Dietrich H. Sturm

Tödliche Siesta


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Giebel, ionische Vorhalle mit hohen Doppelsäulen. Allerdings liegt dieser prächtige Säulenportikus im Schatten, nicht im Licht, wie es sich gehört. Südfassade auf der Südhalbkugel ist eben nicht dasselbe wie Südfassade zu Hause bei Palladio in Vicenza. Hier steht die Sonne mittags im Norden, nicht im Süden, wie Sie wissen. Die Cordobeser witzeln darüber und behaupten, der Architekt hätte das Prunkgebäude 1:1 einem italienischen Renaissance-Palast nachgebaut und dabei nicht bedacht, dass der Äquator von Argentinien aus gesehen im Norden liegt. Glaube ich nicht so ganz. Der Architekt war sicher kein Idiot. Und Señor Orellano vermutlich auch nicht. Wer sich so eine Villa leisten kann, hat genügend graue Zellen unter dem Skalp, um zu wissen, dass die Sonne auf der Südhalbkugel von rechts nach links wandert und mittags im Norden steht. Da war sicher eine Absicht dahinter, aber welche? Ich wollte der Sache immer schon nachgehen. Bisher nicht in Angriff genommen, muss nachgeholt werden. Demnächst. Neben dem Portal steht ein Mannschaftswagen des Militärs und dahinter zwei Jeeps. Die Fahrzeuge nehmen sich neben den Palmen im Park und all dem Marmor aus wie Warzenschweine in einer Universitätsbibliothek. Und die Typen, die im olivgescheckten Kampfanzug mit Maschinenpistole neben den knapp bekleideten Marmorstatuen Posten stehen, machen die Sache nicht besser. Der Palacio Orellano dient seit einiger Zeit als Offiziersclub. Mittags können Sie da große Amischlitten mit den Fahrern sehen, Chevrolets und Buicks und so was, während die Herren Offiziere an der Tafel ihre Pläne aushecken.

      Als ich auf das Konsulatsgebäude zugehe, sehe ich Orchotaanschiss, der vom Konsulatsbalkon den Blick über seinen Amtsbezirk schweifen lässt. Über seinen Beritt, wie er sich ausdrückt. Er stand auf seines Daches Zinnen und so weiter, Sie wissen schon. Die Vorstellung, dass dieser Blick sich gleich voll Wohlgefallen auf die selbstgeräucherten Forellen heften wird, die mir die Ledermappe vollstinken, schmeichelt meinem Ego irgendwie, ohne dass ich dieses Gefühl für angebracht hielte. Frau Wedekind am Empfang winkt mich wie stets mit indifferenter Miene durch. Ich habe nie versucht herauszubekommen, ob dies die Anmaßung der unteren Chargen zum Ausdruck bringt oder ob sie mich nicht leiden kann. Ich stiefle die Treppe hoch und klopfe. Des Konsuls markige Stimme ruft „herein!“. Er geht mir entgegen, die beiden Arme zur Begrüßung ausgestreckt. Wie er das macht, ohne dass ihm das Sakko von den Schultern rutscht, das er sich stets so flott umlegt, wird mir ein ewiges Rätsel bleiben. Sein welliges Haar, das noch gelber ist als die Zähne, bildet einen unästhetischen Kontrast zu seinen ungewöhnlich roten, feucht glänzenden Lippen. Ich muss mich immer zusammennehmen, um ihm direkt in die Augen zu blicken, bei diesem Farbenspiel rundherum. Petri Heil, mein lieber Schill, ruft er jovial und ich gebe Bescheid mit Petri Dank, lege das Paket mit den Sierra-Forellen auf das Sideboard aus besten Teakholz neben die orangefarbene Porzellanlampe Modell Bundesbaudirektion und lasse mich von ihm zum Schreibtisch ziehen. Sehen Sie einmal, mein lieber Herr von Schill, sagt er mit triumphierender Miene, was vor wenigen Tagen eingetroffen ist, und deutet auf einen metallenen Apparat, von dem aus sich ein dickes schwarzes Kabel zum Adapter in der Steckdose schlängelt. Was ist das denn? frage ich erwartungsgemäß, er schiebt mir den Stuhl imperativ in die Kniekehlen und setzt sich mir gegenüber in seinen Drehstuhl Marke Generaldirektor. Ein Rechenautomat, für die Verwaltung, sagt er und sieht mich an wie ein Kind, das sein erstes Fahrrad vorführt. Toll, sage ich, um wie viel Mal schneller rechnet das Ding denn als Sie? Überhaupt nicht, erwidert er zu meiner Überraschung, ich kann das wesentlich fixer. Ich frage ihn, ob ich das glauben darf, und er sagt passen Sie auf und zeigt mir, was er jetzt eingibt: eine Million geteilt durch eine Million. Dann drückt er auf eine Taste, lehnt sich zurück und verschränkt die Arme über seiner Feldherrnbrust. Das Ding fängt an zu arbeiten, dass der Schreibtisch wackelt. Räder drehen sich, ab und zu springt ein Teil hoch und klappt wieder zurück, der Apparat wandert, von seiner eigenen Vibration getrieben, langsam in Richtung Schreibtischkante und es herrscht ein Lärm wie in einer Schneiderwerkstatt voller Nähmaschinen. Nach einiger Zeit sagt Anschütz mit Pokerface „eins“ und mustert mich kühl wie Cäsar den gefangenen Vercingetorix. Der Apparat arbeitet sich weiterhin ab, lässt seine Zahnräder tanzen und druckt schließlich einen Streifen aus, den Anschütz mit drei Fingern abreißt und mir kommentarlos reicht. Ich ahne was ich lesen werde: natürlich, 1.000.000 : 1.000.000 = 1. Es folgt ein triumphierendes fettes rheinisches Lachen wie nach einem Herrenwitz, Anschütz kommt aus Köln. Ich bringe mit fröhlich anerkennenden Blicken meine heitere Bewunderung für seine Nummer und den amtlichen Schnellrechner zum Ausdruck, während der Konsul zur Ehrenrettung bundesdeutscher Technologie dem Rechenautomat eine neue Aufgabe eingibt: eintausenddreihundertzweiundfünfzig Komma zwölf geteilt durch drei. Gönnerhaft sagt er, während der Apparat sich erneut an seine Sklavenarbeit macht, so nun rechnen Sie mal, Schill. Ich nehme das als rhetorische Floskel und klatsche Beifall, als das technische Wunderding aus Deutschland schließlich wieder ein Resultat ausspuckt, das schon stimmen wird.

      Auf seinem Schreibtisch sehe ich ein Päckchen Fotos. Aus der Heimat? frage ich. Nee, von der Sonnwendfeier in La Falda, etwas verspätet, ich musste erst den Film zu Ende knipsen, antwortet er und schiebt mir die Bilder rüber. Fröhliche junge Menschen lachen mich an, offensichtlich war der 21. Juni ein klarer Wintertag, der Himmel strahlt in einem kräftigen Blau, im Hintergrund sieht man die Berge der Sierra Grande. Auf anderen Aufnahmen stehen die jungen Leute singend im Kreis, mit brennenden Fackeln, und starren in ein gewaltig loderndes Johannisfeuer. Oder sie springen Hand in Hand durch die Flammen. Mutig, mutig! Etwas heruntergebrannt ist es zu dieser Stunde natürlich schon, das Feuer, die jungen Leute sind ja nicht doof. Alles ist so, wie es damals war oder vielleicht noch immer ist, was weiß ich, ich war ja nie drüben.

      Die Jungen und Mädchen auf den Fotos kenne ich nicht, sehr wohl aber die alten Säcke, die man immer wieder rumgrinsen sieht. So ein selbstgewisses, eitles Profi-Dompteurlächeln. Der lange Hansen mit seiner Hans-Albers-Frisur, daneben seine Tochter als Germanen-Gretchen mit roten Schleifen in den blonden Zöpfen. Und dann der dicke Flossencamp, der immer dasteht, als hätte er einen Flaggstock im Rücken. Sie können es einfach nicht lassen, man könnte annehmen, sie haben die Hakenkreuzfahne unter dem Hemd versteckt, bereit, sie bei der ersten besten Gelegenheit zu hissen. Ihre Ortswahl für die Sonnwendfeier ist ja auch nicht ohne: in La Falda steht das halbverfallene Hotel Eden, einst der Stolz des Landes, erbaut von der Familie Eichhorn. In seiner Blütezeit in den 20er- und 30er-Jahren umfasste das Hotel mehr als 100 Zimmer und über dreißig Suiten sowie einen großen Speisesaal für 250 Personen, dazu einen Nebensaal für Kinder und Begleitpersonal. Marmortreppen und aus Europa importiertes Mobiliar im Jugendstil komplettierten die Luxuseinrichtung. Für das Vergnügen der Gäste wurden ein großes Pool-Areal, eine Tennisanlage und ein 18-Loch-Golfplatz angelegt. Erstklassige Pferde standen für Ausritte und Polospiel bereit. Die Eichhorns waren als aktive Förderer Adolf Hitlers bekannt, und während des Krieges wurde im Festsaal jeder deutsche Sieg gefeiert. Nach der Kapitulation der Deutschen entstand das Gerücht, Hitlers Selbstmord sei nur fingiert gewesen. In Wirklichkeit, so munkelte man damals, hätten der „Führer“ und einige Getreue im Hotel Eden Zuflucht gefunden, bevor sie endgültig untertauchten. Wie Sie sehen, ist La Falda der ideale Ort, um ganz unverfänglich zur Sonnwende Fackeln zu schwingen und Feuer lodern zu lassen.

      Ich erhielt einen Hinweis vom Amt, gesteht Anschütz leicht verlegen und meint das Auswärtige, dass man in Bonn meine Anwesenheit bei dieser Feier künftighin nicht für opportun hält. Ich habe darauf hingewiesen, dass keinerlei nationalsozialistische Embleme verwendet und auch keine belasteten Lieder gesungen wurden. „Flamme empor“ und ähnliche Texte, die haben wir in Köln bei der katholischen Jugend auch gesungen, ich bitte Sie. Dabei schaut er mich Zustimmung heischend an, als hätte ich im Auswärtigen Amt das letzte Wort. Ich kann mir lebhaft vorstellen, was den alten Opportunisten bewegt. Er kommt hier natürlich nicht darum herum, sich mit der deutschen Kolonie zu arrangieren, ob er will oder nicht. Beim Angeln hat er mir einen Fall geschildert, der ihn offensichtlich beschäftigt. Wir angeln nämlich zusammen, müssen Sie wissen. Ich habe ihm das beigebracht und deshalb zähle ich auch zu dem Kreis seiner Intimi. Ich bin ein Intimus, eine Vertrauensperson, weil er mir sein Herz ausschütten kann, während er den Forellen zeigt, was ein Wurm ist. Ungefähr alle vier Wochen ziehen wir zusammen los, die anderen Wochenenden verbringt er beim Golfen. Wo waren wir eben? Richtig, die deutsche Kolonie. Also, er hat mir geschildert, wie der deutsche Botschafter in La Paz abgesägt wurde, weil er sich zu sehr in die Belange der Kolonie eingemischt hat. Genauer gesagt, der Botschafter fand, dass im Vorstand der Deutschen Schule eigentlich kein Platz für ehemalige Nazis sei. Sie meinen,