Dietrich H. Sturm

Tödliche Siesta


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und Pinien beschränkt. Allenfalls noch Hunde und Jagd. Manchmal wird er auch eingeladen und man trifft sich in der Nachbarschaft, dann spricht man eben über dieses und jenes. Vorletzten Sonntag war ich bei Petersen, du weißt, von der „Finca Hermosa“. Zu meiner Überraschung war Koch auch dort. Er ist sichtlich aufgelebt, so kannte ich ihn gar nicht. Mit Petersen hat er sich über Spanien unterhalten. Offensichtlich war Koch einige Zeit in Barcelona, bevor er nach Südamerika gezogen ist. Und Petersen war bei der Legion Condor. Ich wusste das nicht, es war eine echte Überraschung für mich. Kannst du dir den dicken Petersen in Fliegermontur vorstellen, wie er als junger schlanker Mann in einer Me 109 Guernica anfliegt? Wirklich Marcos, er war dabei. Es war nicht auszuhalten wie die beiden schwadroniert haben, von den alten Zeiten, als sie den Bolschewisten gezeigt haben, wo´s langgeht, dass Franco in Spanien für Ordnung gesorgt hat, mit eiserner Faust, dass man nur hoffen kann, dass auch dieses herrliche Land Argentinien mit den Kommunisten kurzen Prozess macht. Ich hab mich dann weggesetzt, es war einfach zu viel.

      Ausgesprochen redselig ist er jetzt, der Rafa, für seine Verhältnisse jedenfalls. Ich lobe ihn und sage, das ist doch was. Jetzt wissen wir zwar noch nicht, wer der Mörder war, aber immerhin haben wir einiges über das Opfer erfahren. Dann weise ich ihn darauf hin, dass er jetzt langsam daran denken soll, die Polizei zu informieren. Aber während er den Hörer abhebt, schlagen draußen die Hunde an und wir hören Händeklatschen, und eine laute Männerstimme ruft „Señores!“. Verdammt, sagt Rafa, das ist die Polizei. Um Gottes willen, ruft Trixi aus, wieso sind die denn schon hier? Ich kann schnell noch sagen, dass wir den Bullen möglichst wenig oder gar nichts von Vicky erzählen, als wir hören, wie die schwere Eingangstür aufgeschoben wird.

      Besuch in Uniform

      Die beiden stehen in ihren dunkelblauen Uniformen in der Eingangshalle und schauen sich ungeniert um. Den größeren kenne ich, Marinelli heißt er. Ich hatte zeitweise eine Lizenz, um Sand aus dem Río Tercero zu verkaufen. Die Flüsse bei uns haben ziemlich simple Namen. Der Río Primero ist der nördlichste in der Provinz, der nächste ist der Río Segundo und dann kommt? Jawohl, genau, der dritte Fluss, Río Tercero, und ganz im Süden, Sie werden es kaum glauben, der Río Cuarto und der Río Quinto. Die alten Flussnamen der Indianer sind deutlich einfallsreicher: Suquía, Xanaes, Calamuchita, Chocancharava, Popopis. Da hört man doch klares Wasser munter über runde Kiesel hüpfen, finden Sie nicht? Aber durchgesetzt haben sich die langweiligen Bezeichnungen der spanischen Eroberer. Die waren eben nicht hierher gekommen, um den Poesiepreis der Königlichen Akademie in Madrid zu gewinnen, wie allgemein bekannt sein dürfte, sondern um das Land möglichst schnell zu erobern.

      Also, wie bereits angedeutet, ich hatte einen alten Armeelastwagen günstig erworben und durfte für ein paar Pesos im Jahr so viel Sand und Kies aus dem Flussbett des Río Tercero herausschaufeln wie ich konnte. Das heißt, wie der Peón konnte, den ich dafür bezahlte. Und der große ungeschlachte Typ mit dem breiten Nacken, der sich nun provokativ vor den Pferdebildern aufbaut, als verstünde er etwas von Kunst, der hat eine Fuhre von dem Sand bekommen, geschenkt natürlich. Bausand, Sie verstehen schon, für den Bungalow, den er sich damals in Belgrano hingestellt hat, der Marinelli. Als er mich hinter Rafa und Trixi stehen sieht, kratzt er sich mit derselben Hand, mit der er seine Mütze hält, an seinem kahlen Schädel. Er weiß, dass er mir noch was schuldet und fragt sich, ob das jetzt fällig sein kann und in welcher Form, ich seh´s ihm an. Der andere ist ein drahtiger Typ, eher klein, hält sich sehr gerade, mit einem exakt geschnittenen Bärtchen unter der schmalen Nase. Offensichtlich ist er der Ranghöhere, obwohl er ziemlich jung ist, jünger als ich jedenfalls, und er sieht ganz so aus, als wollte er noch mehr werden als nur Polizist in der Sierra. Er stellt sich mit Acevedo vor und lispelt dabei ein wenig. Man soll wohl merken, dass er von echten Spaniern abstammt.

      Ich will´s kurz machen, die beiden erfahren von uns ungefähr das, was wir eben wissen. Nur Vicky lassen wir unerwähnt. Sie trinken im Stehen den Cafecito, den Trixi ihnen zubereitet. Das Schnäpschen dazu wird von Marinelli genießerisch geschlürft, während Acevedo es unkommentiert stehen lässt. Habe ich mir schon so vorgestellt. Dann fahren wir zusammen zu der Hütte von Koch. Sie nehmen dem Toten das Tuch vom Kopf, das irgendjemand darüber gelegt hat, vermutlich Pedro, und sehen sich das Szenario mit ungefähr derselben Miene an wie vorher die Bilder im Haupthaus. Dabei sagen sie keinen Ton. Marinelli schaukelt die Hängematte mit dem toten Koch versonnen ein bisschen hin und her. Beim Nachdenken hilft ihm das bestimmt nicht weiter, in dem Punkt ist er ohnehin ein hoffnungsloser Fall. Nach einer Weile fragt Acevedo, ob Koch kein Bett hatte. Wie Sie sehen nein, antwortet Rafa. Keine Frau? fragt der Polizist und Rafa schüttelt den Kopf. Acevedo deutet auf das Regalbrett über dem einzigen Fenster, auf dem genau drei Bücher stehen und sagt mit gekonnt überheblicher Ironie, ohne eine Miene zu verziehen: Keine Frau und kein Bett, aber eine gigantische Bibliothek. Er stellt sich auf die Zehen, holt die unscheinbaren Bände von dem schlampig gehobelten Brett und schaut kurz auf den Umschlag. Kein einziges auf Spanisch, konstatiert er mit einem Ton gezielter Verachtung und stellt sie zurück. Dann zieht er einen Fotoapparat aus der Dokumentenmappe, die er umgehängt trägt und schießt ein paar Aufnahmen. Rafa macht die erstaunte Feststellung, dass man den Fortschritt nicht aufhalten kann und dass er trotzdem überrascht ist, die Polizei nun mit Fotoapparaten zu erleben. Acevedo erwidert von oben herab, dass es sein eigener Apparat ist und dass morgen der Gerichtsmediziner aus Córdoba vorbei kommen wird. Danach könne man den Toten unter die Erde bringen. So ist das normalerweise auch vorgesehen, denn in der Hitze, die bei uns im Sommer herrscht, sollte man zumindest ab November mit dem Begraben tunlichst nicht länger als 24 Stunden warten. Rafa fragt, ob er die Angestellten sprechen will und ob er sie zusammenrufen lassen soll, aber Acevedo erwidert steif, dass er es vorzieht, die Leute einzeln zu befragen und dass er sich schon zurecht finden wird. Rafa gibt ihm noch die Telefonnummer vom Büro und bittet kühl, dass man ihn auf dem Laufenden hält. Bravo Rafa, bei einem Polizisten muss man stets das letzte Wort behalten, das ist wichtig für das Selbstbewusstsein. Dann stiefeln die beiden Uniformierten los, den Hang hoch, wo die Hütte von Pedro steht.

      Nach zwei Stunden kommen sie zurück und fragen, wieso wir ihnen nichts von Victoria Carvallo erzählt haben. Rafa sagt, weil sie nicht da war, also gab es keinen Grund sie zu erwähnen. Acevedo lächelt spöttisch. Ob er wisse, wo sie sich aufhält? Nein, erwidert Rafa, darüber kann vielleicht Pedro oder aber Martita Auskunft geben. Die haben wir bereits befragt, stellt der Polizist formell fest, aber wir werden sie schon zu finden wissen, darauf können Sie sich verlassen. Dabei sieht er uns alle drei der Reihe nach grimmig an, als hätten wir ihn übel beleidigt. Daraufhin steigen die zwei Vertreter zweifelhafter Gesetze in ihren Landrover und holpern im ersten Gang davon. Trixi beginnt zu weinen. Ich kann mir ausmalen, dass sie sich Sorgen macht wegen Vicky. Ich denke, ich sollte die beiden jetzt besser allein lassen und sage, dass ich eben noch mal in Kochs Hütte nachschauen will.

      Drei Bücher

      Als Acevedo sich vorhin für die Bücher interessierte, schämte ich mich vor mir selbst, dass ich nicht auf die Idee gekommen war sie mir anzusehen. Das holen wir nun nach, aber ungesäumt. Ich ziehe die Bank beiseite, die irgendjemand vor Kochs Tür gestellt hat und hole die Bücher vom Brett, das voller Staub und Flusen ist. Die Gründlichste scheint mir Vicky auch nicht zu sein, wenn sie denn in letzter Zeit hier sauber gemacht haben sollte.

      „Meine Jagd nach dem Glück“ heißt der erste Band, den ich in die Hand nehme. Der Buchrücken ist zerfressen, wahrscheinlich von Ameisen. Oder von Cucarachas, Küchenschaben, die sind nämlich ganz scharf auf Buchleim. Auf dem Umschlagdeckel aus einfacher Pappe ist das Signum des Leipziger Verlags R. Voigtländer abgebildet, eine Kogge mit geblähten Segeln. Viel komfortabler ist Koch vermutlich auch nicht nach Südamerika gereist. Innen findet sich ein Stempel des Vorbesitzers, eines gewissen Alfredo Mönch aus Caracas. War also Venezuela die erste Station in Kochs südamerikanischer Karriere, etwas übertrieben ausgedrückt? Hat er dort das Buch von einem Alfredo Mönch geschenkt bekommen? Sollten die Erfahrungen, die der Autor mit dem markanten Namen Hans Schmidt in Paraguay und Argentinien sammeln konnte, ihm als Anleitung dienen für seine eigene Jagd nach dem Glück? Jedenfalls würde die Hängematte zu Venezuela passen, dort ist sie eher üblich als bei uns.

      Das zweite Buch ist in Leinen gebunden und von einem gewissen Ernesto Wagner verfasst, der sich alle