Gilden zusammen hatten mehr als die Hälfte der möglichen Sitze im Gilderat inne, weshalb ein Entschluss des Gilderats und des Volkes von der anderen Seite immer auf legale Weise verhindert werden konnte. So behielt der Letzte Herrscher stetig die Kontrolle über den Gilderat und brach dabei keinerlei Gesetze, wegen denen der Gilderat ihn hätte anklagen können … wenn das jemals jemand wagen sollte.
Weiterhin kam hinzu, dass der Gilderat einen Vorsitzenden hatte, nämlich Statthalter Lyras, seines Zeichens der Stiefbruder des Letzten Herrschers und somit auch so etwas wie ein kleiner Gott.
Er leitete die Sitzungen des Gilderats und sorgte mit seiner eigenen Gilde, nämlich der der direkten Stadtverwaltung dafür, dass der Wille des Letzten Herrschers unmittelbar und ohne Umwege umgesetzt wurde.
Die Stadtverwaltung unter Lyras' Leitung hatte die Kontrolle über die Garnison, die regulären Soldaten und somit wagte es keiner, Lyras zu widersprechen. Der Statthalter war dafür bekannt, dass er Oppositionelle, die zu laut wurden, gerne verschwinden ließ. Weiterhin kontrollierte er zu einem kleinen Teil die Exekutoren, die nachts ebenfalls über die Arx Potestatis wachten.
Wem alle anderen Gründe, sich nicht mit Lyras anzulegen, nicht genügten, hisste spätestens bei diesem Punkt die weiße Flagge.
Keiner wagte es, die Exekutoren herauszufordern, vor allem, da sie nicht zu bestechen waren.
Rief ein Paladin des Ordens die Exekutoren um Hilfe, so flohen die meisten Verbrecher sofort, jedoch taten die Paladine dies selten. Exekutoren waren bekannt dafür, schwer kontrollierbar zu sein und sie hörten nur auf den Letzten Herrscher vollkommen; verlor dagegen ein normaler Paladin die Kontrolle über sie, oder setzte er sie zu viel Blut aus, so brach der Bann, der sie unter Kontrolle hielt und die Exekutoren waren frei.
Aaron hatte es einmal miterlebt, wie ein Adept einen Exekutoren um Hilfe gerufen hatte; es hing immer vom Charakter der jeweiligen Person ab – je weniger Angst die Person selbst vor den Exekutoren hatte, desto geringer war die Gefahr, dass man die Kontrolle verlor.
Der Adept hatte zitternd in der Ecke gestanden, während die Exekutoren sich um den Gefangenen kümmerten, der entkommen waren … und gleichzeitig auch noch um fünf andere Männer, die rein zufällig in der Nähe waren, sowie schließlich um den Adepten selbst.
Aaron verdrängte die Erinnerungen und warf seinen Apfel auf die große Fläche vor der Arx Poestatis; im Frühling und im Sommer erblühte die ganze Fläche in gesundem Grün, nun war sie kahl und zugefroren angesichts des eisigen Winters.
Der General warf seinen abgenagten Apfel auf den gefrorenen Boden und machte sich auf den Weg in das Innere des Gilderatsgebäudes.
Meine ganze Kindheit wurde ich mit dem Ziel aufgezogen, irgendwann hier zu leben und die Gilde der Händler zu vertreten, mit die größte und mächtigste der Gilden, dachte Aaron, während er die wunderschönen Hallen entlang schritt, hinauf in die oberen Ränge. Schreiber und Archivare kreuzten seinen Weg und ab und an erblickte er eine berühmte Persönlichkeit unter den Politikern und Gildevorsitzenden des Landes.
Am Ende des Korridors stand Arekas, der Vorsitzende der metallenen Gilde, die alle Zünfte in sich vereinte, welche mit Metall arbeiteten. Als er Aaron sah, grüßte er ihn und winkte ihn freundlich zu sich.
„General Aaron!“, rief er freudig aus und reichte dem General eine Hand.
„Wie geht es Euch, General? Ich habe Euch ewig nicht mehr hier gesehen!“
Aaron strich mit der freien Hand durch sein schwarzes Haar und erwiderte die freundliche Begrüßung mit einem Lächeln.
„Ich hatte in letzter Zeit viel zu tun, Arekas. Aber die heutige Abstimmung interessiert mich. Ehrlich gesagt wüsste ich nicht, wofür ich stimmen würde, wenn ich in eurer Lage wäre“, erwiderte Aaron nachdenklich und runzelte kurz die Stirn, bevor er hinzufügte: „Wie wirst du dich entscheiden?“
Arekas schnalzte vielsagend mit der Zunge und sah sich um, um sicherzugehen, dass sie niemand belauschte, dann beugte er sich zu Aaron herüber und senkte seine Stimme.
„Ich nehme ihre Dienste selbst manchmal in Anspruch, weswegen ich wohl kaum dagegen sein könnte“, raunte er schließlich und lachte leise, „immerhin können wir sie dann noch gründlicher kontrollieren, als wir es jetzt tun. Also sehen wir uns dann in der Abstimmung?“
Aaron nickte geistesabwesend und quittierte Arekas' Lachen mit einem Stirnrunzeln.
Die Prostituierten kämpfen seit Jahren darum, endlich als eigene Zunft und Gilde anerkannt zu werden. Die Zunft der Tänzerinnen und Musikerinnen hat sich dem sogar angeschlossen, obwohl die drei Zünfte nur bedingt etwas miteinander zu tun haben. Jedes Jahr gab es eine Abstimmung und seit sieben Jahren wurde ihr Antrag jedes Mal abgelehnt, aber jetzt … jetzt haben sie Chancen, seit sie diesen neuen Sprecher haben.
Arekas verabschiedete sich mit einem warmherzigen Schulterklopfen und schoss anschließend davon, um seinen Sitz im Gilderat zu besetzen. Aaron wusste, warum die Prostituierten auch als Gilde gelten wollten.
Sie wollen die Gewaltakte gegen Prostituierte einstellen und die Gildegardisten mit einbeziehen, die speziell darauf spezialisiert wurden, die Gilden zu schützen. Es würde ihnen nichts mehr geschehen … eigentlich eine gute Sache.
Im Grunde wäre Aaron für eine Einführung dieser neuen Gilde. Die Köpfe hinter den Prostituiertenringen schwebten nicht in Gefahr, sondern vielmehr die Mädchen, die diesem Gewerbe nachgingen. Sie hätten etwas von dem zusätzlichen Schutz, unabhängig davon wie respektiert die Gilde innerhalb des Rates letztendlich sein würde; doch Aaron ging davon aus, dass das den Mädchen auf den Straßen mehr als nur egal wäre.
Vater wollte, dass ich heute inmitten der Gildehalle stehe und meine Meinung vertrete. Vater hätte gewollt, dass ich mich jetzt zu den Rängen aufmache … stattdessen bin ich beim Orden und ziehe mich nun in die Lounge des Ordens zurück.
Er wusste, die Lounge des Ordens würde heute leer sein; die Sitze des Klerus und des Ordens waren nur bei wichtigen Treffen besetzt – ob die Prostituierten nun aufgenommen wurden oder nicht, war beiden Parteien ziemlich gleich. Aaron betrat die Treppe, die ihn hinauf führen würde und ignorierte die anderen Mitglieder des Gilderats, die ihn passierten; die Meisten davon kannte er persönlich, schließlich hatte er seine Kindheit mit ihnen verbracht und einen Vater gehabt, der damals schon günstige Kontakte geknüpft hatte.
Politik ist nichts für mich … ich bin ein General, kein Händler, Kaufmann oder großer Redner.
Ich bin in den Orden, weil ich für ihn wie gemacht bin … hätte Vater es damals nur verstanden.
Trauer überfiel Aaron, als er an seinen Vater zurückdachte und daran, wie er von eben jenem aus der Familie verstoßen worden war; seitdem durfte er seinen Familiennamen Katar nicht mehr tragen.
Mein Vater hat mich bis zu meinem dreizehnten Lebensjahr darauf vorbereitet, jemand zu sein … ich entschied mich, einer unter vielen zu werden – ein Paladin des Ordens.
Vor einigen Jahren hatten sie sich wieder vorsichtig angenähert, nachdem Aarons Vater bemerkt hatte, dass sein Sohn gut war in dem, was er tat; doch bevor sie sich aussprechen konnten, war Aarons Vater ermordet worden. Einfach so, als wäre er ein gewöhnlicher Bürger von gewöhnlichem Stand gewesen; erst an dem Tag hatte Aaron endgültig begriffen, dass Auszeichnungen, Ränge und Reichtum einen nicht vor einer scharfen Klinge zu schützen vermochten.
Aaron betrat die Lounge des Ordens; wie zu erwarten, war sie leer und er setzte sich auf einen der vielen Sitze. Die anderen Mitglieder des Gilderats waren bereits alle anwesend, sie versammelten sich und unterhielten sich lautstark. Zu Aarons Überraschung waren die Ränge des Klerus voll besetzt; die Priester saßen direkt unter ihm und diskutieren über die Aufnahme der Prostituierten als Gilde in den Gilderat. Der Bau der Halle erinnerte Aaron stark an einen der Hörsäle in der Universität. In der Mitte stand der jeweilige Redner und im Kreis darum befanden sich die Sitze der Gilden. Jeweils ein Kreis gehörte einer Gilde, wenn sie zu wenige Vertreter hatte, auch nur ein halber. Je höher die Gilde aber saß, desto wichtiger und höher angesehen