

      »Die sind auch hier?«

      »Nein, sie leben in Moskau. Beide verheiratet.«

      Inzwischen hatte Hohenstein drei große Gespritzte getrunken und die nötige Bettschwere entwickelt. Er verabschiedete sich freundlich aber bestimmt von seinem Gegenüber, der offensichtlich noch weiter reden wollte, zahlte und überließ den Fremden seiner Prawda.

      Auf der Treppe vor seiner Wohnungstür saß eine siebzehnjährige mit rot gefärbten Haaren in schwarzen Klamotten, die irgendwie zerrissen aussahen. Nach seinem Einzug hatte sie einen Schlüssel von Hohenstein bekommen, doch ihm eine Woche später gebeichtet, dass sie ihn schon verloren hatte.

      Ein Paar schwarze Springerstiefel hatte sie ausgezogen und neben sich gestellt. Ihre fast weißen Füße wirkten unfertig, glatt. Die Fingernägel hatte sie vor einiger Zeit schwarz lackiert, doch der Lack wurde brüchig und splitterte ab. Sie sah ihn mit dunklen Augen an.

      »Habt Ihr Euch wieder gestritten?«, fragte Hohenstein.

      Sie nickte, nahm die Springerstiefel in die Hand und stand auf.

      »Wird ziemlich heiß werden. Es kommt einfach kein Wind auf.«

      »Macht nichts. Ab einer bestimmten Wärme ist es egal, und alles ist durchgeschwitzt.«

      In seiner Wohnung hing die schwüle Hitze des Tages und er riss die Fenster auf. Nur das Licht der Straßenlaternen fiel ins Zimmer. Aus dem Dunkel heraus sah er die Straße entlang. Eine jener alten Alleen des Nordends mit großen Bäumen und zu vielen Autos, die wild geparkt worden waren.

      Rey, so ließ sie sich von ihren Freunden