Stephan Kesper

Hochfrequent


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aus.

      »Sie trainieren Leute?«, fragte er ungläubig.

      »Ja«, sie sah ihn verwirrt an, »ist daran etwas auszusetzen?«

      »Nein, gar nicht. Nur wenn Sie reden, klingen Sie nicht wie ein ... Personal Trainer.«

      »Ich habe nach der Schule Jura studiert. Aber vor dem zweiten Staatsexamen hab ich hingeworfen. Das Referendariat in einer Kanzlei zeigte mir deutlich, dass ich mich auf dem Holzweg befunden hatte. War danach für ne Weile auf Ibiza, als Animatöse. Später hielt ich mich mit Jobs in Bars und Cafés über Wasser. Da kam ich dann auf eine Art Gesundheitstrip und blieb einfach dabei. Zurück in Deutschland hab ich zuerst in Fitnessstudios gearbeitet. Später frei als Personal Trainer. So haben James und ich uns kennengelernt«, Tränen liefen ihr wieder über die Wangen.

      »Wissen Sie eigentlich, was genau Herr Cox gemacht hat? Womit sich die Abteilung beschäftigt? Ich hatte einen Mitarbeiter gefragt, aber nichts verstanden.«

      »Das ging mir ähnlich«, sie schniefte und Hohenstein reichte ihr ein Taschentuch.

      »Danke. Er hat nicht viel über die Arbeit geredet. Meinte, dass mich das langweilen würde.«

      Hohenstein nickte, ihm gingen langsam die Fragen aus, um sie abzulenken. Übrig blieben die Fragen, die sie weiter aus der Fassung bringen würden. Er entschied sich, sie für diesen Tag in Ruhe zu lassen.

      »Frau Thorens, ich möchte Sie bitten, morgen Vormittag ins Polizeipräsidium zu kommen«, er reichte ihr eine seiner Visitenkarten. Seine Vorletzte, er musste Nachschub bestellen. »Es reicht, wenn Sie gegen zehn da sind. Ach so«, er unterbrach sich mit einem Gedanken, »arbeiten Sie morgen? Wir können das auch an Ihre Termine anpassen.«

      »Nein, das passt. Ich habe meine Trainings eher abends, außerhalb der üblichen Dienstzeiten.«

      Hohenstein überlegte kurz und schnappte sich dann den Stapel Veröffentlichungen aus der zweiten Schreibtischschublade. Er steckte sie in seine Umhängetasche, verabschiedete sich von Juliane Thorens und verließ die Wohnung gegen halb drei.

      Die nachmittägliche Hitze nahm ihm beinahe den Atem. Die Sonne brannte auf seine dunklen Haare, er fing sofort an zu schwitzen. Hohenstein musste an einer stark befahrenen Straße entlang laufen, um zum U-Bahnhof zu kommen. In den Gängen konnte er endlich wieder einfacher atmen, aber dafür waren die Wagons der Bahn so überfüllt, dass er an die Grenzen seiner latent vorhandenen Klaustrophobie stieß. Er hasste es, wenn er an Rucksäcken hängenblieb, wenn Fremde ihn berührten, sie auf seine Füße traten oder er beim Festhalten an den Stangen ihre Hände ergriff und sich entschuldigen musste.

      Je näher er dem Stadtzentrum kam, desto voller wurde die U-Bahn. Dahinter nahm es nur langsam wieder ab. Er konnte in der U3 bleiben und stieg Miquel-/Adickesallee aus. Das Präsidium befand sich direkt neben dem Ausgang Eschersheimer Landstraße. Bereits unten auf dem Bahnsteig wiesen Schilder die Richtung, für Leute, die fremd waren.

      Als Hohenstein endlich am Schreibtisch saß und eine Flasche Wasser öffnete, trank er die Hälfte in einem Zug leer. Das folgende Aufstoßen versuchte er zu tarnen und leise entweichen zu lassen.

      »Das ist ziemlich ekelhaft«, sagte Brandtner mit dem Blick auf ihren Bildschirm.

      »Entschuldige, wären Dir Ausgewachsene lieber?«

      »Trink einfach langsamer.«

      Er rülpste in wändeerschütternder Art. Von draußen kam ein »Wohl bekomms'« sowie ein »Solang es die Schneidezähne aushalten« von den Kollegen durch die offene Tür hereinkommentiert.

      Brandtner hob wieder ihre Augenbraue und tippte weiter auf der Tastatur herum.

      »Was machst Du?«

      »Ich arbeite, solltest Du auch mal versuchen.«

      »Was ist Dir denn über die Leber gelaufen?«, Hohenstein wischte sich mit der flachen Hand den Schweiß von der Stirn und versuchte, seine Körpertemperatur in akzeptable Bereiche zu senken.

      »Einsatzplanung. Das, was Borell tun sollte, aber offensichtlich keine Lust zu hat.«

      »Wann beginnt der Zirkus?«

      »Morgen ab acht Uhr werden die ersten Absperrungen aufgebaut und der Verkehr umgeleitet«, sie redete langsam und abgelenkt, während sie schrieb.

      Dann hielt sie kurz inne und warf Hohenstein eine dünne Akte herüber, um gleich wieder weiter zu tippen. Er wusste, worum es sich handelte, zu viele davon hatte er bereits gelesen.

      »Schon?«

      »Er meinte, es sei nichts los gewesen und hat die Obduktion gleich noch am Vormittag gemacht.«

      »Wie schön, dass wenigstens einer wenig zu tun hat.«

      Er sah auf seine Armbanduhr: 15:14.

      Den Bericht las er langsam und gründlich. Doch nichts deutete auf einen Täter hin. Keine Drogen im Blut, keine Wunden, die nicht dem Sturz zugeordnet werden konnten – wobei ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass wenn es solche gegeben hätte, diese sehr schwierig von Wunden des Sturzes zu unterscheiden gewesen wären. Es gab keine Spuren von Fesselungen oder Sonstigem.

      Die Hitze im Büro wurde langsam unerträglich.

      »Nataschenka, darf ich die Klimaanlage einschalten?«, sie bestand darauf, dass ein offenes Fenster genug Kühlung lieferte und war der Meinung, dass eine Klimaanlage nur zu Erkältung und Dienstausfällen führte.

      Sie brummte: »Wenn es unbedingt sein muss.«

      Er lächelte, schloss das Fenster und schnappte sich die Fernbedienung der Anlage. Kurz darauf fiel kühlschrankkalte Luft auf ihn herab und er begann die Erleichterung zu spüren. Der Sommer hatte schon einige Hitzerekorde gebrochen, doch dieses Wochenende sollte, laut Vorhersage, das Heißeste des Jahres werden. Gewitter wurden erst für Montag erwartet.

      Der Kommissar startete auf seinem Bildschirm einen Webbrowser und sah sich auf einer der Online-Nachrichtenseiten die Berichte über die Vorbereitungen auf den G7-Gipfel an. »Frankfurt im Ausnahmezustand«, titelte ein Artikel. »Stadt überfordert«, stand darin. »Von offizieller Seite wurde bekannt gegeben, dass im gesamten Innenstadtbereich mit erheblichen Behinderungen des Verkehrs gerechnet werden muss. Nicht nur aufgrund von Straßensperren, sondern auch wegen diverser, angekündigter Demonstrationen von verschiedenen Organisationen der Globalisierungsgegner.«

      Das wird ein »heißes« Wochenende, in jeder Hinsicht, dachte Hohenstein.

      In einer E-Mail an die Abteilung ließ Borell keinen Zweifel aufkommen, dass alle Mitarbeiter in den kommenden Tagen wenig zu Hause sein würden.

      Hohenstein seufzte wieder. Am Sonntag wollte er mit seinen Kindern etwas unternehmen. Das hatten sie schon lange geplant. Vielleicht könnte er es trotzdem irgendwie einrichten.

      Er sah auf das Bild neben seinem Monitor. Es hing unsymmetrisch im Rahmen, weil nicht nur die Kinder, sondern auch seine Ex-Frau abgebildet waren. Er hatte es kurz nach der Scheidung so umgeknickt, dass sie nicht mehr zu sehen war und das Foto wieder in den Rahmen gesteckt.

      Irina siebzehn und Kevin zwölf. Der Name des Jungen war ihre Idee. Er hatte auf den Namen der Tochter bestanden, seiner Großmutter zu Ehren, und so durfte seine Ex den Namen des Sohnes aussuchen. Hohenstein rief den Jungen immer Kolja. Auf dem Foto waren sie natürlich viel jünger, aber er hatte kein anderes Bild von ihnen. SIE hatte alle behalten.

      Borell riss ihn aus seinen Gedanken: »Ist die Selbstmordsache abgeschlossen?«

      »Nein, es gibt ein paar Ungereimtheiten, die ich gerne noch klären möchte, bevor ich die Sache abschließe.«

      »Was für ›Ungereimtheiten‹?«

      »Nun, es fehlen Überwachungs-DVD's genau der Teile des Gebäudes, die für diese Untersuchung von Belang wären. Die Lebensgefährtin des Toten ist der Überzeugung, dass er nicht gefährdet gewesen war und es gibt keinen Abschiedsbrief.«

      »Überzeugt mich