Christine Boy

Das Blut des Sichellands


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Lennys weiterhin schwiegen, stemmte er sich mühsam aus dem Gras hoch, klopfte sich ein paar Halme von der Kleidung und verabschiedete sich:

      "Mit euch ist ja heute nicht viel los. Ich geh dann mal wieder. Vielleicht seh ich ja Racyl noch."

      Er zwinkerte Rahor frech zu und noch bevor jemand etwas erwidern konnte, kletterte er schon die Mauer empor.

      "Orcus ist wirklich eine Nervensäge..." sagte Rahor grimmig. "Und er klebt wie eine Klette an dir."

      Lennys streckte sich wohlig aus. "Soll er doch. Er wird in seinem Leben kaum etwas erreichen, dafür ist er zu schlecht im Säbelkampf. In ein paar Wochen sind wir ihn sowieso los, ich glaube kaum, dass er die Prüfung für die nächste Riege schafft."

      "Was man von euch wohl nicht sagen kann..."

      Von der Stadtseite her trat Akosh, der Waffenschmied auf sie zu. Er lächelte breit und setzte sich zwischen Garuel und Rahor.

      "Wo kommst du denn her?" fragte Lennys. "Ich dachte, du bist froh, die Kasernen nicht mehr sehen zu müssen?"

      "So kann man das nicht sagen. Ich freue mich, dass meine Ausbildung abgeschlossen ist, aber ich habe mich hier eigentlich immer sehr wohl gefühlt. Mir fehlt das alles ein bisschen."

      "Hast du als Cas denn nichts zu tun?" fragte Garuel. "Es wundert mich, dass du Zeit hast, uns zu besuchen."

      "Ich bin mit Bohain verabredet, wegen eines Shajkanauftrags. Und da dachte ich, ich komme etwas früher und sehe mal nach, ob ihr hier wieder euer Abendschwätzchen haltet."

      Lennys machte plötzlich ein ärgerliches Gesicht.

      "Willst du dann vielleicht gleich an die große Glocke hängen, dass wir uns hier treffen?"

      Doch der Schmied schüttelte den Kopf.

      "Natürlich nicht. Was denkst du von mir? Übrigens soll ich dich grüßen."

      "Von wem?"

      "Von Juta. Ich habe ihn unten in der Schenke getroffen. Er lässt dir noch einmal seinen Dank ausrichten, dass du ihn in die Burg eingeladen hast. Und er fragt, ob er sich irgendwie revanchieren kann."

      "Möglicherweise kann er das. Ich werde darüber nachdenken. Was ist das für ein Shajkan, den du für Bohain machen sollst?"

      "Er ist für ihn selbst. Er hat einen recht großen Verschleiß und auch wenn Bohain nicht mehr der Jüngste ist, so ist seine Kampfkraft doch ungebrochen."

      "Das werden wir ja noch sehen. Soweit ich weiß, wird er selbst die Riegenprüfungen im Säbelkampf abnehmen."

      Garuel und Rahor wurden hellhörig.

      "Wie? Wir sollen gegen Bohain antreten?" fragten sie fast gleichzeitig.

      "Habt ihr etwa Angst? Es erwartet sowieso keiner, dass ihr gewinnt." Sie lachte bei diesen Worten.

      "Wieso 'ihr'?" fragte Akosh. "Ich dachte, du bist auch für die Prüfung zugelassen?"

      "Eben. Aber ich werde dafür sorgen, dass Bohain diesen Kampf nicht so bald vergisst..."

      Die Wochen bis zur Prüfung vergingen rasch und schon längst hatten sich die Säbelschüler und die Bewohner Vas-Zaracs an den Anblick der sichelbewehrten Lennys gewöhnt. Inzwischen war sie ihm Training mit der heiligsten aller Waffen so weit vorangeschritten, dass sie auch hier Rahor und alle anderen Auszubildenden schlug und Saton war erleichtert, dass seine Tochter die Entscheidung für den frühen Sichelerhalt immer wieder bestätigte.

      Mittlerweile hatten einige weitere Silberschiffe der Flotte das Sichelland verlassen und der Zeitpunkt, an dem der Shaj selbst auf der Abendinsel nach dem Rechten sehen wollte, rückte zusehends näher. Immer häufiger verließ er die Stadt für mehrere Tage, um das Treiben an der Küste zu überwachen oder sich zusammen mit den beiden Shajs Ron-Caha-Hel und Maliss die Arbeit in den Bergwerken anzusehen oder die Details des Unternehmens auszuarbeiten. Während seiner Abwesenheit oblag es vor allem Wandan, über die Disziplin und Ordnung in der Burg zu wachen.

      Als Saton von einer dieser kurzen Reisen zurückkehrte, erwartete ihn sein oberster Cas bereits im Kaminzimmer. Sie hatten es sich schon seit geraumer Zeit angewöhnt, dort bei dem einen oder anderen Becher Sijak die Geschehnisse der letzten Tage zu diskutieren und so den Anschein von Ruhe und Gelassenheit zu erwecken. Beides kam in diesen hektischen und spannenden Wochen häufig zu kurz und Saton legte größten Wert darauf, weder sein Volk noch seine unmittelbare Umgebung zu vernachlässigen, auch wenn der Schritt, den er gerade gen Süden wagte, ein noch nie zuvor dagewesenes Ereignis darstellte.

      "Ich gebe es ungern zu, aber ich scheine in Semon-Sey recht überflüssig zu sein." sagte er irgendwann halb scherzend, halb ernst. "Du ersetzt mich tadellos."

      Wandan grinste.

      "Nur, weil du es von mir erwartest. Ich beneide dich nicht, Saton. Nicht um deine Reisen, nicht um die Aufgaben, die sich dir hier sonst stellen und am allerwenigsten um deine Verantwortung. Und überflüssig bist du keineswegs. Ich bin ein Kämpfer, kein Herrscher. Selbst die kleinsten Schwierigkeiten verunsichern mich hier nur allzu leicht."

      "Wovon man nichts merkt, wenn man herumfragt. Du hast alles fest im Griff. Dafür bin ich dir sehr dankbar. Und auch für den Umstand, dass ich überhaupt auf dich zählen kann. Diese lange Periode des Friedens erlaubt es mir, meinen obersten Krieger mit solchen wichtigen Pflichten zu betrauen. Würde Zrundir unsere Grenzen angreifen, bräuchte ich dich an meiner Seite."

      "An der ich weit lieber stehe als an deiner Stelle in dieser Burg."

      Beide stießen mit ihren Kelchen an und hingen eine Weile ihren Gedanken nach. Es war schließlich Wandan, der das Schweigen brach.

      "Es gibt da noch etwas..." begann er etwas zögernd. "Etwas, was dich vielleicht weniger erfreuen wird."

      Saton schwante nichts Gutes.

      "Lenyca?"

      Um Wandans Mundwinkel zuckte ein Lächeln. "Du nennst sie immer noch so. Alle sagen 'Lennys' zu ihr. Ich habe mich vielleicht schon zu sehr daran gewöhnt."

      "Ich nenne sie selbst so, wenn ich mit ihr spreche. Nicht immer, aber oft. Vor allem, weil sie es so möchte. Aber ich vergesse auch ihren richtigen Namen nicht. Also, es geht um sie?"

      "Ich fürchte ja."

      Ein Schatten legte sich über Satons Gesicht. "Etwas Ernstes?"

      "Nicht allzu sehr, denke ich. Hoffe ich. Sie ist eine exzellente Kämpferin, das weißt du. Und sie hat zumindest ein wenig gelernt, ihr Temperament zu zügeln. Aber es gibt zwei Dinge, die mir schwer im Magen liegen."

      "Und die wären?"

      Wandan räusperte sich, richtete sich auf und bemühte sich, sicher und überzeugt zu klingen.

      "Ich glaube, dass sie nach wie vor die Kasernenregeln strapaziert und einige überhaupt nicht akzeptiert. Wie ich höre, trifft sie sich häufig mit ein paar Altersgenossen hinter der Kasernenmauer. Und es ist nach wie vor verboten, sich außerhalb des Geländes aufzuhalten. Und sie hat in letzter Zeit wieder einige Male den Unterricht geschwänzt."

      Saton lachte vergnügt.

      "Und deshalb machst du dir Sorgen? Wandan, fang bitte nicht an, ungerecht zu werden. Ich selbst habe in meiner Jugend viel Zeit außerhalb der Mauern verbracht und du genauso. Und wir alle hatten Tage, an denen uns ein Ausritt oder ein Spaziergang verlockender erschien als die Unterrichtsstunden."

      "Das ist es nicht. Ich meine damit, dass ich sie nicht anschwärzen möchte. Aber vor uns liegen ungewisse Zeiten. Ich bin um ihr Wohl bedacht. Wenn Lennys sich jetzt zu sehr an Freiheiten gewöhnt, die sie eigentlich nicht haben sollte, könnte es später schwer werden, sie... nun ja... wieder 'einzufangen'."

      "Sie kann sehr gut auf sich aufpassen. Das sagst du selbst immer wieder. Erinnere dich nur an unseren letzten Ausflug ins Grenzland. Ich glaube allmählich, der Feind, der Lennys im Zweikampf schlagen kann, muss erst noch geboren werden."

      "Da gebe ich dir recht. Und damit wären wir schon