Dietrich H. Sturm

Tödliche Siesta


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und bombt, und nicht hier auf dem Land am Rande der friedlichen Sierra. Ich biete ihm eine Zigarette an und sage, dass ich gerne Señorita Vicky mitnehmen und nachhause bringen würde.

      Er hebt eine Augenbraue an, die linke, lehnt die Zigarette mit einer knappen Handbewegung ab und antwortet ganz ruhig.

      - Wir haben Victoria Carvallo heute Nacht festgenommen, weil wir nicht ausschließen können, dass sie mit dem Mord auf der Estancia zu tun hat.

      Langsam verliere ich die Geduld.

      - Sie glauben doch selbst nicht, dass ein 20jähriges Indianermädchen zu einem solchen Mord fähig wäre? Einen Mann in der Hängematte zu verbrühen? frage ich und nehme einen tiefen Lungenzug.

      - Im Gegenteil! Das ist doch Indianerart, sagt er kühl, öffnet das Fenster und schiebt mir den Aschenbecher hin.

      Jetzt platzt mir der Kragen. Was denkt er sich, dieser Sohn spanischer Einwanderer? Ich gebe meiner Stimme eine gewisse Schärfe.

      - Wir wollen nicht vergessen, dass die Spanier in solchen Dingen auch nicht unerfahren sind. Man kann sich ja einmal bei den Indianern danach erkundigen.

      - Das ist lange her. Sollte man nicht besser bei den Deutschen nachfragen? Da könnten möglicherweise Spanier und Indianer noch dazulernen, soviel ich gehört habe.

      Ich denke angestrengt nach, um mir eine Parade einfallen zu lassen, als mir klar wird, dass das nicht höhnisch oder aggressiv klang. Eher betrübt. Ich mache langsam und gründlich die Zigarette aus, um mich unter Kontrolle zu kriegen und sage:

      - Ich bin Argentinier, Leutnant.

      - Ich auch, Señor Schill, antwortet er ruhig und mustert mich mit seinen braunen Augen.

      Ich fürchte, ich habe ihn unterschätzt. Das ist ein anderes Kaliber als der dicke Marinelli, zweifellos. Ich habe den Eindruck, er weiß was er will und was er kann. Na, dann wollen wir´s mal versuchen und ein bisschen einlenken.

      - Nun sagen Sie doch schon, was liegt denn eigentlich gegen das Mädchen vor?

      - Ich will es Ihnen sagen. Erstens: Sie haben bei unserem ersten Gespräch die Existenz von Victoria Carvallo mit keinem Wort erwähnt, obwohl sie bei dem Ermordeten geputzt hat. Was Ihnen natürlich bekannt war. Zweitens: eine Freundin der Festgenommenen, Clara Gomez, erzählte uns, Koch habe die Carvallo mehrfach belästigt, während sie selbst behauptete, er habe sich ihr gegenüber stets korrekt verhalten. Drittens: sie ist Bolivianerin und hat keine gültige Aufenthaltsgenehmigung. Viertens: es besteht also Fluchtgefahr. Das reicht doch wohl, Señor Schill, oder sehen Sie das anders?

      Da kann man nicht viel einwenden, wie er das so sachlich und kühl darlegt, und ich fange an, mir ernstlich Sorgen um Vicky zu machen, obwohl dieser Acevedo nicht so wirkt, als würde er auf Teufel komm raus einen Sündenbock suchen, nur um eine Erfolgsmeldung absetzen zu können. Um Zeit zu gewinnen, frage ich ihn, woher er eigentlich von dem Verbrechen wusste. Die Frage drückt mich schon seit gestern. Er und diese Null von Marinelli sind schließlich nicht zufällig hoch gekommen nach „El Porvenir“.

      - Gegenfrage, erwidert er und lächelt überlegen aber keineswegs hämisch, wieso hat mich Herr Bertram nicht verständigt.

      - Ganz einfach, wir bekamen keine Verbindung.

      - Señor Schill, sagt er mit einem Ton als spräche er zu einem Kind, das noch nicht gelernt hat zu lügen, das glaube ich Ihnen nicht, und Sie wissen, dass ich das nicht glaube. Warum lassen Sie sich nichts anderes einfallen? Oder noch besser, spielen Sie doch mit offenen Karten!

      - Wie das? stammle ich leicht hilflos und ärgere mich zugleich über meine verlegene Reaktion.

      - Na gut, lassen Sie mich den Anfang machen. Ich will Ihnen sagen, woher ich Bescheid wusste, obwohl ich Ihnen das nicht sagen müsste. Wir haben einen telefonischen Hinweis erhalten.

      - Das kann nicht sein, auf „El Porvenir“ gibt es nur einen einzigen Telefonapparat.

      - Das ist richtig, davon habe ich mich überzeugt.

      - Und das heißt?

      - Der Anruf erreichte uns sehr früh, etwa zwei Stunden bevor wir bei Ihnen oben waren. Was schließen Sie daraus?

      - Dass es jemand gibt, der vor uns Bescheid wusste. Jemand der nicht auf „El Porvenir“ wohnt. Was genau sagte der Anrufer?

      - Er sagte nur einen Satz: Fahren Sie schnell nach „El Porvenir“, dort ist heute Nacht der Verwalter ermordet worden.

      - Sonst nichts?

      - Das war alles. Aber eine Sache fiel mir auf. Der Anrufer konnte kein „r“ aussprechen.

      Er sah mich bedeutungsvoll an.

      - Sie meinen...? frage ich zögernd.

      - Es wäre gut möglich, dass es sich um einen Deutschen handelt, der das spanische „r“ nicht beherrscht.

      - Oder um einen Franzosen, wende ich ein.

      - Es könnte ja auch ein Spanier mit einem Sprachfehler gewesen sein, sagt er mit einem kleinen Lächeln und zieht die Revers seiner Uniformjacke glatt.

      - Ich werde heute nach Córdoba zurückfahren, fährt er fort. Wissen Sie, ich bin dort seit kurzem stationiert, ich war vorher in Buenos Aires. Hierher nach Belgrano bin ich nur gekommen, um die Comisaría kennen zu lernen. Eine Informationsfahrt, wenn Sie so wollen. Ich nehme an, Ihnen liegt daran, dass der Mörder rasch gefunden wird. Ihre Freunde Bertram dürften sich vermutlich seit gestern dort oben nicht mehr sehr wohl fühlen.

      Er stellt sich neben mich und sieht durchs Fenster hinaus Richtung Marinelli, der im Halbschlaf vor sich hindämmert.

      - Mein Kollege wird vermutlich bei der Aufklärung keine große Hilfe sein. Also, helfen Sie mit und lassen Sie es mich wissen, wenn Sie etwas herausfinden. Einverstanden?

      Zu meiner Verwunderung streckt er mir seine Hand entgegen. Ich schlage ein und frage ihn, ob er Vicky nach Córdoba mitnehmen wird. Bei der Vorstellung, sie hier in Belgrano allein zu wissen mit diesem Scheißkerl von Marinelli, wird mir richtig schlecht.

      - Sie kann nach Hause, oder was sie so nennt, sagt er zu meiner Überraschung.

      - Heißt das, dass sie nicht mehr unter Verdacht steht?

      - Ich habe ihr Alibi überprüft, sie ist frei. Bis auf weiteres.

      - Wo war sie denn zur Tatzeit?

      - Das muss sie Ihnen schon selber sagen. Warten Sie bitte draußen, es gibt noch ein paar Formalitäten zu erledigen.

      Ich gehe hinaus und stelle mich weit genug von Marinelli entfernt auf, um von ihm nicht angesprochen zu werden. Aber er tut ohnehin so, als würde er meditieren. Es vergeht eine lange Viertelstunde, dann kommt Vicky heraus. Sie ist wirklich eine anmutige Erscheinung, wie sie die drei Stufen runtersteigt und das kurze hellblaue Jerseykleidchen sich an ihre braunen Schenkel schmiegt. Unbewegt, als wäre nichts gewesen, geht sie auf mich zu. Ich sage, dass ich sie nach „El Porvenir“ bringen werde. Acevedo schaut zu meinem Peugeot hinüber und fragt etwas amüsiert lächelnd, wer denn der Beifahrer ist. Beifahrer? frage ich, was denn für ein Beifahrer? Aber da sehe ich, dass mein Boxer nach vorne gesprungen ist und sein edles Profil zeigt. In der Tat, er sieht aus wie der alte Heyse, der manchmal mein Haus einhütet, nur die Zigarre unter der dicken Nase fehlt. Das ist Zitzewitz, antworte ich, aber Acevedo lässt sich gar nicht erst darauf ein, den Namen nachzusprechen - clever, clever! - sondern sagt, dass er Hunde gern hat und dass er ihn „Tio“ nennen wird, „Onkel“ also. Aha, man wird sich also wieder sehen, mit oder ohne Hund. Ist das eine Drohung, oder der Beginn einer wunderbaren Freundschaft? Wer weiß, wer weiß.

      Vicky steigt ein, ohne an Marinelli, der sich in seinem Stuhl aufgerichtet hat und ihr mit einem schmierigen Ausdruck in seinem Tomatengesicht nachsieht, auch nur einen einzigen Blick zu verschwenden. Während der Fahrt frage ich sie, ob es schlimm war und sie antwortet, dass sie schon jemand finden wird, der diesem Schwein von Marinelli die Hoden abreißt.

      Oben in „El Porvenir“ wartet Trixi