Dietrich H. Sturm

Tödliche Siesta


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ist aus seiner Schreckstarre erwacht und fragt ausgerechnet mich, was jetzt zu tun ist. Er ist doch schließlich der Boss hier. Na schön, ich hab ihm gelegentlich geholfen, wenn bei ihm geklaut wurde, wenn ihm eine Kuh abhanden kam und so was. Einmal haben sie ihm in der Nacht alle vier Reifen vom Jeep abmontiert. Das war ein Kinderspiel, den Kerl herauszufinden. Unter der Hand einen vernünftigen Betrag ausgelobt und es findet sich schnell ein Judas unter diesen armen Gaunern hier oben. Juan Seisdedos heißt der Klaudieb, Juan Sechsfinger auf Deutsch. Das ist ein Übername, denn er hat tatsächlich an jeder Hand einen Finger mehr als normale Christenmenschen. Er hat das wohl als Wink des Schicksals empfunden, die Laufbahn eines Langfingers einzuschlagen, auch wenn mit seinen beiden letzten Fingern, unter uns gesagt, nicht viel Staat zu machen ist. Seisdedos musste die Reifen wieder anmontieren und zur Strafe auch noch den Jeep waschen. Und natürlich bestand Rafa darauf, das Kopfgeld von ihm ersetzt zu bekommen. Eine Anzeige? Ach was, damit ist doch keinem gedient. Den Polizisten macht´s nur Arbeit, und da sind die echt nicht scharf drauf, und der traurige Typ hat dann Rachegelüste, da weißt du nie, was daraus entstehen kann. So wie wir das geregelt haben, wird Seisdedos sich künftig im Umfeld von „El Porvenir“ mit dem Klauen zurückhalten, einige Zeit zumindest. Außerdem hat Rafa auf diese Weise einen mehr hier oben, der ihm verpflichtet ist. Man weiß nie, ob das nicht gelegentlich von Nutzen sein kann. Also, solche Sachen mach ich gern für ihn, ist irgendwie auch einer meiner Berufe, solche Typen zu schnappen, die glauben, man könnte schon durchs Leben kommen, ohne genau nachzudenken. Ich bin ja froh, wenn ich Rafa einmal einen Gefallen tun kann, sonst käme ich mir ja wie ein Schnorrer mit Vollpension vor, wenn ich auf der Estancia das Leben genieße. Und der Trixi sowieso, für die würde ich ja sonst was tun, damit sie einen Grund hat mich dankbar anzulächeln. Nicht so schelmisch oder kess wie immer, sondern echt dankbar. Das wär schon was! Aber Mord, das ist eine ganz andere Liga, da spiel ich nicht mit.

      - Und jetzt, Marcos? fragt der Rafa noch einmal und schaut mich mit seinen schwarzen Freundesaugen Hilfe suchend an. Ganz grau ist er im Gesicht, nach mindestens zwanzig Jahren mehr sieht er aus, wie ein alter Mann mit fünfzig.

      - Pues, sage ich langsam mit einem langen „e“, um etwas Zeit zu gewinnen. Pueees... Sie müssen wissen, fast alle Deutschstämmigen beginnen mit „pues“, wenn sie sich noch nicht so klar sind, was am Ende bei dem Satz herauskommen kann. Man könnte natürlich auch „also“ sagen, mit einem langen „o“, das in seiner Länge in direkter Relation zum Gewicht des Problems steht, um das es geht. Aber das „pueees“ ist schon noch einen Strich besser. Echte Endbetonung eben, das zieht die Sache viel unauffälliger hinaus, da ist das Spanische schon überzeugender, keine Frage. Und deshalb sagen hier alle pues, auch wenn sie Deutsch miteinander reden. Nur nicht der Feinkosthändler Heimer, der sagt aber auch nicht „also“ sondern „je nun“. Ebenfalls endbetont. Deshalb wahrscheinlich. Klingt schon irgendwie besonders. Je nuuun, lieber Herr von Schill, hat er mir geantwortet, ich bin nicht sicher, ob ich dort willkommen bin, und ich bin auch nicht sicher, ob es mir dort gefallen würde. Ich hatte ihn vor langer Zeit gefragt, warum man ihn nie im Deutschen Klub sieht, er ist doch auch Deutscher. Das war vielleicht nicht ganz fair von mir, aber es war keine böse Absicht, ich wollte ihn halt aus der Reserve locken, weil er nie von sich spricht. Hat ja auch geholfen, aber das erzähle ich dann vielleicht später.

      Pues, wiederhole ich also und rede meinen Freund mit seinem kompletten Vornamen an, in einer solchen Situation ist eine gewisse Förmlichkeit schon angebracht. Pues, Rafael, lass uns mal nachdenken.

      Er versteht sofort und befiehlt Pedro, dass er den Ort der Untat räumen lässt und dann vor der Hütte aufpasst, dass niemand mehr hereinkommt, während wir drin sind. Die zwei Peones und ihre Frauen, die den Toten entdeckt haben, werden hinauskomplimentiert. Pedro baut sich draußen auf und schaut so grimmig drein, als würde er den toten Präsidenten Perón persönlich bewachen.

      - Pues, Rafa, sage ich, ihr müsst natürlich die Polizei verständigen, das geht nicht anders. Die können dann von Villa General Belgrano aus in einer halben Stunde hier sein. Aber gehen wir mal davon aus, dass das Telefon nicht funktioniert, das soll ja immer mal wieder vorkommen, und dass wir erst in sagen wir mal ebenfalls einer halben Stunde in die Leitung kommen, dann haben wir insgesamt eine volle Stunde, bis die Herren hier sind. Und ich denke, die Zeit werden wir brauchen, um unsere Gedanken zu ordnen und den Polizisten keinen Blödsinn zu erzählen. Der Fall ist ja nicht gerade alltäglich für alle Beteiligten. Kapierst du, was ich sagen will?

      Natürlich hat er das kapiert. Ich seh´s ihm an, wie es hinter seiner Geschäftsstirn arbeitet. Es bewegt ihn ja nicht nur die Frage, wer der Mörder sein könnte. Mehr noch, es geht um seinen Ruf als Geschäftsmann. Morgen ist Montag, da sitzt er wieder im Anzug in seinem Büro und hat Vertrauen und Autorität auszustrahlen. Da macht es sich bei den Geschäftspartnern nicht gut, wenn die Gerüchte in die falsche Richtung gehen. Gar nicht gut!

      - Ich werde die Polizei anrufen, sagt Rafa auf Spanisch Richtung Tür und laut genug, dass alle es hören können, denn mittlerweile haben sich die meisten Männer, Frauen und Kinder, die hier oben leben, eingefunden und verfolgen neugierig, was sich abspielt.

      Beim Hinausgehen fragt Trixi den Pedro, warum Vicky nicht zu sehen ist. Sie haben ihr doch heute frei gegeben, antwortet er, sie ist in Belgrano. Rafa nimmt seine Frau beim Arm und strebt zum Haupthaus. Er hat es eilig, weg zu kommen.

      - Langsam! sage ich auf Deutsch, damit es keiner versteht. Langsam, Rafa!

      Stabreim oder Endreim?

      Von dem Rancho des Verwalters sind es vielleicht zehn Minuten bis zum Herrenhaus, wie Angerer das Haupthaus scherzhaft bezeichnet. Als wir die schwere Tür hinter uns geschlossen haben, wankt Rafa zu seinem Schaukelstuhl, also ich übertreibe nicht, er wankt wirklich, und dann schaukelt er vor und zurück und wackelt mit dem Kopf im gleichen Takt, ungefähr so wie man sich einen chronisch Depressiven vorstellt. Trixi kniet sich neben ihn, nimmt seine Hand und legt das Gesicht auf seinen Oberschenkel. Sie kommen mir vor wie Hänsel und Gretel oder so ähnlich, und es geht mir richtig nahe, das können Sie mir glauben. Bei Trixi kommt jetzt erst der Schock an, nachdem sie sich vor dem Personal nichts anmerken ließ. Sie hatte sich, als sie vor der Hängematte stand, wirklich bewundernswert in der Gewalt, trotz des schauerlichen Anblicks, den der nackte Verwalter mit seiner verbrühten Haut bot. Aber nun zittert ihr ganzer Oberkörper, immer wieder, mit kurzen Pausen dazwischen.

      - Mut Leute! sage ich und will schon den weisen Satz anfügen: es wird nichts so heiß gegessen wie es gekocht wird, aber das wäre dann doch nicht passend, angesichts der Art und Weise wie Koch ums Leben gekommen ist.

      - Wer kann so etwas Entsetzliches tun? fragt Rafa schließlich und sieht mich an als müsste ich die Antwort parat haben.

      - Wir wissen immerhin, wann er es getan hat. In der Nacht jedenfalls, denn vorher konnte er nicht sicher sein, ob nicht doch noch jemand beim Haus sein würde. Um sich noch etwas von dem Wein zu holen, oder ein Stück kaltes Fleisch vom Rost. Und er musste sich Zeit nehmen, um das Wasser in dem großen Kessel zwei oder drei Mal zum Kochen zu bringen. Er holte es wahrscheinlich heiß aus dem Gasboiler, aber trotzdem, das dauert.

      - Also kein Affekt, sagt Rafa, steigt stöhnend aus seinem Schaukelstuhl und setzt sich an den gewaltigen Esstisch in der Mitte des Raums.

      - Nein, bestimmt kein Affekt, pflichte ich ihm bei. Das war jemand, der planvoll vorging. Aber ich kann mir trotzdem nur vorstellen, dass er den Koch zutiefst gehasst hat. Er hat ihm keinen normalen Mord mit dem Messer oder dem Knüppel gegönnt. Und schon gar keine Kugel. Womit könnte der Mann so einen Tod verdient haben?

      - Keiner mochte ihn, das ist sicher, keiner, sagt Rafa und wischt mit der Hand pausenlos über die dicke Tischplatte, obwohl dort gar keine Krümel liegen. Er hat die Peones schlecht behandelt und hat ihnen nichts durchgehen lassen. Aber, was die Leute hier oben besonders schlecht vertragen - er hat sie angeschrien. Und nicht nur, um sie anzutreiben, sondern um seine üble Laune an ihnen auszulassen. Du hast das ja selbst miterlebt. Ich erinnere mich, dass du entsetzt warst, wie er sich beim Viehbrand aufgeführt hat.

      - Das stimmt, und was besonders schlimm war, er hat sie nicht nur angeschnauzt, er hat sie beleidigt, ganz gezielt und persönlich, jeden einzelnen. Das ist unverzeihlich, das vergisst