wie einige dieser Herren immer noch zu sagen pflegen. Ein paar Anrufe aus der deutschen Kolonie „beim Amt“, wie Anschütz zu berichten wusste, genügten damals, und der Botschafter wurde hinwegbewegt. Keine Strafversetzung, beileibe nicht, eine durchaus ehrenvolle, sogar vorteilhafte Versetzung, aber eben weg. Das spricht sich herum, meinte unser Konsul damals, während er einen neuen Wurm auf den Haken pfriemelte. Das spricht sich herum, lieber Schill, und bei der übernächsten Versetzung bekommen Sie das zu spüren, glauben Sie mir. Der Respekt vor diesem unkontrollierbaren Vorgang war seinen wässerigen Augen abzulesen. Ich weiß nicht, ob er das richtig sieht, aber immerhin war kürzlich im Spiegel zu lesen, dass jeder Dritte im Auswärtigen Amt Mitglied der NSDAP war. Glauben Sie nicht? Ich finde das ist überraschend wenig, wenn Sie bedenken, dass in Bayern 94 Prozent der Richter und Staatsanwälte bei der Partei waren. Wie auch immer, davon sind nach dem Krieg noch eine Menge übrig geblieben, denke ich. Es gab nach fünfundvierzig sogar Botschafter, die alte Nazis waren, einer davon in Buenos Aires. Nicht ganz auszuschließen, dass da auch dreißig Jahre danach noch Spätfolgen auftreten, nicht wahr?
Gut, Rückblick abgeschlossen, zurück zur Gegenwart. Und die sieht so aus, dass der gute Anschütz laviert. Ich will ihm ja nicht nachsagen, dass er weiter rechts steht als ein CDU-Mitglied dies normalerweise tut, aber zum linken Flügel seiner Partei zählt er bestimmt nicht, das können Sie mir glauben. Also, mit einem Wort, es fällt ihm nicht schwer, zur Sonnwendfeier die Fackel zu schwingen, „Flamme empor“ zu singen und vielleicht auch noch den einen oder anderen einschlägigen Song. Und so wie es im Amt aussieht, wird er schon über die Runden kommen, mit der Unterstützung des Deutschen Clubs und des Schulvereins. In Bonn wird man schon Nachsicht üben, wenn er ein bisschen an der rechten Kante rumschlittert, denke ich mal.
Ich schiebe Anschütz die Fotos wieder rüber, und er fragt, was denn die Makelei macht. Im Augenblick gut, antworte ich, es gibt in der Wirtschaftskrise nicht wenige, die sich, bedauerlicherweise, von ihren Immobilien trennen müssen. Andererseits wird angesichts der gegenwärtigen Inflation viel gekauft, die Leute setzen auf Sachwerte, ich kann nicht klagen. Ich erzähle ihm von einem schönen Bungalow mit 800 qm Garten und Schwimmbecken, auf dem Rosenhügel, den ich vor wenigen Tagen hereinbekommen habe, und ob er ihn sich nicht ansehen möchte. Nein, nein, wehrt er ab, wo käme ich hin, wenn ich an jedem Dienstort ein Haus kaufen würde. Nicht an jedem, versuche ich ihm zu erklären, aber hier und jetzt ist die Situation wirklich optimal. Der Peso wird immer weniger wert, Ihre DM bleibt stabil, das Haus zahlt sich von selbst ab. Wenn Sie es dann noch an Ihren Nachfolger vermieten können, machen Sie echt einen Reibach. Er schüttelt den Kopf, dass die Tränensäcke unter seinen wässerigen Augen ins Wackeln geraten, nichts zu machen. Irgendwie ist das ja die sympathische Seite bei ihm, dass er total uninteressiert an Geschäften ist. Ich meine, so prächtig verdient ein Diplomat auch wieder nicht, und etwas Zuerwerb tut jedem gut. Eine sichere Beamtenpension lähmt eben die Urinstinkte, wenn Sie mich fragen.
Genug der Kontaktpflege, es gibt zu tun. Ich erlaube mir noch den wohlgemeinten Hinweis, dass eine geräucherte Forelle keine Langzeitkonserve ist und frisch genossen am besten schmeckt, dann stiefle ich zurück zu meinem Pick-up.
Auf Indianerart
Ich mache das Garagentor auf und lasse mich von Zitzewitz begrüßen. Laut bellend springt er an mir hoch, der schönste Boxerrüde von ganz Córdoba, was sage ich, von ganz Argentinien. Ich bin immer erleichtert, wenn ich ihn nach zwei oder mehr Tagen Abwesenheit heil und gesund antreffe und er mir sagt, wie sehr er mich vermisst hat und wie sehr sich über mich freut. Nein, keine Gesundheitsprobleme, mit seinen fünf Jahren ist er bärenstark und robust. Aber er wäre nicht der erste Wachhund, der an einem Stück vergiftetem Fleisch eingeht, das Einbrecher über die Mauer geworfen haben. Ich habe ihm eine ganze Menge Sachen beigebracht, das ist nicht immer einfach, manchmal denkt er etwas langsam, aber wenn er erst einmal kapiert hat, was man von ihm will, dann sitzt das auch. Außer dass er nicht futtern soll, was er nicht von mir bekommt, oder von Ernesto, dem Gärtner, der sich um ihn kümmert, wenn ich unterwegs bin. Er ist der verfressenste Hund den man sich vorstellen kann. Nie würde er etwas liegenlassen, was nach Fressen riecht, mein Zitzewitz. Wie ich auf den Namen komme? Nein, nicht aus Verehrung für den preußischen Landadel. Ich möchte nur nicht, dass andere ihn rufen, die Peones etwa, wenn ich ihn mal mitnehme aufs Campo, oder fremde Kinder, das verdirbt den Charakter. Zitzewitz kann hier keiner aussprechen, da scheitert die romanische Zunge ohne die geringste Chance. Und bei Schischewi oder Ähnlichem hört mein Hündchen gar nicht erst hin, das verbietet ihm sein Selbstgefühl.
Als ich den Pick-up neben den frisch gewaschenen Stolz der argentinischen Autoindustrie, genannt Peugeot 504, in die Garage stelle, höre ich eben noch das Telefon zweimal klingeln. Zu spät. Kaum bin ich im Bad, um mir die Hände zu waschen, klingelt es erneut. Da hat es jemand eilig. Ich hebe ab und höre Trixi erleichtert aufatmen. Gott sei Dank, sagt sie, Marcos, du musst sofort kommen, bitte, bitte! Was ist denn los, will ich wissen, ich bin doch erst heute Morgen von Euch weggefahren. Es stellt sich heraus, dass Vicky heute Morgen nicht auf der Estancia erschienen ist. Trixi hat etwas herumtelefoniert und erfahren, das Vicky in der Nacht von der Polizei festgenommen wurde und sich immer noch auf dem Kommissariat in Belgrano befindet. Du musst etwas unternehmen, Marcos, fleht sie mich an, Rafa ist unterwegs bei Kunden, ich kann ihn nicht erreichen. Ihr Schluchzen trifft mich mitten ins Herz. Vicky in der Gewalt dieser zwei uniformierten Räuber und Trixi mit vor Aufregung feuchtem Höschen allein auf der Estancia - man muss nicht auf einen baltischen Adeligen der alten Art als Erzeuger zurückblicken können, um in der Brust plötzlich das Herz eines Ritters von König Arthus´ Tafelrunde schlagen zu fühlen. Beruhige dich bitte, sage ich durchs Telefon, ich nehme noch eine Dusche und bin praktisch schon auf dem Weg.
Diesmal nehme ich den 504 und packe Zitzewitz auf den Rücksitz. Eigentlich ist der Wagen für die Straßen nach Belgrano zu schade. Aber wir haben es eilig, die Jungfrau aus den Fängen des Drachen zu befreien, und der Pick-up ist eine lahme Schüssel, da müssen die Stoßdämpfer von Argentiniens Stolz schon Verständnis aufbringen.
Vor der Polizeiwache sitzt Marinelli, die Uniformmütze in den Nacken geschoben. Der Wanst in dem verwaschenen dunkelblauen Hemd quillt über den Gürtel. Er denkt, er wäre John Wayne, der mit seinem Colt ganz El Dorado unter Kontrolle hat, unverkennbar. Wie geht´s, Herr Hauptmann? sage ich. Er besitzt doch tatsächlich die Unverschämtheit zu antworten, er habe schon schlechtere Nächte erlebt und zeigt ein ganz billiges, primitives Machogrinsen, das Schwein. Ich bedaure zutiefst, dass ich nicht in der Situation bin, ihm ein paar deutliche Worte zu stecken. Stattdessen sage ich, betont formell, dann könne er mir doch sicher Auskunft über Señorita Victoria Carvallo geben. Ob ich denn ein Verwandter sei, fragt er provozierend, andernfalls sei er zur Verschwiegenheit verpflichtet. Schon das Wort Verschwiegenheit aus diesem fettlippigen Froschmaul ist blanker Hohn. Ich schiebe mit der rechten Hand etwas Sand zusammen, nehme ihn mit drei Fingern hoch und lasse ihn möglichst langsam wieder zu Boden rieseln. Dabei schaue ich Marinelli vielsagend an. Er ist ein Dummkopf, aber dass er sich jetzt für die Gratisladung Bausand erkenntlich zu zeigen hat, ist ja nicht schwer zu kapieren. Außerdem hat er Übung mit solchen Spielchen, der korrupte Sack. Immer noch grinsend antwortet er: Aber sicher, die ist hier, die Señorita, und was ich sonst noch über sie erzählen kann, ist sehr positiv, aber damit würde ich Ihnen ja nichts Neues sagen, das wissen Sie doch schon selber, oder? Er nützt seine Situation bis zum Letzten aus, der Drecksack, aber er vergisst in seiner Blödheit, dass ich ihm das heimzahlen werde, und zwar prompter als er mir den Bausand, darauf kannst du dich verlassen, du Arsch Marinelli. Aber ehrlich, das ist mir jetzt langsam zu dumm, mich mit dieser subalternen Null herumzuärgern, und ich erkläre ihm, dass ich eben mal durchgehe, um Acevedo Guten Tag zu sagen. Der Herr Leutnant ist unterwegs, Verbrecher jagen, sagt Marinelli, und macht eine ironisch respektvolle Miene, der falsche Hund. In dem Augenblick kommt der Landrover um die Ecke, und Acevedo steigt aus. Er nimmt zum Gruß die Hand an die Uniformmütze, schaut zu mir, dann zu Marinelli und wieder zu mir. Gehen wir hinein! sagt er und stiefelt voraus. Sein Kollege bleibt draußen sitzen und betrachtet seinen Wanst. Die Polizeiwache ist nicht viel mehr als eine billige Baracke, und einen Moment lang empfinde ich so etwas wie Mitleid für die Männer, die ihr Leben in solchen halbverfallenen, verschmutzten Räumen verbringen müssen. An dem schiefen Kleiderhaken im Flur hängt friedlich eine Maschinenpistole, ich könnte mich ohne weiteres bedienen. Offensichtlich hat man hier volles Vertrauen, dass