Stephan Kesper

Hochfrequent


Скачать книгу

      Brandtner kam zurück. Sie hielt einen schwarzen Laptop in die Höhe, der in einer Beweismitteltüte steckte.

      »Den müssen wir leider mitnehmen. Gibt es hier jemanden, der das Passwort kennt?«, fragte sie.

      »Mit dem Passwort kommen Sie nicht weit. Jeder hier hat ein zusätzliches Security-Token«, dabei zog er seinen Schlüsselbund aus der Hosentasche und zeigte ihnen ein kleines Plastikgerät, auf dem ein Display und ein Knopf angebracht waren. Er drückte drauf und eine zehnstellige Zahl erschien.

      »Das ist ein Einmal-Code. Dreißig Sekunden gültig. Schaffe ich es nicht, mich in dieser Zeit anzumelden, muss ich einen neuen Code erzeugen. Man braucht den Benutzernamen, den Code und das Passwort, um sich zu authentifizieren.«

      »Verstehe. Jeder hat hier einen solchen Security ...«

      »... Token. Ja, jeder, der mit Computern arbeitet.«

      »Und dasselbe trifft auf das Rechenzentrum zu?«

      »Wie meinen Sie das?«

      »Wenn Sie sich im Rechenzentrum anmelden, dann brauchen Sie auch diese Codes?«

      »Ja, schon. Aber niemand geht in das Rechenzentrum. Genaugesagt darf da keiner rein. Nicht einmal diese Abteilung, die vollen Zugriff auf die Rechner hat – selbst James und ich können da nicht ohne triftigen Grund hinein. Konnten ...«, er ließ plötzlich den Kopf hängen.

      »Wie arbeiten Sie dann mit Ihren teuren Maschinen?«, lenkte Hohenstein ihn ab.

      »Wir brauchen nicht vor Ort zu sein, um mit ihnen zu arbeiten. Es reicht eine Leitung von hier nach da.«

      »Vielleicht kommen Ihnen unsere Fragen unsinnig vor, aber wir müssen uns ein Bild von der Arbeit des Herrn Cox machen, um zu verstehen, was geschehen ist.«

      »Kein Problem«, er sah auf seine Uhr, offensichtlich dauerte ihm das Gespräch zu lange.

      Hohenstein fragte ihn noch nach Adresse und sonstigen Informationen von Cox. Danach reichte er Taxler eine Visitenkarte und bat um einen Anruf, sollte ihm oder einem seiner Mitarbeiter etwas einfallen.

      Sie verließen mit Warndorf, der sich die ganze Zeit wortlos im Hintergrund gehalten hatte, das Büro.

      »Was Auffälliges am Schreibtisch?«, fragte Hohenstein Brandtner leise, sodass Warndorf es nicht hören konnte.

      Sie schüttelte den Kopf.

      Hohenstein blickte auf die Uhr, als sie aus dem Gebäude kamen: 11:52. Die Sonne verwandelte den Platz vor der Bank in einen Ofen mit reflektierenden Wänden. Er zog seine Jacke aus.

      »Das hat länger gedauert, als ich dachte. Etwas essen und dann in die Wohnung?«, schlug Hohenstein vor.

      »Ich habe ein schlechtes Gefühl mit dem G7-Schwachsinn. Vielleicht sollte ich zurück ins Präsidium und mich da nützlich machen. Er wird auch noch am Montag tot sein.«

      »Und Du wirst an diesem Wochenende noch genug Überstunden anhäufen. Schone Dich zwischendurch, sonst bist Du irgendwann so alt und hässlich wie ich.«

      Brandtner lachte gehässig. Sie gingen in ein chinesisches Restaurant in der Nähe. Ein kleiner, dunkler Schlauch, mit einer offenen Küche hinter der Theke am Eingang, wo Kunden ihre Bestellungen aufgaben und bezahlten. Die meisten der Leute kamen kurz herein, tauschten Geld gegen Ware und verschwanden mit weißen, unbedruckten Plastik-Tüten.

      »Was hältst Du davon?«, fragte Hohenstein seine Partnerin.

      »Schwer zu sagen, aber das meiste deutet auf einen Selbstmord hin. Allerdings haben wir noch keinen Abschiedsbrief gefunden. Vielleicht steckt der im Laptop? Möglicherweise sogar per E-Mail verschickt?«

      »Hm, ich denke, dass es am Ende genau darauf hinauslaufen wird. Irgendwas ist ihm heute Morgen über die Leber gelaufen und er springt vom Dach. Nur die fehlenden DVD's machen mich stutzig. Aber vermutlich hat ein Dummkopf vergessen, sie nachzufüllen.«

      »Käme Borell gerade recht.«

      »Pff. Der kann mich mal«, er schob sich einen Haufen gebratenen Reis in den Mund.

      Brandtner kicherte leise in sich hinein.

      »Was, wenn die DVD's nicht vergessen wurden?«

      Hohenstein trank einen Schluck Wasser und antwortete nachdenklich: »Dann haben wir ein Problem. Denn das bedeutet, dass jemand von den Sicherheitsleuten lügt.«

      »Warum? Es war doch niemand im Überwachungsraum.«

      »Glaubst Du, dass da irgendjemand einfach so reinspazieren und sich an den Geräten zu schaffen machen kann? Da müssen Schlüssel, Codes, Ausweise oder sonst was benutzt worden sein.«

      »Davon sollte es ein Protokoll geben.«

      »Das denke ich auch.«

      »Sollten wir checken«, ihr Mobiltelefon spielte plötzlich Y.M.C.A. von den Village People.

      »Brandtner«, meldete sie sich.

      »Wir sind noch die Umstände am überprüfen«, Hohenstein hörte eine Stimme am anderen Ende der Leitung, sie kratzte und keifte so laut, dass er es auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches hören konnte.

      »Schon gut, ich komme ja gleich, kein Grund ausfallend zu werden«, dann drückte sie auf den Knopf zur Beendigung des Gesprächs. Sie sah das Telefon kurz an und murmelte dann: »Der kann mich ebenfalls.«

      Nun war es an Hohenstein zu kichern. Sie aßen in Ruhe zu Ende. Dann verabschiedete sich Brandter und nahm den Dienstwagen. Hohenstein ging zur nächsten Ecke und stieg in eine U-Bahn zur anderen Main-Seite. James Cox hatte sich in Sachsenhausen einquartiert.

      Als er endlich das Haus gefunden hatte, sah er auf die Uhr: 13:21.

      Er klingelte bei »Thorens/Cox« – nichts passierte. Er nahm den Schlüsselbund, den er Cox abgenommen hatte, aus seiner Umhängetasche und probierte den ersten, der aussah, wie ein Haustürschlüssel. Er passte.

      Es gab keinen Fahrstuhl, er musste die vier Stockwerke zu Fuß gehen. Im Zweiten kam er bereits ins Schnaufen. Oben angekommen brauchte er eine Minute, um wieder Luft zu bekommen. Im Treppenhaus war es heiß und stickig. Mehrere große Fenster ließen viel Licht herein und die Sonne konnte ungehindert Thermodynamik-Experimente durchführen: Wie heiß kann ein Treppenhaus werden, bevor sich die Stufen wellen?

      Er klingelte noch einmal. Dann benutzte er denselben Schlüssel an der Wohnungstür. Sie ging sofort auf, nicht abgeschlossen.

      Vorsichtig folgte er dem Flur, der sich zu einem freizügigen Wohn- und Essbereich öffnete. Die hintere Wand bestand praktisch nur aus Fenstern, die sich über zwei Stockwerke erhoben. Eine Maisonnette Wohnung.

      Hinter den Fenstern befand sich eine Dachterrasse mit einer modernen, geraden Sitzecke und einem Gasgrill. Sie lag nur halb in der Sonne. Im Hintergrund erkannte Hohenstein über den Dächern anderer Gebäude die Frankfurter Skyline. Der Raum besaß eine seltsame geometrische Form, er musste an einer Stelle liegen, an der mehrere Dächer aneinanderstießen. An den hohen Wänden hingen bunte, abstrakte Bilder. Die dunkle Küche machte eher den Eindruck eines Kunstwerkes statt eines Arbeitsplatzes. Und die wenigen, aber mit viel Geschmack ausgesuchten Möbel gaben dem Raum ein Flair jener »Schöner-Wohnen« Beispiele, die er beim Besuch bei seiner Zahnärztin im Wartezimmer regelmäßig las. Die Wohnung zu mieten war sicher teuer, aber die Einrichtung musste ein Vermögen gekostet haben.

      »Hallo! Ist jemand hier? Kriminalpolizei.«

      Plötzlich ging über Hohenstein eine Tür auf und eine Frau in einem Bademantel kam auf die Galerie.

      »Was machen Sie hier?«, fragte sie, aufgeregt und etwas wütend.

      »Entschuldigen Sie, ich hatte zwei Mal geklingelt. Hätte ich gewusst, dass jemand hier ist, hätte ich den Schlüssel nicht benutzt.«

      »Wie kommen Sie an den Schlüssel?«, fragte sie verwirrt und kam eine Wendeltreppe herunter.