dass weiß ich. Möchten Sie auch einen Kaffee, Professor?« Sie schwenkte einladend ihre Tasse. »Ganz frisch. Habe ihn gerade erst gekocht.«
Lamondt nickte, nahm sich eine Tasse und ließ sich von ihr einschenken.
»Wie war es in Durness?«, erkundigte sie sich. »Sie sagten am Telefon, Sie wären mit den Ergebnissen sehr zufrieden.«
»Ich muss zugeben, die Tage in Durness waren recht aufreibend. Aber es war klasse. Es steht zu vermuten, dass die alte Kultstätte deutlich älter als viertausend Jahre ist. Sollte das stimmen, wäre es eine Sensation ersten Ranges und würde so einige alten Theorien buchstäblich über den Haufen werfen.« Er machte einen durchweg zufriedenen Eindruck, nippte am Kaffee und sah sie mit müden Augen an. »Jetzt hatte ich eigentlich auf eine kleine Auszeit gehofft. Ein paar Tage der Ruhe hätten mir sicher gut getan, aber, wie das im Leben so ist, … ein frommer Wunsch.«
»Warum?«, wollte sie wissen und fügte mitfühlend hinzu: »Sie sehen müde aus, Professor. Nehmen Sie sich doch ein paar Tage frei. Die haben Sie sich verdient.«
»Schon möglich, … geht aber nicht.«
»Ach, Quatsch!«, entgegnete sie forsch. »So was geht immer!«
»Diesmal leider nicht. Aus Athen kam eine Einladung zu einem Archäologenkongress und unser Dekan erwartet von mir, dass ich daran teilnehme.« Er machte ein unzufriedenes Gesicht. »Jammern hilft da nichts. Mein Flug ist schon gebucht. Gleich morgen in der Früh geht es von Edinburgh-Airport mit Easy-Jet nonstop nach Athen. Billigflug, aber zumindest kein Umsteigen. Hoffe, ich kann in den gut vier Flugstunden etwas schlafen.« Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel. »Jake und Clark werden wohl ebenfalls begeistert sein, die fliegen nämlich mit.« Er sah sie forschend an. »Du wirst die Stellung solange mit Robert allein halten müssen, Lauren. Robert wird den Bericht in den nächsten Tagen sicher fertiggestellt haben. Ich bitte dich, ihn genau durchzulesen und die einzelnen Fundstücke mit ihm zu katalogisieren.«
»Kein Problem, Professor«, versprach sie lächelnd.
Lamondt griff in seine alte abgewetzte Ledertasche, holte einen verhüllten Gegenstand heraus und legte ihn sorgsam auf ihrem Schreibtisch ab.
»Darin ist eine Kristallkugel«, erklärte er ihr, auf ihren neugierigen Blick hin. »Robert hat sie am letzten Tag noch in einem ansonst leeren Grab gefunden. Ich denke, sie wird uns wohl die größte Nuss zu knacken geben. Lege sie bitte zu den anderen Fundstücken.«
Er schwieg und es schien, als denke er über etwas nach.
Sie erschrak bei seinem Anblick.
Mein Gott, ging es ihr durch den Kopf, wie müde und erschöpft er aussieht. Andererseits kennt er ja auch nur noch seine Arbeit, ist förmlich mit ihr verheiratet. Vermutlich bekämpft er damit die Trauer und Einsamkeit, seit seine Frau verstorben ist, … und Kinder, die sind ihm ja versagt geblieben.
»Sollten Fragen auftauchen, dann wende dich an Robert«, unterbrach er ihre abschweifenden Gedanken. »Mir bleibt nicht viel Zeit. Es gibt noch einige Dinge vor der Abreise zu erledigen.« Er trank seinen Kaffee aus, stellte die Tasse beiseite und schenkte ihr ein Lächeln. »Wird schon, … und im Übrigen bin ich ja in fünf Tagen wieder zurück.«
Er griff nach seiner Aktentasche, sah ihr mit einem warmen Blick ins Gesicht und ging hinaus.
Kapitel 3
D
etective Chief Inspector Blake hatte seine Unterlagen vor sich auf dem Pult ausgebreitet, während sich der Hörsaal langsam, bis auf die letzte Reihe, gefüllt hatte. Inzwischen hatten die meisten Studenten ihren Platz in den Sitzreihen eingenommen und Ruhe kehrte ein. Aufmerksam blickten sie zu ihm herab. Er und McGinnis waren für eine Vorlesungsreihe nach Edinburgh kommandiert worden.
»Mir ist bewusst, dass aus der gestrigen Vorlesung noch einige interessante Fragen unbeantwortet geblieben sind. Aber sehen Sie es mir nach, wenn ich diese hinten anstellen möchte, da ich sonst kaum in der Lage sein werden den heutigen Zeitplan auch nur ansatzweise einzuhalten.«
»Fangen Sie nur an, Chief Inspector«, meinte ein junger Mann mit rötlichem Haar aus der dritten Reihe keck.
»Herzlichen Dank für Ihre Erlaubnis«, gab Blake spöttisch zurück, wurde dann aber sofort wieder ernst. »Ich habe gestern hin und wieder auf die vielfältigen Möglichkeiten der Leichenliegezeitbestimmung Bezug genommen. Ich denke, zu Beginn bietet sich eine kleine Zusammenfassung an.« Er warf McGinnis, der dem Vortrag in der ersten Reihe folgte, selbst noch nie einen Vortrag gehalten hatte, und entsprechend nervös war, da er nach ihm dran war, einen aufmunternden Blick zu. »Die Möglichkeiten über die sogenannten supravitalen Zeichen hatte ich erwähnt. Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass es sich um Erfahrungswerte handelt, die durch äußere Einflüsse, sprich Temperatur, stark variieren können.« Blake bediente seinen Laserpointer und ließ eine Powerpointgrafik auf der Leinwand hinter sich erscheinen. »Lassen Sie uns mit den Totenflecken beginnen. Sie beginnen nach etwa zwanzig bis dreißig Minuten am Hals und an den Ohrläppchen und konfluieren über die nächsten dreißig bis zu einhundertzwanzig Minuten. Komplett verlaufen sind sie nach sechs bis zwölf Stunden hpm, also hora post mortem, … sprich nach Todeseintritt. Zehn bis zwanzig Stunden nach dem Tod ist noch möglich sie durch Fingerdruck wegzudrücken.« Er löste sich vom Pult und machte ein paar Schritte zur Seite. »Da wir in der Kriminalistik auch vom Umlagern einer Leiche durch den Täter ausgehen müssen, ist es wichtig zu wissen, dass die grauvioletten Flecken infolge Blutentmischung in den ersten sechs Stunden noch wandern können, und erst danach nicht mehr wegdrückbar sind.« Er betätigte einen Knopf auf seinem Pointer und zeigte den Studierenden ein entsprechendes Bild aus der Pathologie. »Nach ungefähr zwei bis vier Stunden beginnt die Totenstarre am Kiefergelenk. Sechs bis acht Stunden später ist sie komplett ausgebildet. Auch hier gilt es wieder genau auf die Temperatureinflüsse zu achten. Die Ausbildung geschieht unter Hitze schneller, bei Kälte ist sie entsprechend langsamer. Und auch die Lösung der Starre ist sehr stark von der Temperatur abhängig. Zumeist beginnt das nach zwei bis drei Tagen – bis zur vollständigen Rückbildung vergehen in der Regel drei bis fünf Tage …«
»Ich habe gelesen, dass es auch deutlich länger dauern kann«, warf der junge Rotschopf unterbrechend ein.
»Darf ich wissen, wie Sie heißen?«
»Westfield. Thomas Westfield.«
»Damit haben Sie durchaus Recht, Mr. Westfield, auch wenn ich unaufgeforderte Einwürfe nicht schätze«, entgegnete Blake kühl. »Aber ... «, er sah in die Runde seiner Zuhörerschaft, »... um Mr. Westfields Frage zu beantworten: Bei sehr tiefer Umgebungstemperatur kann es bis zu drei Wochen dauern.« Er machte eine kurze Pause, wechselte die Präsentationfolie und sprach weiter: »Kommen wir nun zur elektrischen Erregbarkeit der mimischen Muskulatur. Diese ist ein bis sechs Stunden hpm als ipsilateral fortgeleitete Kontraktion zu erkennen, danach bis zur achten Stunde nur noch elektrodennah ...«
Er war jetzt voll und ganz in seinem Element. Es folgten ausführliche Erklärungen zum Zsako-Muskelphänomen, zur pharmakologischen Reizung der glatten Iris-Muskulatur, zur Abnahme der Körperkerntemperatur und über das Durchschlagen des Venennetzes.
»Wie den meisten von Ihnen sicher bereits bekannt ist, gibt uns auch der Füllstand der Harnblase einen gewissen Anhalt zum Todeseintritt. Allgemein können Sie sich merken, dass eine leere Harnblase auf Tod in der ersten, eine volle Harnblase hingegen auf Tod in der zweiten Nachthälfte schließen lässt. Wie der Füllstand der Blase gibt uns auch der Magen zahlreiche Aufschlüsse.« Die Powerpointfolie zeigte jetzt ein entsprechendes Obduktionsfoto. »In diesem Fall ist es natürlich sehr hilfreich, wenn der Zeitpunkt der letzten Nahrungsaufnahme bekannt ist, da man bei leichten Mahlzeiten von einer durchschnittlichen Verweildauer von etwa neunzig Minuten ausgehen kann. Wie sie ...« Blake warf eine neue Folie an die Wand. »... sehen, sind es gut drei Stunden bei durchschnittlicher