Liz Klindworth

Solo mit Buddha


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Hemmungen bewusst im Hintergrund bewegt, fühlte mich nach all den heimlichen Abenden mit der Musik vom CD-Player als geübter Tourneehase und bahnte mir tänzelnd den Weg zum Bühnengraben, als wäre es der Altar eines anbetungswürdigen Popgottes.

      Ein leichtes Spiel, als Youngsters wurde mir und meiner allerliebsten Sarah der Weg bis direkt vor die Bühne freigegeben. Offensichtlich genossen auch die Oldies es, dass wir uns hier lustvoll dem Rhythmus ihrer besten Jahre hingaben, was auch ihnen den lang ersehnten Hauch von jugendlichem Leichtsinn verlieh.

      Selbstvergessen tanzte ich vor der Bühne, als mich der Blick von Ray traf. Er kam mit seiner Gitarre zum Bühnenrand, gemeinsam fanden wir eine Choreografie und nichts konnte mich mehr halten. Seinen herausfordernden Blick konnte ich vor verlegener Freude kaum ertragen. Von diesem Moment an war es mein erklärtes, aber unausgesprochenes Ziel. Ich wollte Ray.

      Als Zielkoordinaten dienten noch immer nur sehr einseitig interpretierte Spekulationen aufgrund Informationen der Fanseiten, den von mir ausgewerteten Fotos („oh, hier wirkt er aber sehr glücklich mit seinen Tönen...“) oder den vermeintlich vielsagenden Titeln seiner Solo-CD.

      Zwei Tage nach dem Konzertende schwelgte ich noch immer in dem bedrohlichen Gefühl, vielleicht doch eine Chance verpasst zu haben.

      Da rief Sarah an: „ Überraschung!! Die Karten für das Konzert in Hamburg habe ich uns auch noch besorgt!“

      Mein Kreischen vor Begeisterung und Dankbarkeit kannte keine Grenzen. Es war der Beginn einer kleinen intimen Fangemeinde, der kein Konzert zu weit war.

      Wann immer wir die Band live erlebten, der Absturz danach war für mich am schlimmsten. Das schwarze Loch, die einsame Stille eines sterilen Hotelzimmers, wie Ray es später nannte. Nun gut, es war um mich herum weder still noch einsam, Sarah war ja bei mir, aber gelitten habe ich sehr. Um einen schonenden Übergang in die Normalität für meine überdrehte Psyche zu sichern, freundeten wir uns bei den nachfolgenden Konzerten in den Pausen am unvermeidlich Fischbrötchen-Stand mit den hemmungslosen und äußerst trinkfesten Hardcore-Fans an. Ähnlich einem Alkoholiker, dessen Saufdruck sich dem sozialen Abstieg hemmungslos hingibt. Hauptsache, das Fass läuft ...

      Verwöhnt von der allseitigen Aufmerksamkeit der bisherigen norddeutschen Konzerte, schraubten sich meine Erwartungen in Hamburg schier in unermessliche Höhen. Allerdings war es nicht ich, sondern Sarah, die während der Show mit dem Bassisten Jan flirtete und sich mit ihm nach dem letzten Song per Handzeichen am Tourbus verabredete.

      Bis ich begriff, dass ein Traum gerade wahr zu werden schien, beobachtete ich nur noch, wie der Bassist Ray etwas zurief. Ein durchaus unverhofft menschliches Zeichen – es gibt sie also wirklich.

      Sie existieren, sie sind Menschen.

      Nie hätte ich geahnt, dass es einen mir tatsächlich unbekannten geheimen Weg zum Tourbus gab, den bereits ganze Fangruppen vor uns anpeilten. Ein wenig peinlich war es uns schon. Verschwitzt vom Tanzen, Sektfahne inclusive, inmitten von juchzenden Fans zu stehen, die mit ihren aktuellen Programmheften und CDs wild in der Luft wedelten, um Autogramme zu erzwingen.

      Wenn wir eines nicht wollten, dann aussehen wie Groupies. Wir waren keine Groupies. Ganz ehrlich. Schließlich wussten wir die Kunst eines jeden Einzelnen von der Band zu schätzen. Wir waren gerne bereit, uns mit ihren Biografien auseinanderzusetzen und an ihrem Leben direkt aus den Fanmagazinen teilzuhaben. Aber, es vor ihnen durchblicken zu lassen, das lag uns meilenweit fern. Dummerweise kamen diese Magazine größtenteils aus Holland. Wir verstanden kein Holländisch, aber wir fühlten ganz ergriffen, was sie uns mit ihren Bildern sagen wollten.

      Während sich die Menge noch immer am Künstlerausgang tummelte, kam Jan, der Bassist, plötzlich und ganz verstohlen hinter dem Bus hervor. Zum ersten Mal musste ich feststellen, dass die Musiker im Original offensichtlich nicht ganz die erhoffte Körpergröße hatten, die der Blick aus dem Bühnengraben erhoffen lässt. Wir versteckten uns mit ihm zusammen zwischen den Tourbussen.

      Ob wir noch Lust hätten, mit ins Hotel zu kommen. Ich wollte gerade befreit von allen Hemmungen „Jaaa!!“ schreien, mit den Fäusten in der Luft trommeln, als Sarah souverän ablehnte.

      „Danke, ganz lieb, aber wir sind keine Groupies. Ihr ward echt super, aber ihr seid jetzt sicher auch froh, wieder unter Euch zu sein.“

      Mein Verstand setzte aus. Wieso sagt sie das, sie will es doch auch?! Jan allerdings war nicht böse, nickte nur nachdenklich und sagte dann:

      "Okay, das kann ich gut verstehen, obwohl es so echt nicht wäre. Aber wartet mal eben. Ich hole mir nur mal eben meine Jacke aus dem Bus.“

      Es waren trotz 23 Uhr noch geschätzte 21 Grad, wozu eine Jacke? Mein Gedankengang war rückblickend betrachtet gar nicht so abwegig. Zwar kam Jan mit seiner Jacke zurück, aber heimlich hatte er Ray informiert, dass wir da seien.

      Mit einer Dose Bier in der Hand kam plötzlich auch Ray auf uns zu. Etwas unbeholfen bot er uns einen Schluck aus seinem Dosenbier an, was wir mit dem höflichen Hinweis Weißweintrinker zu sein, ablehnten. Kaum da war er schon wieder verschwunden, um uns mit Pappbechern und einer Flasche Weißwein zu überraschen. Während der Unterhaltung, was sie denn nach der Tour so machen, schaute ich mir Ray verstohlen etwas genauer an.

      Tweedjacke, Jeans, Brille, nicht gerade das zu erwartende Erscheinungsbild eines Rockstars.

      Aber jeder Traum hat seine Grundlage, auf dem ich gerne und kritiklos aufbaue. Ich war schnell bereit einzusehen, dass ich ja eigentlich auch gar nichts mehr mit Rockmusik zu tun hatte. Fühlte mich gereift, wollte mich den üblichen Klischees nicht mehr anpassen ... mal ehrlich, es hat doch auch verdammt viel Stil, wenn ein ehemaliger Rockstar bereit ist, sich dem Ernst des Lebens zu stellen – so, wie ich eigentlich ja auch – und seine Innerstes nicht mehr durch ein geradezu peinliches Äußeres demonstrieren muss. Vielmehr, ach was, viel spannender, er verweigert den Einblick in seine Rockseele durch spießige Kleidung. Wow, mal wieder hatte ich in Ray meinen alten Helden erkannt.

      Spätestens in dem Moment beschloss ich, auch nicht länger ein Rockgroupie zu sein. Viel mehr war mir an meiner Darstellung als gereifte Frau gelegen, die den musikalischen Hauch der Vergangenheit durchaus anerkennend und stilvoll mit dem heutigen Dasein zu verbinden weiß.

      Aber dennoch hatte Rays Erscheinung Charme. Irgendwo zwischen britisch und hanseatisch, angekommen in einer Welt, deren Glamour er genau wie ich längst durchschaut hatte. Ich fühlte Einigkeit. Noch viel mehr als Einigkeit erkannte ich nicht nur, als er seinen Wohnsitz in Hamburg erwähnte, sondern auch noch vom Singledasein nach seiner Scheidung sprach. Ach. Single? Ja, dann...

      Irgendwann fing es an zu nieseln und wir verabschiedeten uns in aller Unaufdringlichkeit mit dem großzügigen Austausch unserer E-Mail-Adressen und Rufnummern. Weinselig stolperte ich mit Sarah nach Hause. Da der Schlaf weit entfernt von mir war, machte ich wehmütig, aber nicht ganz hoffnungslos Pläne.

      Schon am nächsten Morgen schickte ich Ray eine Mail, in der ich mich artig für den Wein bedankte und ihm viel Erfolg für den Rest der Tour wünschte. Was hätte ich ihm nicht noch alles schreiben können, geschweige denn anvertrauen und beichten wollen?! Woher auch ich immer die Disziplin der Contenance nahm, es muss ein ziemlich lichter Moment gewesen sein.

      Die Antwort kam bereits einige Stunden später. Ob ich Lust hätte, dass wir uns nach der Tour einmal treffen. Klar, ich hatte nicht nur Lust, ich hatte eine ganz klare Absicht.

      Die Tour war eine Woche später beendet, meine Geduld schon einige Tage zuvor.

      Um nicht doch noch in Vergessenheit zu geraten,

      schrieb ich ihm eine belanglose Mail, dass ich gerade bei mir am See sitze und seine Musik höre.

      Wie banal ... wie viele Musiker bekommen wohl täglich Hunderte von Mails, in denen die Mädels beschreiben, wo und unter welchen romantischen oder sentimentalen Umständen sie gerade seine Musik hören. Und nicht zuletzt von ihm träumen.

      Von Träumen erwähnte ich nichts. Immerhin hatte ich längst beschlossen, dass meine Träume nicht erwähnens-, sondern lebenswert sein sollten.

      Rückblickend stellt sich mir heute