Carl Heyd

Papa und die Motorradrocker


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meistens waren dann „Homos“ involviert – verfiel er in seinen Ursprungsdialekt. Das Navigationssystem vermeldete, dass wir unseren Zielort erreicht hatten. Der Club hatte sich ein altes Tankstellengebäude zurechtgemacht – das hatte schon was. Auf einem davor stehenden Schwenkgrill brutzelten einige Fleischwaren, die verführerische Düfte absonderten. Das Schönste am Sommer ist halt doch die Grillerei, da gibt es nichts!

      Manni katapultierte seine hagere, drahtige Gestalt aus dem Auto und zog skeptisch die Augenbrauen hoch.

      „Schon ein paar Homos entdeckt?“, erkundigte ich mich fürsorglich.

      „Der da vorne, der neben dem grünen Motorrad steht, der sieht mir nicht ganz koscher aus, das könnte eine Schwuchtel sein“, erwiderte mein Assistent todernst in einem konspirativen Tonfall.

      Viel war noch nicht los. Ich erblickte circa sechs bis sieben Biker, einer davon näherte sich uns mit raschen Schritten.

      „Nicht so schüchtern, die Herren, immer hereinspaziert!“, rief uns ein hochgewachsener Rocker mit beachtlicher Bierplauze freundlich entgegen. „Ich bin Heinz Siekmann, aber ihr könnt mich Heinzi nennen. Ich bin der Präsident von diesen wilden Kerlen.“

      So wild kamen die mir zum Teil zwar nicht gerade vor, aber nun gut. Heinzi führte uns ins Innere des Clubhauses, wo uns eine imposante Theke und mehrere gemütlich wirkende Sitzecken empfingen. Natürlich war alles – das hatte ich nicht anders erwartet – auf Amiland gemacht: Die Wand hinter der Theke war mit einem überdimensional großen Bild der New Yorker Skyline bedeckt, es gab einen knallroten Kühlschrank, der nicht mit Coca-Cola-Schriftzügen geizte, und das Motorrad, das in der Mitte des etwa zehn mal sieben Meter großen Raumes stand, besaß einen als Star-Spangled Banner geairbrushten Tank. Heinzi fiel sofort auf, dass meine Blicke auf das Motorrad fielen.

      „Das ist ein geiles Teil, oder? Wir hatten das auch mal mit einem Skelett in Cowboystiefeln geschmückt, aber das ist seit einigen Tagen verschwunden, das muss irgendein Scherzkeks geklaut haben …“

      Er zog seine etwas zu weit sitzende Hose hoch und grinste uns an: „Aber nicht das ihr jetzt auf falsche Gedanken kommt: Unser Skelett saß hier immer nur friedlich und apathisch rum, das konnte nicht Motorrad fahren wie das Ding da auf YouTube.“

      Manni und ich versorgten uns an der Theke mit kalten Getränken und gingen dann wieder nach draußen. Heinzi hatte sich dort zwischenzeitlich anderen Neuankömmlingen zugewandt, die er ebenso herzlich wie uns begrüßte. Moreno junior konnte ich noch nicht entdecken. Sein Vater hatte mir noch einige Bilder gemailt, die einen etwas grobschlächtig aussehenden Bodybuildertypen mit fettigen Haaren zeigten.

      Heinzi kam jetzt wieder zu uns: „Leute, ihr steht da ja am Hintern der Welt. Los, kommt mit, ich zeig euch jetzt mal ein paar echt coole Zeitgenossen.“

      Wir dackelten hinter dem Präsi her und wurden zwei weiteren Devils vorgestellt. Shakehands. Der von Manni schon aus zwanzig Metern Entfernung als potenziell schwul eingestufte Biker, der auf den bürgerlichen Namen Sven hörte, hatte einen etwas schlappen Händedruck, und im Vergleich zu seinen meist imposant gebauten Kameraden (entweder sehr groß oder sehr dick oder beides zusammen) sah er auch etwas mickrig aus: dünne Ärmchen, dünne Beinchen, dazu ein Brillengesicht wie ein Gymnasiast mit den Leistungskursen Mathematik und Physik.

      „Sven ist Probationary und unser Nesthäkchen“, stellte Heinzi dann auch gleich klar. Sven errötete daraufhin merklich.

      „Der Moreno ist zwar noch jünger, sieht aber älter aus, nicht wahr, Nesthäkchen?“ Von einem dreckigen Lachen begleitet, klopfte Heinzi ihm auf die Schulter. Der zweite Biker, der uns vorgestellt wurde, sah schon eher aus wie ein klassischer Motorradrocker: lange schwarze Haare, die zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden waren, Vollbart, stämmige Erscheinung. Bei dem drehte sich vielleicht schon noch die eine oder andere Oma aus der Provinz skeptisch um.

      „Stone ist unser Road-Captain“, fügte Heinzi stolz an. „Der plant die Touren, kümmert sich um Unterkünfte und Verpflegung und so. Ein ganz wichtiger Mann für unseren MC. Seid ihr eigentlich auch Biker?“

      Als guter Präsi war er naturgemäß ständig auf der Suche nach neuen Mitgliedern.

      „Ich fahre Motorrad, allerdings keinen Chopper, sondern eine Yamaha R6“, antwortete ich wahrheitsgemäß. Mein Assistent gab zum Besten, dass er als Jugendlicher mal eine MZ-125er, die angeblich „locker an die 150 Klamotten“ schaffte, besaß, seitdem aber nicht mehr zweirädrig unterwegs war. Heinzi guckte etwas enttäuscht aus der Wäsche, blieb aber dennoch an uns dran.

      „Das mit der Yamaha müssen wir noch mal auf die Tagesordnung setzen. Wäre eine Harley denn nichts für dich? Was meinst du, was du damit für einen Erfolg bei den Weibern hättest …“

      Ich guckte mich um und sondierte die wenigen Frauen, die bereits anwesend waren. Das war bisher – mit sehr viel Wohlwollen betrachtet – bestenfalls Münchener Durchschnittsware. Das behielt ich allerdings für mich, denn ich war ja schließlich im Dienst und nicht auf privatem Konfrontationskurs.

      „Das glaub ich dir gern, Heinzi. Du, sag mal, ich habe da eben aufgeschnappt, dass du in Versicherungen machst. Hast du da vielleicht mal ein Kärtchen für mich?“

      Er nickte eifrig und versprach mir, im Laufe des Abends eine aus seinem Auto (Auto???) zu holen. So langsam füllte sich die Veranstaltung, und ich erblickte jetzt auch Moreno junior, der mit Kartoffelsalat gefüllte Eimer ranschleppte. Er trug noch keine „Colors“ des Clubs, lediglich sein schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift „Devils-Supporter“ zeigte die Verbindung zum Bikerverein. Er war halt noch kein Vollmitglied, sondern Prospect, also Anwärter. Umso besser standen natürlich auch unsere Chancen bei der ganzen Geschichte, denn als Neuling war er dem Club wohl noch nicht allzu stark verbunden. Ansonsten galt: wie der Vater so der Sohn. Rein optisch verband die beiden zwar eher wenig, aber das selbstbewusste und einnehmende Wesen hatte sich offenbar vererbt. Es waren diese gewissen Leute: Sobald sie auftauchten, strömten sie in den Mittelpunkt wie Motten ins Licht und gaben mit jeder Geste, jedem Ausspruch zu erkennen, dass sie dort auch zweifelsohne hingehörten. Sie waren lauter als andere, aufdringlicher als andere, egoistischer als andere – und mit diesen Verhaltensmustern häufig auch durchaus erfolgreicher als andere.

      Nimm einen Einmannhandwerksbetrieb, liebe Maus, zum Beispiel einen Heizungsinstallateur. Der ehrliche, fleißige Mann bekommt fast zeitgleich zwei Meldungen über nicht richtig funktionierende Heizungsanlagen. Der erste Kunde ist einer von der netten Sorte: viel „bitte“, noch mehr „danke“ und „entschuldigen Sie die Störung“. Der zweite Kunde verfügt über eine qualifizierte Ellbogenmentalität, er mault rum, drängelt und droht (die Reihenfolge kann variieren). Was glaubst Du wohl, welcher der beiden zuerst bedient wird? Genau, richtig geraten! Der Querulant sitzt schnell wieder in seiner angenehm temperierten Wohnung, und der nette Kerl von nebenan, den alle sooooooooooo gern mögen, holt sich eine Lungenentzündung und krepiert jämmerlich in einem Schwabinger Krankenhaus. So sieht das aus, ob es einem gefällt oder nicht.

      Moreno hob plötzlich beide Arme und winkte wüst wie ein Fluglotse. „Hey, alle mal herhören, ich habe eben was Interessantes gehört: Das Skelett soll einen Biker abgeknallt haben, hat ihm mit einer Schrotflinte den halben Schädel weggeballert!“

      Ein Raunen setzte ein – damit hatte wohl niemand gerechnet, das konnte nun wirklich kein Werbegag mehr sein, nicht mal Benetton hätte sich so etwas getraut.

      „Kommt mit rein“, rief einer der Rocker, „das schauen wir uns in der Glotze an!“

      In Scharen strömten die Gäste ins Clubhaus, sodass einiger Freiraum am Grill geschaffen wurde, was meinem hungrigen Magen sehr gelegen kam. Manni und ich versorgten uns mit ein paar saftigen Steaks, die hervorragend schmeckten. Der Kartoffelsalat aus dem Zehnlitereimer war allerdings weniger gut, es gibt einfach keine guten „fertigen“ Kartoffelsalate.

      „Was hältst du von dem Haufen?“, erkundigte sich Manni bei mir. Ich überlegte. Im Großen und Ganzen entsprach mein erster Eindruck den Erwartungen, die sich nach meinem Gespräch mit Gero gebildet hatten: harmlose Feierabendrocker, in den Augen vieler Anhänger der Bandidos oder Angels (darf man die eigentlich