Es gab immer mal wieder Konflikte, so wie in der realen Welt auch, aber nichts Bedeutendes.
Aber die Gier nach absoluter Macht hat einige der Hexen vergiftet. Sie begannen, sich an geheimen Orten zu treffen, und schmiedeten Pläne, um den König zu stürzen. Es war damals strengstens verboten, jeglichen Geschöpfen, egal ob sie aus dem Zauberreich oder der realen Welt stammten, durch einen Zauber Schaden zuzufügen. Aber Crysaldis von Festos, eine der schwärzesten Seelen, die es jemals im Zauberreich gab, setzte sich über das Gesetz hinweg und begann gegen den König zu rebellieren. Sie scharte eine Bande heimtückischer Hexen um sich und unterwarf die anderen Wesen, indem sie deren Familien mit unwiderruflichen Flüchen drohte.
Eines Nachts stürmten sie die Burg des Königs, die sich in der Mitte des Zauberreiches befand, und überwältigten ihn im Schlaf. Er und sein Gefolge hatten keine Chance. Crysaldis hatte sich mit den dunkelsten Geschöpfen, den großen Unterirdischen, verbündet und was der Preis ihrer Dienste ist, kannst Du dir sicherlich denken. Sie stürmte also die Burg mit einer Armee hungriger Dämonen und rief die dunkelsten Schatten an ihre Seite. Es muss grausam gewesen sein. Aber Vaun, der weiseste Zauberer aller Zeiten, den konnten sie nicht überwältigen. Als er bemerkte, was sich im Hintergrund tat, floh er in sein Turmzimmer und belegte den Eingang mit einem mächtigen Schutzbann aus reinem Licht. Als Crysaldis nun vor seiner Tür verharrte und alle Zauberformeln ausprobierte, um den Bann zu brechen, holte Vaun seine Kugel der Ewigkeit. Sie war das große Orakel des Zauberreiches. Sie glühte blutrot und wand sich in seinen Händen, sodass seine Haut versengte. Vaun begriff, dass seine Zeit gekommen war, und hielt Crysaldis das Orakel vor die Augen. Dann sprach er mit hallender Stimme, sodass es jedes Wesen im Zauberreich hören konnte:
»Von nun an wird sich das Zauberreich in zwei Phade teilen. Der weise Phad wird die Tradition und Gesetze unserer Ahnen bewahren und in Balance mit der Natur leben. Im Gegensatz dazu wird es den dunklen Phad geben, der sich der dunklen Seite zuwendet, und all jenen Geschöpfen gewidmet ist, die sich dir anschließen und gegen das Gesetz der Balance auflehnen. Dort soll ewige Dämmerung herrschen, die dem Licht erst weichen kann, wenn die schwarze Prinzessin geboren wird. Nur die Macht dieses vollkommenen Geschöpfes kann das Reich wieder vereinen und erst dann ist deine Schuld beglichen!«
Vaun hob die Kugel in die Höhe und sprach einen mächtigen Zauber, den niemand jemals vor ihm genutzt hatte, und Crysaldis konnte nichts dagegen tun. Vaun wusste, dass das Zauberreich in seiner ursprünglichen Form verloren war, und rief in seiner letzten Minute die Dämonen des mächtigsten Elementes, des Wassers, an. Augenblicklich erhoben sich riesige Wellen und ließen sowohl die Burg als auch die Armee der schwarzen Schatten von Crysaldis in den Fluten versinken. Die Rebellen kamen dabei um. Nur die dunklen Schatten und ein paar lausige Dämonen verblieben in dem Wasser. So entstanden der Traubenperlensee und die beiden Phade. Eine Legende wurde erschaffen.
Jeder Phad hat sein eigenes Buch und eine eigene Deutung über die Aufgabe der schwarzen Prinzessin. Jeder Phad erschuf seinen eigenen Mythos. Aber niemand weiß wirklich, was die schwarze Prinzessin letztendlich tut. Bis zu deiner Geburt wusste auch niemand, ob sich das düstere Orakel von Vaun tatsächlich erfüllen würde. Der Legende nach soll die schwarze Prinzessin die Mächtigste aller Hexen sein, da sie das gesamte Wissen des Zauberreiches in sich tragen würde. Das kann hilfreich sein, aber auch sehr zerstörerisch! Seit der Ankündigung deiner Geburt gibt es für Darania nur ein Ziel. Sie will dieses Wissen, da es uneingeschränkte Macht bedeutet. Du bist Daranias größter Feind und ihre größte Sehnsucht zugleich, Jezabel. Seit deiner Geburt stehst du zudem unter dem Schutz des Elonyk. Er ist der Urschatten, der in der dunkelsten Höhle von Xestha haust und sich den Körper einer Hexe bedient, um seinen Platz im Hexenrat einnehmen zu können. Er ist der Vater aller dunklen Schatten, ohne die wir unsere großen Zauber nicht vollenden könnten. Momentan ist es Quwill, die ihm ihren Körper leiht. Da du unter seinem Schutz stehst, kann Darania dich auch nicht einfach vernichten. Aber sie ist heimtückisch und wird nicht aufhören, einen Weg zu finden, um dich auszuschalten.
Ich habe dich damals mit einem mächtigen Schutzschild umschlossen. Aber es hieß: Keine schlechte Energie kann hinein und keine Gute hinaus. Da du auch das Blut des dunklen Phads in dir trägst und dieses nun einmal schwarz und böse ist, konnte sich diese Energie lösen und das Schild durchdringen. So konnten die Skulks dich orten. Du bist mächtiger als ich oder sonst irgendeine Hexe, aber du kannst deine Kräfte noch nicht kontrollieren. Das kann anderen Wesen großen Schaden zufügen, Jezabel. Erinnere dich an die Vorkommnisse mit Britany! Das hätte auch böse enden können! Du hast recht. Die Geschichte ist wesentlich verzwickter, als ich zugeben möchte. Aber es ist wichtig, dass du uns vertraust!«
J.J. starrt fassungslos in die Runde.
»Was für eine abgedrehte Geschichte! Es ist schon schlimm genug, dass ich erfahren musste, die Nachfahrin einer bösen Hexe zu sein. Aber DAS ist Stoff für einen Kinofilm! Einen total abgefahrenen Kinofilm!«
Sie holt tief Luft und versucht sich zu beruhigen.
»Ich will das nicht! Bis heute war das ganz lustig, aber diese Geschichte gefällt mir nicht! Ich bin ein Teenager mit Träumen, wie einen Popstar daten oder ein Musikvideo drehen. Vielleicht werde ich ein gefragtes Model oder eine berühmte Künstlerin. Aber auf diesen okkulten Mist habe ich keine Lust! Und wenn das stimmt, was du mir da erzählst, wird mich eine Horde verrückter Hexen jagen, weil ein alter Zauberer vor eintausend Jahren eine dämliche Legende erschuf. Wie willst du das verhindern? Ich will mein normales Leben wiederhaben!«, brüllt sie verzweifelt und schnaubt.
Oma Vettel schreitet auf J.J. zu, die abwehrend ihre Hände vor den Körper hält und sie verachtend fixiert.
Da mischt sich Broaf in das Gespräch.
»Wir haben immer versucht, dich zu beschützen! Es war auch für uns nicht leicht, eine Lösung für dein Wohl zu finden! Es wurde alles immer komplizierter und du wolltest keine Hexe werden. Also suchten wie nach einem Ausweg. Schließlich hatten wir bereits deine Eltern bei diesem sinnlosen Kampf verloren! Jezabel, niemand kann dich zwingen, eine dunkle Hexe zu werden, aber die Magie wird immer in dir sein. Deshalb holten wir dich zurück. Du musstest erfahren, was du bist, da unkontrollierte Magie großen Schaden anrichten kann. Auf den Weg des weisen Phads kann Vettel dich nicht begleiten, da ihre Familie Xestha unterstellt ist. Es ist ein Segen für uns, dass du wieder hier bist, kleine Prinzessin, da man diesen Vergessenszauber eigentlich nicht wieder rückgängig machen kann. Es ist wirklich erstaunlich, wie stark du bist! Bitte vertrau deiner Großmutter und mir auch!«
J.J. entfährt ein langer, ausgedehnter Seufzer. Sie schüttelt den Kopf und fasst sich an den Hals, der immer noch höllisch wehtut.
Oma Vettel sieht sie besorgt an.
»Komm, lass uns in die Küche gehen. Ich mache dir einen Tee und dann unterhalten wir uns in Ruhe über alles.«
J.J. sieht genervt zu ihrer Großmutter und schlendert schließlich resignierend an den beiden vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Sie rennt in die Küche und lässt sich auf die Eckbank fallen. Ein paar Erinnerungen blitzen auf und trotzdem kann sie diese Angst, die sie heute Nacht wegen des Feuerdämons hatte, immer noch nicht einordnen.
»War es überhaupt Angst oder nur eine verdrängte Erinnerung? Vielleicht sogar eine alte Sehnsucht? Nach allem, was ich gerade erfahren habe, könnte es alles sein.«
Sie schüttelt den Gedanken sofort wieder ab und dreht sich zu ihrer Großmutter.
»Heißt das etwa, dass ich ein schlechter Mensch bin?«, fragt sie leise.
Ihre Stimme klingt heiser und sie bemerkt, dass sie Temperatur bekommt.
Oma Vettel nimmt ihre Hände und umschlingt sie fest.
»Das hast du vollkommen falsch verstanden, Jezabel. Das heißt nur, dass du die Macht hast, zu entscheiden, wer du sein möchtest und was du tust. Niemand, kein Hexenrat, keine Marla oder ich, kann dich für diese Entscheidung bestrafen. Sieh dich an! Du bist wunderschön. Du hast die Haare einer Elfe und die Augen einer Fee. Du bist bestimmt kein schlechter Mensch, mein Schatz. Es ist nur sehr kompliziert. Darania ist unser gemeinsames Schicksal. Genauso wie wir das ihre sind.«
Oma Vettel nimmt ihre Enkelin fest