Stephan Kesper

Hochfrequent


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bleiben«, warf Brandtner dazwischen.

      Hohenstein machte unbeirrt weiter: »Wie kam es dazu, dass die Überwachungsmonitore unbesetzt waren?«

      »Ein Mitarbeiter hat sich krank gemeldet. Die Zeit war zu knapp, um einen Ersatzmann zu besorgen. Al-Fayed kann mit der Anlage nicht umgehen und nachts passiert hier eigentlich nie irgendetwas. Die ganze Gegend ist mit Überwachungskameras gespickt, sodass sich das zwielichtige Gesindel erst gar nicht in die Straße reintraut.«

      »Wie heißt der erkrankte Mitarbeiter?«, fragte Brandtner.

      »Marc van der Joost.«

      Brandtner sah zu Hohenstein herüber.

      »Ich würde gerne einen Blick in die Personalakte von Herrn van der Joost werfen.«

      Warndorf nickte, wenn auch sein Gesicht eine andere Antwort gab.

      »Also gut, Herr Warndorf«, machte Brandtner weiter, »Ich möchte Sie bitten, sich in der nächsten Zeit zu unserer Verfügung zu halten, falls wir weitere Fragen haben. Sollte Ihnen, oder einem Ihrer Mitarbeiter, noch etwas einfallen, kontaktieren Sie uns bitte«, dabei übergab sie Warndorf eine Visitenkarte.

      Sie standen schon auf und Brandtner drückte auf den Knopf des Fahrstuhls, als Hohenstein sich noch einmal zu Warndorf umdrehte: »Auch wenn niemand die Überwachungsanlage bedient, werden doch trotzdem Aufnahmen gemacht, oder?«

      »Sicher, die Kameras bewegen sich nur nicht, also nehmen sie immer denselben Ausschnitt auf.«

      »Können wir die sehen? Von heute Morgen, fünf Uhr dreißig?«

      Warndorf winkte und sie folgten ihm zurück zum Überwachungsraum. Er zeigte auf einen IT-Schrank mit Glasfront. Hinter dem Glas befanden sich eine große Anzahl von DVD-Laufwerken. Hohenstein schätzte sie auf über zwanzig.

      »Das sind die Langzeitspeicher. Auf denen speichern die die Kameras ihre Aufnahmen in so geringer Qualität, dass auf jede DVD zwei Tage Material passt. Mehrere Kameras teilen sich eine DVD und die Daten werden in Dateien darauf gebrannt. Nicht gerade der neueste Schrei der Technik, aber bewährt und zuverlässig. Die Firma, die das System herstellt, hat mit SB&M einen weltweiten exklusiven Vertrag geschlossen. Wir dürfen keine andere Technik einsetzen.«

      »Dann zeigen Sie uns doch mal die Lobby um fünf Uhr dreißig.«

      Stocktanz, der immer noch vor den Monitoren saß, bediente die Tastatur und klickte mit der Maus umher. Al-Fayed schien bereits gegangen zu sein.

      Nach einigen Sekunden Tastaturgeklapper und Geklicke fragte Warndorf: »Was ist los?«

      »Keine Ahnung, ich kann die Aufnahmen nicht finden«, antwortete der junge Mann vor den Monitoren. Dann stand er auf und öffnete den Schrank mit den Laufwerken. Er suchte kurz das korrekte Laufwerk und öffnete es. Eine leere Schublade kam herausgefahren.

      »Was zum ...«

      »Nichts mehr anfassen!«, rief Hohenstein.

      Die folgende viertel Stunde stand Brandtner vor dem IT-Schrank, verhinderte damit, dass jemand sich daran zu schaffen machte und Hohenstein telefonierte auf dem Gang mit seinem Vorgesetzten. Er versuchte, Borell davon zu überzeugen, einen Trupp Spurenermittler zu schicken. Er vermutete einen Mord. Doch Borell wollte davon nichts hören. Er schrie so laut in den Hörer hinein, dass seine Stimme verzerrt klang: Hohenstein solle sich nicht einbilden, dass er dadurch irgendetwas gewinnen könne. Wenn ein Napfkuchen sich von einem Haus werfe, dann wäre das sicher nicht Borells Angelegenheit, besonders dann nicht, wenn es gerade einen G7-Gipfel vorzubereiten und abzusichern galt.

      Hohenstein versuchte es noch einige Zeit weiter, doch biss auf Granit.

      Dann legte er auf und informierte Warndorf, dass er alle Laufwerke öffnen wolle und sagte zu Stocktanz: »Bitte legen Sie eine Liste der Kameras an, die auf die jeweiligen Laufwerke schreiben, wenn diese leer sind. Beginnen Sie mit dem leeren Laufwerk, das wir bereits geöffnet haben.«

      »Sagen Sie mir nur die Nummer des Laufwerks«, antwortete Stocktanz.

      Hohenstein begann die Laufwerke zu öffnen, nachdem er sich einen Gummihandschuh angezogen hatte. Es dauerte einige Zeit, doch dann ergab sich ein Bild. Es fehlten sechs DVDs.

      »Kann man die herausnehmen?«, fragte Hohenstein.

      »Klar«, antwortete Stocktanz hastig, der junge Mann lief aus unerfindlichen Gründen knall rot an, »die können im laufenden Betrieb gewechselt werden.«

      »Moment mal«, rief Warndorf dazwischen. »Sie können nicht einfach hier Sachen mitnehmen.«

      »Doch kann ich. Das sind Beweisstücke«, zu Stocktanz fügte er leise hinzu: »Nehmen Sie bitte die leeren Laufwerke vorsichtig heraus und ziehen Sie vorher die hier an.«

      Er reichte dem jungen Mann ein Paar blaue Gummihandschuhe.

      Als sie fertig waren, trug Brandtner die sechs Laufwerke zu ihrem Wagen und legte sie vorsichtig, einzeln in Beweismittelbeutel verpackt, in den Kofferraum. Dann ging sie zurück, um mit ihrem Kollegen und dem Sicherheitschef das Dach zu untersuchen.

      Mittlerweile hatte sich eine Traube aus Menschen angesammelt. Mitarbeiter und Schaulustige, die den Ort des Geschehens aus der Nähe betrachten wollten. Viele unterhielten sich aufgeregt untereinander. Andere schienen verstört.

      In der Lobby hatten sich einige Gruppen von Menschen gebildet, die sich leise unterhielten. Eine Frau tupfte mit einem Taschentuch ihre Augen trocken und versuchte dabei, ihre Schminke nicht zu verwischen.

      Der Fahrstuhl brachte sie in den 43. Stock. Warndorf musste seine Karte verwenden. Oben angekommen stiegen sie noch ein weiteres Stockwerk zu Fuß hinauf. Vom Prunk der Lobby war hier nichts mehr zu sehen. Die Korridore bestanden aus weiß gestrichenem Beton. An der Decke verliefen Rohre. Erhellt wurde alles vom grellen Neonlicht einiger Leuchtstoffröhren. Es gab keine Fenster.

      »Vorsicht, hier kann es ziemlich stark wehen.«

      Warndorf öffnete eine Stahltür. Plötzlich standen sie im prallen Sonnenschein. Nur ein leichter Wind wehte. Die Geräusche der Stadt hatten sie hinter sich gelassen. Es war beinahe friedlich.

      »Er müsste von da vorne gesprungen sein«, Warndorf zeigte mit der Hand zum Rand des Dachs.

      »Warten Sie bitte hier«, sagte Brandtner.

      »Kein Problem, ich bin kein Freund von Höhen.«

      Die Kommissare näherten sich vorsichtig der angewiesenen Stelle. Der Boden bestand aus Betonplatten. Bis zum Rand konnte Hohenstein keine Spuren erkennen. Nichts deutete darauf hin, was geschehen war. Am Rand sah er in die Tiefe hinab. Fast genau unter ihnen befanden sich die Menschenmenge und der leere Bereich in der Mitte mit dem großen Blutfleck. Der Leichnam war bereits abtransportiert worden.

      »Wenn es wirklich Mord war, hat er sich vermutlich nicht gewehrt«, sagte Brandtner. »Er wurde vielleicht überrascht?«

      »Hm, vielleicht«, Hohenstein war still geworden. »Oder er ist doch selbst gesprungen.«

      »Und die fehlenden Überwachungs-DVDs?«

      »Ein Versehen?«

      »Glaubst Du das?«

      Hohenstein zog die Mundwinkel runter und gleichzeitig die Schultern hoch. »Wer weiß?«, er drehte sich um und blickte Warndorf an: »Kommen hier viele Leute her?«

      Der schüttelte den Kopf. »Ist verboten.«

      »Verbieten die Regeln dann nicht das Öffnen der Tür?«, fragte Brandtner.

      »Für die Meisten. Cox hatte Sonderrechte – in vielem«, Warndorf bekam einen seltsamen Gesichtsausdruck, der Wut, Neid oder etwas anderes sein konnte.

      Hohenstein blickte zu den Hochhäusern der Banken. Einige größer, andere kleiner. Von einer der Straßen in Sichtweite stieg dichter, roter Qualm auf.

      »Was ist das?«, fragte er Brandtner.

      »G7 vermutlich, da