Stephan Kesper

Hochfrequent


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      »Da geht's ja richtig ab«, sagte Hohenstein.

      Brandtner nickte und ging in Richtung Tür, die wieder ins Gebäude führte. »Wir möchten uns gerne das Büro von Herrn Cox ansehen.«

      Warndorf schien seine abwehrende Haltung gegen eine wortlose Akzeptanz eingetauscht zu haben. Er öffnete die Tür mit seinem Ausweis, hielt sie offen, schloss sie wieder hinter den Kommissaren und ging zum Fahrstuhl. Im fünfunddreißigsten Stock hielt dieser an und sie stiegen aus. Der kalkweiße Beton war hier durch ein etwas wohnlicheres Ambiente ersetzt worden. Den Boden zierte ein dunkelgrauer Teppich, der die Geräusche dämpfte. Über allem hing der Geruch von zu oft geatmeter Luft und abgestandenem Kaffee, punktuell unterbrochen von Parfüm- oder Aftershavewolken, die aus den Büros entwichen, die links und rechts vom Gang lagen. Der Flur mündete in ein Großraumbüro, in dem acht Reihen von Tischen standen. Auf diesen befanden sich Wände von Monitoren, meistens vier, teilweise sechs neben- und übereinander. Viele Geräte zeigten Diagramme und blinkende Tabellen von – so vermutete Hohenstein – Börsenkursen. Auf anderen wurde nur Text oder bindfadenartig Geschriebenes angezeigt, das wie ein Zug Ameisen quer über den Bildschirm verlief.

      Seltsamerweise saß niemand vor den Monitoren. Der Raum schien verlassen, die blinkenden Informationen auf den Schirmen verstärkten nur den Eindruck.

      Am Ende des Großraumbüros, das geschätzt zwanzig Leuten Arbeitsplätze bot, lag zur linken Hand ein Glaskasten, auf den Warndorf deutete, ohne selbst hineinzugehen. Hohenstein sah an dem Büro vorbei, dahinter mochte sich eine Art Küche oder Gemeinschaftsraum befinden. Er ging zunächst dort hin, weil er Rücken von Menschen sehen konnte. Als er ankam, hörte er die Stimme eines Mannes:

      »... mehr wissen wir nicht, außer, dass James sich wohl heute Morgen vom Dach in den Tod stürzte.«

      Ein erschrockenes Einatmen kam aus den Reihen der Anwesenden.

      »Ich möchte euch bitten, soweit Ihr könnt, mit eurer Arbeit fortzufahren. Wie es weiter geht und was mit der Abteilung geschieht, wird in den nächsten Tagen entschieden werden. Ich muss euch sicher nicht sagen, dass die Abteilung erst mit James' Ein- und Aufstieg in SB&M möglich wurde.«

      Der Mann räusperte sich und schien das Brechen seiner Stimme verhindern zu wollen.

      »Wir werden einen Umschlag herumgehen lassen. Jeder der will, kann etwas zu einem Kranz beisteuern«, nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Das war's, ich habe keine weiteren Informationen.«

      Die Mitarbeiter drehten sich um und blickten erschrocken in das fremde Gesicht Hohensteins. Er wiederum sah in die verquollenen Augen einiger Frauen. Er sah Männer, die so jung schienen, dass sie sich noch nicht rasieren mussten. Und diverse von ihnen steckten in Kleidung, wie sie Skater tragen mochten, aber keine Investmentbanker.

      Die Mitarbeiter drückten sich schüchtern an Hohenstein vorbei zu ihren Arbeitsplätzen im Großraumbüro. Ohne ein Wort der Erklärung ging der Kommissar direkt auf den jungen Mann zu, der das Wort ergriffen hatte.

      »Hohenstein, Kripo Frankfurt.«

      Der Mann nickte, »Ich habe Sie schon erwartet. Taxler, Carsten Taxler«, er gab dem Kommissar die Hand und drückte sie fest.

      »Ist das österreichisch?«, fragte Brandtner.

      »Nein, der Name ist armenischer Herkunft. In Wien werde ich immer blöd angesehen, weil er dort eine andere Bedeutung hat. Ich bin der stellvertretende Abteilungsleiter«, auch dieser Mensch schien viel zu jung, um in leitender Position in einer Bank tätig zu sein. Er trug keinen Anzug, stattdessen ein T-Shirt mit buntem, unleserlichen Aufdruck, eine abgewetzte Jeans und Checkers.

      »Sie waren demnach der Stellvertreter von Herrn Cox?«

      »Das ist korrekt.«

      »Werden Sie nun seinen Posten übernehmen?«

      »Das bezweifele ich«, er lachte beinahe, »Zum einen ist es üblich, den Leiter nicht aus der Abteilung zu rekrutieren und zum anderen könnte ich nicht in James' Fußstapfen treten. Die waren mir mindestens drei Nummern zu groß.«

      »Warum nicht aus der Abteilung?«, fragte Hohenstein. Brandtner gab ihm ein Zeichen, dass sie sich in Cox Büro umsehen wollte und er nickte kurz.

      »Weil das immer böses Blut gibt. Hielte man es so, wäre die Gefahr zu groß, dass sich mehrere Leute aus der Abteilung Chancen auf den Posten ausrechnen. Nur einer kann es werden und sofort beginnen die Grabenkriege zwischen denen, die leer ausgingen und dem neuen Leiter.«

      »Verstehe. Was macht Ihre Abteilung?«

      »Wir sind für das High-Frequency-Trading von SB&M zuständig.«

      »Für was?«

      »Den Hochfrequenzhandel. Wir programmieren Computer so, dass sie eigenständig mit den verschiedenen Handelsplattformen der Börsen kommunizieren, Aufträge absetzen und stornieren können. Dies geschieht in aller Regel in Bruchteilen von Sekunden – hochfrequent eben.«

      »Das bedeutet, Ihre Mitarbeiter sind keine Banker?«

      »Korrekt, die meisten sind Informatiker, diverse Mathematiker, ein Physiker und ein Biologe.«

      »Und wie kommt da das Fachwissen der Banker hinzu? Oder brauchen Sie das nicht?«

      »Das steuern die Kollegen vorne in den Einzelbüros bei. Sie verwenden die von den Programmierern erzeugte Software, um Trends und Gegentrends zu bewerten und der Handelsplattform eine entsprechende Richtung vorzugeben. Der Rest geschieht dann automatisch. Das Ganze ist natürlich sehr viel komplizierter, ich gebe Ihnen hier nur den groben Überblick.«

      »Schon klar«, Hohenstein blickte nachdenklich auf die Reihen von Mitarbeitern im Großraumbüro, »schon klar«. War das die Zukunft? Investmentbanking wurde von einer Horde Programmierer erledigt?

      »Was für ein Landsmann war der verstorbene Herr Cox?«

      »Amerikaner, soviel ich weiß. Aber außer einem sehr leichten Akzent war davon nichts zu bemerken. Er sprach ausgezeichnet Deutsch.«

      »Hat er schon immer hier gearbeitet? Oder war er vorher in Amerika tätig?«

      »Er war in der Zentrale, bevor diese Abteilung aufgebaut wurde. Er kam herüber mit dem Auftrag, den Hochfrequenzhandel in Europa für die SB&M aufzubauen.«

      »Eine ziemlich große Aufgabe für einen so jungen Mann wie den Herrn Cox?«

      »Absolut. Aber er war außergewöhnlich. Sein Verständnis der Materie: Überragend. Sein Durchsetzungswille und sein Gespür für die Mitarbeiter: Unvergleichlich. So einen wird die Firma nicht noch einmal finden.«

      »Aha«, Hohenstein waren die jungen Genies immer etwas suspekt.

      »Wo befindet sich die Zentrale?«

      »An der Wallstreet«, als ob es das Natürlichste der Welt wäre: »New York.«

      »Kommen wir zu den Aufgaben von Herrn Cox zurück. Was genau machte er?«

      »Er hatte die Leitung der Abteilung inne. Das bedeutet, er musste die administrativen Dinge erledigen, für die er Hilfe von der Sekretärin in Anspruch nahm. Und natürlich ließ er es sich nicht nehmen, in der Forschung mit dabei zu sein.«

      »Forschung?«, Hohensteins Augenbrauen hoben sich.

      »Was ist daran so erstaunlich?«

      »Sie sind Banker. So wie ich es verstanden habe, kaufen und verkaufen Sie Aktien?«

      »Ah«, kam als Antwort. Taxler überlegte kurz und setzte die Unterhaltung auf null zurück.

      »Wir handeln nicht einfach nur mit Aktien und Derivaten. Im Gegenteil, wir wollen uns da raushalten. Das, was wir anstreben, ist eine Handelsplattform zu entwickeln, die selbstständig den Handel übernimmt. Die beobachtet, Trends entdeckt und autonom nutzt.«

      »Und das machen Sie mit diesen ganzen Gerätschaften hier?«

      In dem Moment musste