als käme es direkt aus der Druckpresse, abgesehen davon, dass der gelbe Titel-Aufdruck auf dem Buchdeckel unter der Sonne des Südens verblasst und kaum mehr leserlich ist. Die Fotos allerdings sind mächtig befummelt worden. Fettflecken, Eselsohren und eine Rotweinspur lassen vermuten, dass die nackten Indianermädchen aus den Amazonaswäldern bei dem toten Leser mehr Interesse geweckt haben als der Text aus Ernesto Wagners Feder.
„Legion Condor“ steht auf dem dritten Buch. Ich setze mich an den wackligen Tisch am Fenster, um besser sehen zu können und blättere. Fotos von jungen Männern in Uniform, mit strahlenden Gesichtern unter dem Stahlhelm. Andere spähen kühn aus Panzerwagen in die spanische Landschaft. Piloten in der Me 109 winken dem Fotografen vor dem Start zu. Bürgerkrieg in Spanien, Deutsche kämpfen mit Francos Soldaten und den italienischen Truppen gegen den Bolschewismus. Vermutlich ist einigen von ihnen das Lachen vergangen, als sie nach dem Krieg erfuhren, wie die Welt über diesen Kampf dachte. Ein paar von den anderen können Sie in Argentinien treffen, wenn Ihnen daran liegt. Solche die heute noch stolz darauf sind, damals Guernica in Schutt und Asche gelegt zu haben, wie das so schön heißt. Vorn im Buch entdecke ich eine handschriftliche Widmung. „Alfred Koch mit kameradschaftlichem Gruß, H.U. Rudel“, fein säuberlich mit Tinte geschrieben. Und das Datum 15. Oktober 1955. Hans-Ulrich Rudel, höchstdekorierter deutscher Offizier des 2. Weltkrieges. Ich bin ihm nie begegnet. Mein Vater hat mir von ihm erzählt, und andere auch. Angerer hat ihn gut gekannt und sprach früher oft von ihm. Sie waren Geschäftsfreunde, Angerer mit seinem Import von Maschinen und technischem Zubehör, und Rudel als Berater für diverse Diktaturen auf dem Subkontinent. Rudel ist nach dem Krieg über Rom nach Argentinien gekommen. Rom, das heißt Vatikan. Viele Wege führten damals über Rom nach Südamerika, vor allem nach Argentinien. Für Nazis - Juden waren weniger willkommen. Im Vatikan gab es sogar einen Bischof, einen Österreicher, der speziell dafür zuständig war. Glauben Sie nicht? Doch, doch! - Alois Hudal hieß er, ich kann Ihnen ja mal bei Gelegenheit Genaueres erzählen. Unter Perón, ich meine, während seiner ersten Regierungszeit, war Córdoba die Waffenschmiede Argentiniens. Gewehre, gepanzerte Fahrzeuge, sogar Düsenflugzeuge - man glaubt es kaum, was von hier aus nach halb Lateinamerika exportiert wurde. Natürlich, wen wundert´s, deutsche Konstrukteure und Techniker waren nicht unbeteiligt. Was mag dieser arme Teufel von Koch, diese gescheiterte Existenz, mit dem Millionär und Kriegshelden Rudel gemein haben? Sauferei bei einem Grillfest? Reicht das für eine kameradschaftliche Widmung? Nostalgie, alte Zeiten, Fliegerkameraden? Hat er Rudel leid getan, wollte der ihm das krumme Rückgrat stärken, damit er nicht völlig absackt?
Als ich den Band zu den anderen beiden zurück stelle, sehe ich auf dem Bord etwas liegen. Muss wohl aus einem der Bücher gefallen sein, als Acevedo sie heruntergenommen hat. Da er nicht sehr groß ist, unser Polizist, konnte er es nicht auf dem Bord liegen sehen. Ich greife hoch, fühle Leder, und hole es herunter. Es ist tatsächlich ein Stück Rindsleder, ungefähr zwei Handteller groß mit einem Loch am Rand, wie für einen Nagel. Das Zeichen, das da eingebrannt ist, gleicht einer Vogelspinne. Sie wissen schon, dieses pelzige Insekt, das nicht sehr beliebt ist, da giftig. Man könnte fast meinen, das Emblem wäre ein Brandzeichen, um Rinder zu markieren. Um danach ein Brandeisen zu schmieden, ist es aber doch ein bisschen zu kompliziert. So eine Vogelspinne hat ja nun einen Vorder- und einen Hinterkörper, zwei supergiftige Beißklauen, denen man besser nicht zu nahe kommt, und haarige Beine. Acht Beine. Müsste sie haben, hat sie aber nicht, nicht diese hier. Die Vogelspinne auf dem Fetzen Leder hat nur vier Beine und, ob Sie es glauben oder nicht, es ist unverkennbar: die vier Spinnenbeine formen ein Hakenkreuz. Nie gesehen. Ohne mir viel dabei zu denken, schiebe ich das Lederstück ein und gehe zurück zum Haupthaus.
Im Kulturinstitut
Rafa und Trixi haben sich entschlossen, angesichts der Umstände den Montag über noch auf der Estancia zu bleiben. Vor allem wollen sie dabei sein, wenn der Gerichtsmediziner kommt. Sie hätten es gern gesehen, wenn ich auch noch einen Tag angehängt hätte, aber ich habe unaufschiebbare Termine in Córdoba und konnte ihnen daher den Gefallen nicht tun.
Die Fahrt von „El Porvenir“ bis in die Stadt dauert locker zwei Stunden. Die Straße ist stellenweise eine Zumutung, und mein Pick-up scheppert wie eine Schachtel voller Schrauben. Zuerst hat die Doctora neun Uhr vorgeschlagen. Sie wollte wohl zeigen, dass sie frischen Wind aus Deutschland mitbringt und den Leuten hier ganz unten auf der Südhalbkugel den richtigen Rhythmus vormacht. Schön und gut, aber das legt sich, wie die Erfahrung zeigt. Im Kulturgeschäft steht ohnehin kein vernünftiger Mensch vor zehn Uhr auf der Matte. Versteht man denn auch, die sind eben nachtaktiv. Wie die Mäuse. Wir haben uns schließlich auf zehn Uhr geeinigt, als ich ihr gesagt habe, dass ich das Wochenende in der Sierra verbringe. Immer noch früh genug, aber ich bin ohnehin Frühaufsteher.
Frau Doktor Lea Isemuth, Germanistin, verkündete der Generalkonsul stolz, der als erster von der Stellenbesetzung erfuhr. Er freut sich natürlich einerseits darüber, denn mit Isemuths Vorgänger konnte er es nicht so recht. Das kann nur besser werden. Andrerseits bleibt die Konstellation dieselbe, nach wie vor. Irgendwie ist sie, Frau hin, Frau her, als Leiterin des deutschen Kulturinstituts eine Konkurrenz für ihn. Kulturbotschafterin, sozusagen. Also er Generalkonsul, sie Botschafterin. Schwierig, schwierig. Außerdem hört man, dass er gerne Ehrendoktor der „Cato“ würde, der Katholischen Universität. Und jetzt kommt da eine echte deutsche Doctora. Auch schwierig. Ohnehin ist Horst J. Anschütz, also der Generalkonsul, schwierig. Der Name nämlich. Wieso? Also passen Sie auf: das „h“ wird im Spanischen nicht ausgesprochen. Ein „rst“, also das können Sie ganz einfach vergessen, das kriegt kein Hiesiger hin. Das „j“ klingt im spanischen Alphabet wie „chota“. Ein „ü“ existiert nicht, und was aus dem „tz“ wird, das können Sie sich ausrechnen, wenn sie an das „rst“ denken. Zusammengefasst: der Name wird von den Einheimischen arglos ungefähr so ausgesprochen: Orchota-anschiss. Manchmal auch Orchota-anschuss. Allenfalls Orchota-anschi. Es wird Sie nicht wundern, wenn ich Ihnen verrate, dass die Unterhaltung im Deutschen Klub nach Ankunft des Herrn Amtsleiters vor zwei Jahren zu einem wesentlichen Teil mit diesem Namen bestritten wurde. Harmlos fröhliche Abende, in absentia, versteht sich.
Gut, mein Problem ist das nicht, wie er mit der Doctora zurecht kommen wird. Weshalb ich sie schnell kennen lernen möchte, dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens: Ohnehin - ich lerne gern Menschen kennen. Zweitens: Sie ist derzeit Hauptthema in der deutschen Kolonie. Immer wenn jemand von drüben kommt. Drittens: Eine junge, unbemannte, von Berufs wegen nachtaktive Kulturmaus könnte eventuell möglicherweise rechercherelevant werden, eines Tages, weiß man nie. Verstehen Sie nicht? Also, ich glaube ich sollte Ihnen langsam durchgeben, dass ich so eine Art Hobby-Detektiv bin, nebenberuflich eigentlich. Abgesehen von solchen Gefälligkeiten wie bei Rafa habe ich mir gewissermaßen ein Spezialgebiet aufgebaut: die diskrete Observation. Richtig - wo, wann, mit wem und nach Möglichkeit wie lange. Viele Frauen finden sich damit ab, hierzulande, wenn der Herr Gemahl fremdgeht. Ist der Mann jung, erfordert es ohnehin die Natur. Ist er alt, dann heißt es „Alter Esel - zartes Gras“. Im spanischen Original finden Sie das hinten im Anhang, Sie wissen schon. Aber die Zeiten ändern sich, jawohl, und die jungen Frauen sind nicht mehr gewillt, die Seitensprünge ohne weiteres hinzunehmen. Wissen ist Macht, auch im süßen Heim. Zumindest für den Klamotten-Etat ist dann was drin, wenn der überführte Gatte tätige Reue zeigt. Für mich ein leichtes Spiel, denn die Señores stellen sich meistens noch dümmer an als Rafas Reifendieb. Die Señoras wiederum sind unheimlich stark im Aufpassen und geben einem meist ganz gute Hinweise, da bist du schnell auf der heißen Spur. Geringe Mühe, guter Lohn, Marcos bürgt für Diskretion, wenn Ihnen mit einem Reim gedient ist. Und wenn gelegentlich eine Señora ihr Glück etwas abseits sucht? Gut, das mach ich dann eigentlich weniger gern. Ist nicht so nett, finde ich, die aufzubringen. Eher freudlos. Manchmal melde ich dann dem Auftraggeber: Observationsergebnis negativ. Und hoffe auf eine Erkenntlichkeit seitens der Dame, wenn sie appetitlich ist. Unbar natürlich, Sie verstehen? Ich meine, wenn sie ihrem Alten Hörner aufsetzt, dann ist doch klar, dass sie keine fanatische Verfechterin des sechsten Gebots ist. Klappt nicht immer, ist aber den Versuch wert, oder? Also, ob die Isemuth eventuell das Gefühlsleben in der Kolonie aufmischen könnte, das interessiert mich, wie gesagt, auch von Berufs wegen. Vielleicht ist sie aber auch einfach ein blasser Blaustrumpf und will nur, dass man sie in ihrer Bibliothek in Ruhe lässt Das werden wir ja gleich sehen.
Ein weiterer Grund für