n>
Dietrich H. Sturm
TÖDLICHE SIESTA
Roman
Mit diesem Roman möchte ich meine höchste Achtung vor all denjenigen zum Ausdruck bringen, die in Argentinien in den Jahren vor und nach 1976 für ihre Rechte und für die Freiheit gekämpft haben.
Die Handlung des Romans steht im Einklang mit den historischen Tatsachen, auch wenn der größte Teil ins Reich der Fiktion gehört.
Mein Dank gilt all denen, die mich unterstützt haben. Zunächst Thomas von Åkerman, Günter Busse Grawitz, Wolfgang Grillo, Hubert Eichheim, Karin Herrmann, Ulo Olschewski. Und natürlich allen argentinischen Freunden, die irgendwie in dem Roman Spuren hinterlassen haben.
Die erste Leserin war Doris, mit der ich die argentinischen Jahre und alle folgenden erlebt habe. Ihr ist der Roman gewidmet, mit Liebe und Bewunderung.
Dietrich H. Sturm
Starnberg, Frühjahr 2013
Der Autor studierte Geschichte und Germanistik.
Als Mitarbeiter des Goethe-Instituts war er in Argentinien, Venezuela, Belgien und Frankreich tätig.
Copyright: © 2013 Dietrich H. Sturm
Druck und Verlag: epubli GmbH, Berlin
ISBN 978-3-8442-5774-8
Umschlagfotos: Dietrich H. Sturm
PERSONEN
Marcos von Schill, Erzähler
Rafael Bertram, Kaufmann
Trixi, geb. Angerer - seine Frau
Pedro - Peón
Koch - toter Verwalter
Angerer -Vater von Trixi Bertram,
Alfonso Heimer - Feinkosthändler und Antiquar
Victoria Carvallo (Vicky), Bolivianerin
Marta Morales (Martita), Vickys Tante
Paola, Freundin von Vicky
Raúl Acevedo, Polizist
Marinelli, Polizist
Lea Isemuth - Leiterin des Kulturinstituts
Quevé Borgati - Theaterregisseurin
Horst J. Anschütz - deutscher Generalkonsul
Sebastián Ahrens, Student
Dr. Herzog, Arzt
Alfredo Vasquez - Offizier
Pablo Petersen, Estanciabesitzer
von Flossencamp - deutscher Immigrant
Federico Nikolic, Provinzbeamter
Bernardo Aglio, Immobilienmakler
Ugo, Puppenspieler
Ausritt
Muss denn immer was los sein? und danach ein unwilliges Stöhnen.
Also, Rafaels Stöhnen am frühen Morgen, dafür allein lohnt es sich aufzustehen. Er ächzt sogar, wenn er die Kaffeetasse absetzt. Was sage ich - sogar wenn er den Zuckerlöffel aus der Hand legt. Als hätte er ein ernsthaftes Leiden, so stöhnt er. Du glaubst es nicht - so träge und ist doch ein reicher Mann geworden. Ich hab mich tausendmal gefragt, wie er das angestellt hat. Sein biblischer Geiz allein kann es nicht sein. Manchmal ertappe ich ihn dabei, wie er im Winter die Autoheizung abstellt, um zu sparen. Und der Winter hierzulande kann ganz schön schattig sein, das können Sie mir glauben. Dabei müsste er wirklich nicht geizen, als Großhändler für Autoersatzteile und Besitzer von fünf Tankstellen. Unter anderem. Trixi macht sich gelegentlich darüber lustig. Im Winter muss ich schwer aufpassen, hat sie einmal gesagt, sonst schneidet er der Katze den Schwanz ab, damit er die Tür schneller hinter ihr zubringt, wegen der Heizung. Rafa hat nur zustimmend gegrinst. Er spart halt gern, das ist eine Leidenschaft. Schließlich war sein Vater Schwabe. Dem hat er die Knauserei abgeschaut. Bei dem Alten hat man das verstanden, der ist mit nichts eingewandert, der hatte keinen Centavo zu verschenken. Als der in Buenos Aires aus dem Unterdeck gekrabbelt ist, hatte sein Hab und Gut im Schnupftuch Platz. Schlau ist er natürlich, der Rafael. Das musst du aber auch sein, in diesem Land, sonst wird dir das Fell über die Ohren gezogen. Schlau und hart, sonst bringst du´s zu gar nichts im Leben. Hier ist jeder Geschäftsmann schon unglücklich, wenn er bis zum Mittagessen noch keinen über den Tisch gezogen hat. Ein „Vivo“ muss man sein, ein Cleverle, wie Rafa sagt. Der Dumme lebt von der Arbeit, und der „Vivo“ lebt vom Dummen, so läuft das. Außerdem denke ich immer, dass die Trixi ziemlich viel Schotter in die Ehe mitgebracht hat, so wie sie den Rafael rumkommandiert. Das hat nicht nur damit zu tun, dass sie resolut ist, die hübsche Trixi. Die hat noch andere Qualitäten, zum Beispiel einen imposanten Papa. Vor ihrem Alten kuscht Rafa ganz gewaltig. Wenn der in der Estancia auftaucht, hat sein Schwiegersohn nichts mehr zu melden, da flötet er ständig „aber ja“ und „aber gern“ und „freilich Papa“. Er soll ja früher anders geheißen haben, der Angerer. Wie viele von denen, die nach dem Krieg hierhergekommen sind. Und mitgebracht hat er deutlich mehr Zeug, als man ins Schnupftuch packen kann, das können Sie mir glauben. Im Gegensatz zu Bertram, dem Vater von Rafael. Aber das ist lang her, das alles juckt jetzt keinen mehr, bald dreißig Jahre danach. Auch Juden haben sich damals umgetauft, wie mein Freund Schleißheimer, der jetzt Heimer heißt, kurz und bündig. Auf Spanisch wird ja das „h“ nicht ausgesprochen. „Eimer“ also, und so sieht er auch aus, der alte Herr. Wie ein umgedrehter Kübel sieht er aus, mit seinem Bauch und den dicken Beinen. Aber absolut korrekt ist er, deshalb hat er es auch nicht weit gebracht, mit seinem Feinkostladen.
Muss denn immer was los sein? protestiert Rafael noch zwei Mal, aber Trixi zieht ihn gnadenlos in die Morgensonne, und samt seinem Brummschädel muss er sich breitbeinig hinstellen, unter den dichtbelaubten Algarrobo vor dem großen Eingangstor und in seinen braunen Schaftstiefeln den Patrón mimen, obwohl die Estancia eigentlich nicht ihm gehört sondern der Trixi. Oder sie gehört immer noch dem Angerer und deshalb muss Rafael sich so ducken. Er räuspert sich, atmet tief ein und ruft nach Pedro. Eine laute Stimme hat er, egal wie viel er sich am Vorabend durch die Kehle geschüttet hat, das muss man ihm lassen. Mit dem Organ schreckt er die Aasgeier schon in 500 Meter Entfernung auf, wenn sie an einer Rinderleiche nagen. Pedro ist auf „El Porvenir“ sowas wie ein Vorarbeiter. Er kommt auf seinen zerschlissenen Alpargatas vorsichtig angelatscht, schaut etwas lauernd zuerst zu Trixi, dann zu mir, als könnte er von uns erfahren, wie der Patrón heute gelaunt ist, nach der gestrigen Sauferei. Bevor er dem Pedro anschafft, was zu tun ist, dreht sich Rafa zur Trixi um und will wissen „Pferde oder Jeep?“. Mit seinem Brummschädel kann er noch nicht so schnell denken, sonst hätte er das vorher gefragt und nicht in Gegenwart seines Angestellten. Der verzieht keine Miene. Die Trixi schon, sie lächelt süßlich und sagt: Hab ich doch schon vorhin gesagt, mein Liebster, den Jeep. Pedro bewegt sich keinen Millimeter und wartet auf direkte Anweisung. Den Sombrero hält er vor den Bauch, als müsste er etwas verbergen. Er wäre nicht der einzige hier in der Sierra, der was zu verbergen hat, das können Sie mir glauben. Pedro, den Jeep, sagt Rafael, und Pedro trabt ab.
Auf den Jeep ist Rafael besonders stolz, mehr noch als auf seine Gäule. Denn gute Gäule gibt es in dieser Gegend jede Menge. Aber ein Jeep Willys, ein echter, aus den USA, ein Willys, der den Krieg erlebt hat und immer noch einwandfrei funktioniert, das ist noch steiler als der uralte Ford T, den der Orchesterchef bei den Proben vor dem Teatro Rivera Indarte abstellt, wo eigentlich Parkverbot ist, damit alle sehen, dass er nicht nur was von klassischer Musik versteht sondern außerdem noch populäre Neigungen hat. Dass er eben peronisten-tauglich ist. Also mit dem Willys kommen Sie auf jeden Hügel und in jede Schlucht. Unglaublich, was der leistet, schließlich haben die Amis damit den Krieg gewonnen. Als Rafael den Willys eben erst gekauft hatte und ihn vor dem Rancho ausprobierte, bin ich ganz leise von hinten aufgesprungen, hab ihm den Zeigefinger in den Rücken gebohrt und geschrien: Hände hoch, dies ist eine Entführung! Sie