Christine Boy

Das Blut des Sichellands


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Mal schaffte sie es, Bohains vergleichsweise sanften Angriff abzuwehren, dann legte sich die gegnerische Klinge an ihren Hals.

      Mit vor Enttäuschung zusammengepressten Lippen trottete Caja zu ihrem Platz zurück.

      Karuu, der nächste Prüfling, schlug sich schon erheblich besser. Wandan bemerkte, dass Saton einige Male überrascht aufsah, als der junge Mann die Aufgaben nicht nur fehlerfrei bewältigte, sondern sich auch erstaunlich lange gegen Bohain auf dem Platz hielt. Dann aber fiel sein Säbel doch noch klirrend zu Boden.

      "Nicht übel." bemerkte Cala. "Gar nicht übel."

      Saton nickte nur, sagte aber nichts.

      Tinogals Stimme schallte über die Tribünen.

      "Wir sehen nun Garuel Mala-Rii aus Semon-Sey, den ersten der drei Sichelträger dieses Jahrgangs."

      Die Menge applaudierte. Doch schon bald ging ihr bislang eher zurückhaltender Jubel in überraschte Schreie über. Der Kampf der beiden Kontrahenten wollte einfach nicht zu Ende gehen und zweimal schien es fast, als könne Garuel seinen Gegner ernsthaft in Bedrängnis bringen. Dann aber kostete ihn ein Wimpernschlag der Unachtsamkeit den Sieg.

      Wandan stieß einen leisen Pfiff aus.

      "Das hätte ich nicht gedacht. Bohain war nicht schlechter als sonst. Saton, bitte gestatte mir, diesen Jungen in den Burgdienst zu stellen. Ein solches Talent dürfen wir nicht verkümmern lassen."

      Der Shaj lächelte. "Das erlaube ich gern. Wer solches Können beweist, darf auf keinen Fall als Turmwache enden. Merke ihn vor und lass ihm ausrichten, dass ich ihn nächste Woche in Vas-Zarac zu sehen wünsche."

      "Rahor Req-Nuur, ebenfalls aus Semon-Sey, ebenfalls Sichelträger und Notenbester seines Jahrgangs." tönte nun wieder Tinogals Stimme.

      "Eigentlich ist es unfair." murrte Wandan. "Wenn Bohain gegen Lennys antritt, hat er bereits vier Kämpfe hinter sich."

      "Bestenfalls drei." berichtigte Cala. "Das Aufeinandertreffen mit Caja kannst du kaum einen Kampf nennen. Aber er hat viel mehr Erfahrung als Lennys. Das gleicht alles aus."

      Rahor stand Garuel in nichts nach. Auch er brachte den alten Bohain ernsthaft in die Bredouille und schaffte es, Garuels Gefecht noch an Dauer zu übertreffen. Es endete, als sich beide Säbelspitzen gleichzeitig gegen die Schlagader des Gegenübers drückten.

      "Unentschieden!" rief Wandan fassungslos. "So etwas habe ich noch nie erlebt! Was für ein Kämpfer!"

      Die Zuschauer waren kaum noch auf ihren Sitzen zu halten und in Racyls Augen schienen sogar Freudentränen zu glitzern. Der Jubel war ohrenbetäubend.

      "Lenyca Ac-Sarr, Tochter unseres hohen Shaj Saton Ac-Sarr, jüngste Sichelträgerin Cycalas', Notenbeste ihres Jahrgangs!"

      Viele standen auf. Andere beugten sich soweit wie möglich nach vorn und wieder andere rissen nicht nur die Augen, sondern auch die Münder weit auf, als könnten sie so noch besser das nun Kommende verfolgen.

      Nur Wandan lehnte sich entspannt zurück.

      "Wenn sie gewinnt, dann nur, weil Rahor Bohain ziemlich zugesetzt hat. Aber das glaube ich nicht. Auf jeden Fall können wir uns auf ein längeres Schauspiel einstellen."

      "Du traust meiner Tochter wohl nicht viel zu?"

      "Oh doch, Saton. Mehr als jedem anderen. Aber ich kenne Bohain. Er wird sich noch einige Reserven bewahrt haben."

      Nach einer perfekten Absolvierung der Grundtechniken verneigte sich Bohain knapp vor seiner Gegnerin.

      "Es ist mir eine Ehre." sagte er. "Yami solei!"

      "Arhat zen!"

      Kaum jemand im Publikum vermochte, den Bewegungen der Shajkane noch zu folgen, so schnell wirbelten sie herum. Beide - Bohain und Lennys - vollzogen derart anspruchsvolle Angriffe und Abwehrmanöver, dass es eine wahre Freude war, ihnen zuzusehen.

      "Sie spielt." sagte Saton, doch er lächelte nicht mehr. "Sie spielt mit ihm. Wenn sie wollte..."

      "Er fordert sie..." beharrte Wandan ohne zuzuhören. "Wenn er wollte, könnte er..."

      Ein Aufschrei in der Menge.

      Die beiden Kämpfer waren mitten in ihrer Bewegung erstarrt und zuerst vermochte keiner zu sagen, wer die Oberhand über den anderen hatte.

      Nur wenige, nämlich die, die ganz vorn saßen, erkannten es.

      Ein einziger Blutstropfen perlte von Bohains Hals.

      Die Klinge des Shajkans glänzte, als Lennys die Waffe zurückzog.

      Bohains Augen leuchteten vor Freude.

      "Endlich." sagte er so leise, dass nur Lennys es hören konnte. "Mein Leben lang habe ich darauf gewartet."

      Ein heftiger Regenguss verwandelte die Straßen Semon-Seys in Sturzbäche, die sich ihren Weg schäumend um Lennys' Stiefel bahnten. Windböen peitschten ihr die eisigen Tropfen ins Gesicht, so dass sie ihren Umhang unwillkürlich fester um sich zog und ihren Schritt beschleunigte. Endlich erreichte sie ihr Ziel – ein großzügiges Gebäude aus hellgrauem Stein, hinter dessen hohen Fenstern schummriges Licht glimmte. Schnell eilte sie die wenigen Stufen zum Eingang hinauf und klopfte dreimal an die schwere Tür.

      Ein verwegen aussehender, bärtiger Mann öffnete und als er ihr Gesicht erblickte, nickte er nur und trat zur Seite, um sie einzulassen.

      Sie stand im Eingang zu einem einzigen Raum, der beinahe das gesamte Erdgeschoss einnahm. Nur ganz hinten gab es noch eine weitere Tür zu einem Nebenzimmer, das, wie sie wusste, die Kostbarkeiten des Besitzers beherbergte. Daneben führte eine steile Steintreppe ins Obergeschoss.

      Eine schon recht abgeschrammte Theke verlief an der hinteren Wand nahezu über die ganze Breite der Schenke. Dahinter hatte ein stämmiger Wirt mit einigen spärlichen grauen Haarbüscheln und umso dichteren, buschigen Augenbrauen im wahrsten Sinne des Wortes alle Hände voll zu tun. Sijakflaschen, Rumkrüge und mächtige Kelche mit den unterschiedlichsten Inhalten wechselten hier die Seite und wurden gierig von den verschiedensten Männern in Empfang genommen. Derbe Bauern, gut gekleidete Händler, mehrere muskelbepackte Soldaten und sogar ein ältlicher Priester drängten sich am Tresen und um die ausladenden Tische, die scheinbar wahllos im Gastraum verteilt herumstanden. An einigen saßen nur zwei oder drei Gestalten, die über ihre Becher gebeugt in ihr Gespräch vertieft waren, um die meisten anderen aber scharten sich größere Gruppen, die immer wieder ihre Trinkgefäße hoben und sich zuprosteten, wobei sie laut lachten und grölten, als wollten sie so beweisen, dass ihre Runde die lustigste im Wirtshaus sei. Gerade jetzt erhob ein junger Bursche die Stimme.

      „Eines Tages werde ich ebenso reich wie mein Meister. Und dann, das sage ich euch, werde ich den ganzen Mooshain kaufen!“

      Brüllendes Gelächter unter seinen Kumpanen.

      „Den Mooshain?“ prustete ein dürrer Krieger, dessen Shajkan nicht mehr im besten Zustand war. „So viel Silber hat höchstens der Shaj! Ach, was rede ich, alle drei Shajs zusammen – vielleicht. Die Sakkala-Beeren sind unbezahlbar!“

      „So wie der Sijak hier!“ kicherte ein anderer. „He, Wirt, dein Preis ist Wucher,... so vergraulst du deine besten Kunden!“

      „Ach, was jammert ihr....“ plapperte der Lehrling wieder. „Es ist doch auch der beste Tropfen! Aber wäre es nicht herrlich, sein eigenes Sakkala-Feld zu haben?....“

      „Träum du nur. Sijak ist ein Geschenk des Gottes, aber ich für meinen Teil würde mit dem Vermögen deines Herrn ganz andere Dinge kaufen...“ Gesprochen hatte jetzt ein älterer Mann, dessen schlammbespritzte Leinenhosen und lehmverkrusteten Stiefel verrieten, dass er kurz zuvor noch sein Vieh von der Weide getrieben hatte.

      „Und was?“

      Der Viehhirt grinste schief. „Kennst du die Kleine mit den Locken, die sich drüben am Brunnen hin und wieder anbietet?“

      Ein träumerischer Ausdruck trat in sein Gesicht. Die anderen kicherten.