Kraft, um ihm zu entrinnen.
Aber auch dieser letzte Versuch scheiterte. Unter dem zwingenden Blick der roten Augen krampfte sich sein Inneres in verzweifelter Angst zusammen, und je mehr er sich abmühte, seine Glieder von den unheimlichen Fesseln zu befreien, umso stärker hatte er das Gefühl, dass sie sich noch enger und drückender um ihn legten. Seine Gegenwehr nahm ab. Für einen kurzen Augenblick schoss ihm der Vergleich mit einer Fliege durch den Kopf, die sich im klebrigen Netz einer Riesenspinne verfangen hatte, zappelte und spürte, wie die Kraft nachließ. Entsetzt spürte er, dass jeder Widerstand vergebens war. Kaum hatte er diesen Gedanken zu Ende gebracht, vernahm er eine sonore, spöttische Stimme.
Sie kamen nicht von außen.
Sie ertönte tief aus ihm selbst heraus!
»Du, der du dich Robert McIntire nennst, hast mich aus meinem unterirdischen Gefängnis befreit. Du hast mich zurück ans Licht geholt!«, dröhnte die Stimme. »Endlich! Nach all der langen Zeit! Über viertausend Jahre habe ich, deiner Zeitrechnung nach, in der Finsternis zubringen müssen.«
McIntire vernahm wie die Stimmlage von Hass und Wut zu triumphierender Freude wechselte. In den grauenvollen Augen, die seinen Blick immer noch gefangen hielten, glühte es kurz auf.
»Damals hat man es mir verwehrt«, fuhr die unheimliche Stimme fort, »doch diesmal werde ich es erreichen. Ich werde die kostbarste Kraft des Universums für mein Vorhaben verwenden, eure menschliche Lebensenergie! Mit dieser Hilfe werde ich Geschöpfe schaffen, wie sie eure erbärmliche Welt bis heute noch nicht gekannt hat!« Die körperlose Stimme lachte tief und grausam, bevor sie fortfuhr: »Weil du mich befreit hast, sollst du erfahren, was ich plane, Robert McIntire. Ich werde Wesen erschaffen, die wie Menschen aussehen, aber sie werden meines Geistes sein! Ich werde die in mir gespeicherte Kraft umformen und zu neuer Materie verdichten.« Wieder lachte die teuflische Stimme. »Ihr dummen Menschen habt ja bis heute noch nicht gelernt, dass der sich seiner Kraft bewusste Geist Materie schaffen und zu formen vermag. Diese Geschöpfe werden meine Diener sein. Ihre Zahl wird wachsen, sie werden Legion sein, und es wird nicht lange dauern, bis der Zeitpunkt erreicht ist, der zur endgültigen Errichtung meiner Weltherrschaft führen wird.«
Die gebieterische Stimme schwieg.
Die Augen McIntires waren immer noch starr auf das Zentrum des Kristalls gerichtet, das von dem dämonischen Augenpaar beherrscht wurde. Er war kaum noch in der Lage verstandesmäßig zu denken. Die magische Kraft des Kristalls hatte seinen Willen vollends gebrochen. Zunehmend wurde es still in ihm, und eine überwältigende Müdigkeit nahm von seinem Körper Besitz. Ohne dass es ihm bewusst wurde, verdrehten sich seine Augäpfel, bis nur noch das Weiße zu sehen war.
Wie aufgeschreckte Vögel flatterten seine Augenlider noch für einen kurzen Moment, dann kamen auch sie zur Ruhe. Er spürte den leuchtenden Strahl nicht mehr, der wie ein Blitz aus dem Kristall herausschoss und sich an seine Schläfe heftete. Nur sein Unterbewusstsein registrierte noch die zunehmende Dunkelheit, die schließlich zur völligen Schwärze wurde.
Kapitel 7
D
rei Tage nach Dr. Robert McIntires rätselhaften Tod wurde auch der Hausmeister des Instituts, der alte Tyrell Hawthorne, von einer Nachbarin, die für den eingefleischten Junggesellen einmal wöchentlich die Einkäufe erledigte und sich mit der Zeit mit ihm angefreundet hatte, ebenfalls tot aufgefunden. Auch sein mysteriöser Tod, brachte mehr Fragen als Antworten mit sich.
Prof. Lamondt war inzwischen mit seinen beiden Assistenten aus Athen nach Edinburgh zurückgekehrt. Sie waren tief erschüttert über den Tod ihres Kollegen, und besorgt über Lauren Pritchards Zustand, die sie im Krankenhaus besuchten, ohne ihr jedoch etwas von dem plötzlichen Ableben McIntires zu erzählen. Für die Ärzte war es von großer Bedeutung, ihrer Patientin jede Aufregung zu ersparen.
Die junge, sonst vor Lebenslust sprühende Frau war noch sehr schwach und erschien ihnen auf eine sonderbare Weise verstört. Als Lamondt mit dem behandelnden Arzt das Gespräch suchte, erntete er auf seine Fragen nur ein resigniertes Schulterzucken.
»Wie ich schon Mrs. Pritchard sagte, stehen wir ärztlicherseits vor einem Rätsel. Als Ihre Mitarbeiterin eingeliefert wurde, hatte sie bereits die Hälfte ihres Blutvolumens verloren. Nur wenige Minuten später und sie wäre verstorben. Was uns verwundert, und wofür wir keinerlei Erklärung haben, ist der Umstand, dass weder äußere noch innere Verletzungen vorlagen.« Ratlos schüttelte der Mediziner den Kopf.
Nachdem die Leiche ihres Kollegen endlich freigegeben worden war, wurde er auf dem ›Craigmillar Castle Park Cemetery‹ beigesetzt. Die Familie hatte Prof. Lamondt gebeten, die Trauerrede zu halten. Schweren Herzens hatte er diese Aufgabe übernommen.
»Meine werten Damen und Herren«, Lamondt sah von seinem Pult aus in die Runde, »wir sind heute an diesem Ort und zu dieser Zeit zusammengekommen, um von Dr. Robert McIntire endgültig Abschied zu nehmen. Vor wenigen Tagen ist er im Alter von 36 Jahren, unter seltsamen, mysteriösen Umständen, von uns gegangen.
Es heißt, du sollst dir kein Bildnis machen. Dies gilt nicht nur für Gott. Ist es nicht bemerkenswert, dass wir gerade von dem Menschen, den wir lieben, als Kollegen und Freund schätzen, am wenigsten darüber aussagen können, wie er ist?
Wir lieben und schätzen ihn einfach. Eben darin besteht ja die Liebe, das Wunderbare an der Liebe, dass sie uns in der Schwebe der Lebendigen hält, in der Bereitschaft, einem Menschen zu folgen, in allen seinen möglichen Entfaltungen.
Wir wissen, dass jeder Mensch, wenn man ihn liebt, sich wie verwandt fühlt, wie entfaltet, und dass auch dem Liebenden sich alles entfaltet, das Nächste, das lange Bekannte. Vieles sieht er auch zum ersten Male. Die Liebe befreit es aus jedem Bildnis. Das ist das Erregende, das Abenteuerliche, das eigentlich Spannende, dass wir mit den Menschen, die wir lieben, nicht fertig werden, weil wir sie lieben, solange sie leben.« Seine Stimme stockte ein wenig, als er wieder von seinem Blatt, vor sich auf dem Pult, aufsah. »Sehr verehrte, liebe Familie McIntire, liebe Trauergemeinde! Das Unfassbare erfassen zu wollen, das Unbegreifliche, jetzt begreifen zu müssen, verlangt, den Tod Roberts anzusagen. Ja, er ist tot. Er lebt nicht mehr. Eine uns unbegreifliche Krankheit hat ihn uns allen genommen. Unerwartet ist sie eingetroffen und hat in seinem Dahinscheiden ein endgültiges Ende gefunden.
Ich muss das aussprechen, auch wenn es in dieser Nüchternheit rücksichtslos erscheint, denn es ist doch notwendig … Die Not wendend! … Für uns alle kommt es darauf an, seinen Tod zu realisieren. Seinen Tod nicht nur hinzunehmen, sondern schließlich auch anzunehmen. Ihn zu akzeptieren, zu ihm ja sagen zu lernen. Das zu lernen, das tun zu können, beansprucht Raum. Dazu bedarf es der Zeit. Das wird dauern.« Er machte eine kurze rhetorische Pause, und man merkte ihm an, wie schwer es ihm fiel diese Rede zu halten. »Da Ja zu sagen zu seinem Leben, schließt nun einmal auch das Ja zu seinem Sterben, zu seinem Tod ein. Der Tod, den ich Ihnen ansage, dessenthalben Sie an diesem Ort und zu dieser Stunde zusammengekommen sind, erscheint Ihnen am Ende doch erträglicher, sinnvoller und versöhnlicher, als die Ausweglosigkeit eines langen Leidens, welches ihm sicher zuteilgeworden wäre.
Wohl bemerkt, … das Ende erscheint so, weil wir nur die eine Alternative zum Tod kennen: Das Leben! Auf Roberts Leben zurückzuschauen, auf den, dessen Gestalt und Stimme Ihnen allen noch so gegenwärtig ist, geschieht zu früh, viel zu früh, muss aber geschehen, ist ebenfalls notwendig.
Dieses Lebens erinnern, sich dieses Mannes zu erinnern, ist ein schmerzhafter Prozess. Denn hier ist jetzt so viel Leben in der ganzen Fülle der Zeit gegenwärtig, auch plötzliche Krankheit und Sterben, und schon heißt es: Abschied nehmen müssen. Der Dichter Paul Celan hat einmal gesagt: Lege dem Toten die Worte ins Grab, die er sprach um zu leben. Die Traurigkeit, die über uns kommt, die Trauer, die uns lähmt, das revoltierende Nein zu diesem Lebensausgang