Alexander Mosca Spatz

Pfad des Feuers


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Gesicht gezogen, dass man es in dem sowieso schon fahlen Licht nicht erkennen konnte. Sirian schluckte schwer und seine Hände an der kalten Steinwand verkrampften sich. Mit einem weiteren Rascheln des Mantels, das sich anhörte wie der Flügelschlag eines Raben, stieß sich die Gestalt von der fünf Meter hohen Mauer ab und vollführte in der Luft einen eleganten Salto. Niemand konnte aus dieser Höhe springen und so weich und abfedernd landen, wie eine Katze! Niemand konnte nach einem Sprung aus dieser Höhe in einer eleganten Pirouette herumwirbeln und ein Schwert ziehen! Doch die Gestalt tat es.

      Avon wich überrascht zurück, wehrte die schnellen und präzisen Schläge mehr schlecht als recht ab. Der Fremde stieß zu, wie eine Schlange, schlug blitzschnell zu, nur um sich dann wieder zurückzuziehen, bevor er wieder zustieß. Die Gasse war zu eng, als dass man groß ausweichen konnte, hier galten alleine die Fähigkeiten mit dem Schwert. Avon schlug wild und heftig zu, drängte den Fremden immer weiter zurück. Dieser ließ sich darauf ein, sein Rücken kam Sirian immer näher, die Klingen krachten schnell aufeinander und ab und an sah man sie im schwachen Licht aufblitzen.

      Plötzlich stoppte der Fremde seinen Rückzug und trat unvermittelt einen Schritt auf Avon zu, verkürzte die Distanz so sehr, dass sie sich fast berührten. Avon schrie auf, wollte zurückweichen, um wieder Platz zwischen sie zu bringen, aber war einen Augenblick zu langsam. Der Fremde blockte einen letzten verzweifelten, viel zu hoch angesetzten Schlag, tauchte unter Avons Deckung und stieß zu. Avon ächzte, sein entsetzter Blick richtete sich auf das Schwert, das sich durch ihn gebohrt hatte und aus seinem Rücken wieder austrat. Blut tropfte aus Avons Mund, er ging leicht in die Knie, packte den Fremden am Arm, aber dieser zog das Schwert mit einem widerlichen Geräusch heraus und schlug Avon das Knie mit voller Kraft ins Gesicht. Es knackte, Avon fiel nach hinten, zuckte noch einen Moment, dann erlahmten seine Bewegungen und er blieb leblos liegen.

      Sirian löste sich von der Wand und trat auf den Fremden zu, verengte die Augen zu Schlitzen in dem Versuch, einen Blick auf dessen Gesicht zu erhaschen. Der Fremde steckte das Schwert weg und beugte sich zu dem Toten hinunter, durchsuchte systematisch dessen Taschen.

      Bei den drei Säulen! Er hat ihn so schnell getötet … als wäre Avon nur ein Straßenköter!

      „Wer bist du?“, flüsterte Sirian leise.

      Der Fremde erhob sich, sah Sirian an. Obwohl es nun hell genug war, konnte Sirian das Gesicht nicht erkennen. Es war, als fliehe das Licht vor dem Mantel und der Kapuze.

      „Ich bin ein Freund“, erwiderte der Fremde und trat mit seiner Fußspitze auf den Leichnam Avons, „im Gegensatz zu diesem Mörder hier.“

      Sirian wandte den Blick von den toten Augen des Mannes ab und hielt sich den Magen.

      Er wusste nicht, wer der Fremde war, aber er war dankbar für dessen Anwesenheit und Hilfe.

      Ohne ihn wäre ich jetzt tot …

      „Dieser Mörder“, fuhr der Fremde leise fort und verschränkte die Arme vor der Brust, lief dabei langsam aus der engen Gasse hinaus, „er war nicht der Einzige. Ihr Anführer ist ein Mann namens Azard Ciantá, einer der besten Assassinen der Welt. Ich denke du weißt, warum sie hinter dir her sind … Godrics Tod. Wem hättest du davon erzählen können?“

      Sirian folgte dem Fremden aus der Gasse, kratzte sich dabei nachdenklich am Kinn.

      „Nun eigentlich der Kräuterhexe Bruxa, dem Wirt und …“, Sirian versagte die Stimme und wie mit einem Donnerschlag fiel es ihm ein, „beim Letzten Herrscher!“

      Schnell wirbelte der Fremde herum und packte ihn fragend an den Schultern.

      „Was? Wem noch?“

      „Meine Schwester!“, stieß Sirian aus und schluchzte leise.

      „Ich hätte genug Zeit gehabt, es meiner Schwester zu erzählen!“

      Wenn es stimmt, was Avon gesagt hat, dann haben sie Melanie schon … dann bin ich an ihrem Tod Schuld, nicht die Krankheit. Meine Schuld …

      Der Fremde fluchte leise, zog mit einem singenden Ton sein Schwert und stieß Sirian voran.

      „Los, bring uns hin! Und beeil' dich!“, drängte er, doch das war nicht nötig. Sirian war schon losgerannt, es war ihm egal, ob ihm der Fremde folgte oder nicht.

      Fort waren die Schmerzen, fort das Brennen und Stechen in der Seite! Melanie war in Gefahr! All die anderen Gefühle wischte er weg, wurden durch ein Einziges ersetzt. Angst! Schon waren sie an der Taverne vorbei, sein Haus kam immer näher. Sirian bildete sich ein, einen Schrei zu hören, woraufhin er die Zähne zusammen biss und noch einmal sämtliche Kraftreserven mobilisierte. Leise Stimmen drangen an sein Ohr, Gelächter und eindeutig Schreie.

      Nein, das darf nicht sein! Lasst meine Schwester in Ruhe! Lasst sie in Frieden! Sie kann nichts dafür! Sie wird sowieso schon sterben, also lasst sie!

      Hinter ihm hörte er die leisen Schritte des Fremden, ruhig und gelassen, als stelle das Rennen für ihn keine Anstrengung dar. Erneut ertönten Schreie und je näher sie kamen, desto leiser wurden die Schreie, bis sie schließlich vollkommen verstummten.

      Sirian stürmte um die Ecke.

      Nur noch die Gasse runter, dann bin ich da! Bitte halte durch, bitte, bitte, bitte!

      Bevor er um die Ecke rennen konnte, packte ihn ein Arm und zerrte ihn zurück, eine behandschuhte Hand legte sich auf seinen Mund und drückte so fest zu, dass er keinen Laut von sich geben konnte. Als Sirian panisch den Kopf wandte, um zu sehen, wer es war, erkannte er den Fremden und hörte auf, sich zu wehren.

      „Nicht bewegen!“, zischte der Fremde leise und ließ so weit locker, dass Sirian im Schutze der Dunkelheit um die Ecke spähen konnte. Vor dem Haus lehnte ein Mann an der Fassade der anderen Häuser und schien auf etwas zu warten. Er hatte langes schwarzes Haar und eine Narbe zog sich über das gesamte Gesicht.

      „Das ist Azard, der Anführer der Inquisition. Die Inquisition ist die Gruppe, von der der Wirt vorhin sprach. Sie haben versucht, dich umzubringen“, flüsterte der Fremde und Sirian spürte, wie er sich anspannte. Schritte polterten durch das Haus seiner Schwester und Sirian fühlte sich, als falle er in ein sehr tiefes schwarzes Loch.

      „Sie sind dort drinnen!“, murmelte er hinter der Hand des Fremden und versuchte erfolglos, sich zu befreien.

      „Ich muss ihr helfen! Lass mich los! Die wollen mich, nicht meine Schwester!“

      Er fragte nicht, woher der Fremde all diese Dinge wusste; es war ihm auch egal!

      Aber wieso standen sie hier und taten nichts!

      Der Fremde lachte kalt und zog Sirian wieder etwas zurück, sein Arm schloss sich wie eine eiserne Zange um seinen Hals.

      „Wir wissen beide, dass deine Schwester des Todes ist, Sirian. Es wäre sinnlos für jemanden sein Leben zu opfern, der sowieso bald sterben wird. Im Grunde wird es jetzt schmerzloser gehen, als wenn die Krankheit sie holt – und sie stirbt in dem Glauben, niemals ernsthaft krank gewesen zu sein. Sie stirbt in dem Glauben, dass sie bis jetzt etwas Schönes hatte und erleben durfte. Wofür willst du das zunichte machen? Damit sie den Rest ihres Lebens damit verbringt, sich vor dem Tag zu fürchten, da die Eversia ausbricht? Damit sie von dem Wissen gemartert wird, dass ihr Leben von vorne herein nur ein Fliegenklatsch war im Vergleich zur Lebensspanne eines anderen Menschen?“

      Sirian knirschte mit den Zähnen, wehrte sich gegen den Griff des Fremden, aber Sirian wusste, dass er Recht hatte. Seine Schwester würde sterben und mit einer schönen Erinnerung an ihr Leben gehen, nicht verbittert und gepeinigt; jedoch war es seine Schuld, dass sie überhaupt so starb!

      Ich kann das nicht! Ich kann nicht damit leben, dass sie wegen mir ein Opfer von Gewalt wird! Mein ganzes Leben habe ich damit verbracht, sie vor unserem Vater zu beschützen und dafür zu sorgen, dass sie von seinen Wutanfällen verschont bleibt! Es kann jetzt nicht so enden! Nicht so, nicht jetzt!

      „Ist mir egal! Ich will sie retten! Lass mich los! Wenn es sein muss, töte ich sie alle! Allesamt!“, wollte er schreien, doch