Betty Hugo

For ever young


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würden. Das schlagende Studentencorps Borussia Berlin und dessen Corpshaus in Grunewald waren praktisch sein zweites Zuhause. Ella war mal auf einem Damenabend gewesen. Das Verbindungshaus glich einem Museum aus dem 19. Jahrhundert, eine Mischung aus Jagdhütte und Herrenhaus. Die vielen ausgestopften Jagdtrophäen an den Wänden, die den Staub der vergangenen hundert Jahre auf ihrem räudigen Fell angesammelt hatten. Die toten Hirschköpfe mit ihren riesigen Geweihen starrten auf die Besucher aus unergründlichen Glasaugen herab. Ella waren sie richtiggehend unheimlich gewesen. Auch die Zeremonien dort feierten die Studentenherrlichkeit längst vergangener Zeiten.

      Konrad sonnte sich im spärlichen Lächeln ihrer Mutter, Friedo hockte mit geistesabwesendem Gesicht am Tisch, in Gedanken vermutlich schon wieder in London.

      Ella hoffte inständig, dass sie den bohrenden Nachforschungen ihrer Mutter entgehen würde, hatte sich aber eindeutig zu früh gefreut.

      Der Adlerblick ihrer Mutter blieb auf ihr haften:

      „Ella, bist du eigentlich immer noch mit diesem Maler liiert?” Statt des Ausdrucks „Maler", hätte sie auch „Anstreicher" meinen können, so wie sie es betonte.

      Ella antwortete kurz und knapp:

      ”Er hat eine Begabtenstipendium erhalten und hält sich für längere Zeit in Florenz auf!” Sie legte Nachdruck in ihre Stimme, sie wollte auf keinen Fall ihre Beziehung zu Merlin diskutieren, das ging ihre Mutter nichts an. Zum Glück gab sie sich mit dieser Antwort zufrieden und sie gingen zu anderen Gesprächsthemen über.

      Kapitel 17

      Am Montagmorgen hatte sich Ella gerade am Schreibtisch niedergelassen und in einige neue Akten vertieft, als Ruth ungeduldig hereingestürmt kam. Sie sprühte förmlich vor Tatendrang, wie ein junger Jagdhund, der eine Fährte wittert.

      “Hallo Ella, ich habe mich über die „For ever young“ Klinik schlau gemacht. Habe einige interessante Sachen herausgefunden. Rate mal, wer der Eigentümer ist?” Erwartungsvoll sah sie Ella ins Gesicht. Diese hatte gerade keine Lust auf Ratespielchen und starrte leicht genervt zurück:

      „O.K., dann informiere mich mal. Mein Besuch letzte Woche war irgendwie unergiebig, keinerlei neue Erkenntnisse. Ich hatte nur den Eindruck, den Laden irgendwie aufgescheucht zu haben.”

      “Also, der Typ, dieser Chefarzt Christoupoulos, ist gar nicht der Eigentümer der Klinik. Das denken irgendwie alle. Die Klinik gehört einem großen Kosmetikkonzern namens Dermacare, dessen Hauptsitz in Frankreich, genauer gesagt in Paris ist. Hier in Berlin befindet sich eine Tochterfirma, deren Firmensitz ist direkt am Potsdamer Platz. Dermacare ist die Betreiberin der „For ever young“ Klinik, die wiederum ihren Sitz am Wannsee hat. Der Chefarzt Dr. Christopoulos ist der medizinische Direktor. Dann ist da noch ein Verwaltungsdirektor, der ist Diplomkaufmann, Dr. Baruth, der regelt alles Finanzielle.

      Übrigens, das war für mich auch sehr interessant, diese vornehme Seniorenresidenz da in Wannsee in der deine alte Freundin Augusta wohnt, gehört auch zum gleichen Firmenkonsortium.”

      Ella krauste die Stirn und schaute gedankenverloren aus dem Fenster. Diese Informationen waren interessant, hochinteressant, brachten sie aber in ihren Nachforschungen auch nicht so richtig voran. Sie wunderte sich aber, warum ein Kosmetikkonzern eine Klinik für plastische Chirurgie und eine Seniorenresidenz betrieb. Mit der Entwicklung und dem Vertrieb von Kosmetika ließ sich doch viel mehr Geld verdienen. In ihrem Kopf formte sich eine Idee.

      “Ruth, könntest du vielleicht mal rausbekommen, was für Kosmetik- und Pharmaprodukte die Firma Dermacare entwickelt, das wäre interessant zu erfahren. Aber denke auch noch daran, Amira mit den neuen Akten vertraut zu machen.”

      Nach einem anstrengenden Arbeitstag in dem sie sich in die vielen für sie neuen Arbeitsabläufe in einer Rechtsanwaltskanzlei einarbeiten musste, befand sich Amira auf dem Rückweg in ihre kleine Dreizimmerwohnung in Marzahn-Hellersdorf. Für sie war es nach einem langen Tag im Büro immer eine längere Fahrt mit der U-Bahn und gleichzeitig eine Reise in eine andere Welt.

      Sie war froh und erleichtert, dass sie den Job bei Ella bekommen hatte. Alle duzten sich im Büro, das war fremd für sie. In den ersten Tagen war sie nervös und aufgeregt gewesen, ob sie die Arbeit auch bewältigen würde, aber es hatte sich alles gut gefügt. Ruth hatte Geduld mit ihr gehabt und sie wiederum hatte eine schnelle Auffassungsgabe. Amira brauchte das Geld dringend für sich und ihre Familie. Sie hatte gemerkt, dass das Leben in Berlin durchaus teuer war. Sie mochte die normalen Supermärkte und Discounter nicht, die eine schlechte, kleine Gemüseabteilung hatten und sonst fast nur Dosen und Fertiggerichte in den Regalen anpriesen.

      Sie wollte frisches Gemüse einkaufen und ihrer Familie jeden Abend ein traditionelles Gericht aus ihrer Heimat Syrien kochen. Sie war gerade bei dem türkischen Gemüsehändler gewesen, den sie auf dem Weg von ihrer Wohnung zum Büro aufgetan hatte. Sie hatte Auberginen, Paprika und Lammfleisch gekauft, daraus wollte sie einen leckeren Eintopf zubereiten. Im Bolu bekam sie die restlichen Zutaten, die ihr noch fehlten. In dieser riesigen Stadt konnte sie gut alle Zutaten bekommen, die sie brauchte. Es gab viele türkische und auch arabische Lebensmittelgeschäfte, wenn man in die entsprechenden Viertel ging. Sie blickte sich um, schön war die Wohnanlage nicht, in der das Amt ihnen eine Wohnung zugewiesen hatte. Ihrer Meinung nach sah sie sogar ziemlich hässlich aus. Die Hochhäuser waren in die Jahre gekommen und boten einen tristen Anblick. Sie seufzte innerlich, aber dies hier war viel, viel besser als die Unterbringung in einem Heim für Flüchtlinge. Dort hatten sie ein halbes Jahr zubringen müssen. Sie hatten nur ein kleines Familienzimmer mit Gemeinschaftsbad zur Verfügung gehabt und eine Gemeinschaftsküche. Es war ausgesprochen anstrengend gewesen, sich die Gemeinschaftsküche mit den anderen Flüchtlingen teilen zu müssen. Unterschiedliche Kulturen und Sprachen prallten aufeinander. Irgendwie hatte der Platz nie ausgereicht. Danach war ihr der Umzug in ihre jetzige Bleibe wie ein Umzug ins Paradies erschienen.

      Der Fahrstuhl war im achten Stock abrupt zum Stehen gekommen. Sie verließ diesen ramponierten, verschmierten Käfig und öffnete ihre Wohnungstür.

      Sobald sie das Klappern des Schlüssels im Türschloss hörten, kamen Samira und Samir angerannt und hüpften glücklich um ihre Mutter herum. Beim Anblick ihrer beiden Kinder schlug ihr Herz vor Freude unwillkürlich schneller. Sie ließ die schweren Einkaufstaschen auf den Boden plumpsen und umarmte die Beiden liebevoll. Schluss jetzt mit dem Grübeln ermahnte sie sich, sie hatte zu tun. Essen kochen, aufräumen, Hausaufgaben kontrollieren und spät abends, vor dem zu Bett gehen, noch versuchen mit der Verwandtschaft in Syrien zu skypen, falls die Verbindung überhaupt mal wieder funktionierte.

      Dieser Jemand, der ihn erspäht hatte, saß im Auto und las eine Zeitung, die er nun zusammenfaltete und in eine Aktentasche steckte. Nachdem er seine anfängliche Scheu überwunden hatte, sah Gustav sich die Person genauer an und fand, dass sie eigentlich ganz vertrauenswürdig und sympathisch aussah. Das Wort „Sympathisch“ hatte er gerade von seiner Mama gelernt. Die Dame in dem Auto sah zwar ganz anders aus als seine Mama, aber trotzdem nett. Anders als seine Mama war sie ganz toll angezogen, vornehm irgendwie. Das Wort hatte Mama ihm auch neulich erst beigebracht. Schließlich war sie Lehrerin für Deutsch am Gymnasium und legte großen Wert darauf, dass er sich gut ausdrückte. Aber Mama war nicht so toll angezogen, wenn sie zur Arbeit ging. Sie sah dann ganz normal aus. Sie trug meistens eine Hose und hatte eine Bluse an, manchmal im Sommer sogar ein T-Shirt. Die Dame im Auto hatte leuchtend rot lackierte Nägel und eine vornehme Frisur, keinen Pferdeschwanz, wie Mama ihn hatte. Ließ das Seitenfenster herab und sprach ihn an: „ Na, bist du zu spät zur Schule gekommen und traust dich jetzt nicht rein?“

      Gustav nickte. „Ich gehe dann zur zweiten Stunde rein.“

      Die Dame lachte: „ Gut, ich muss auf meinen Mann warten, du kannst dir solange gerne mein Auto anschauen. Ich weiß doch, dass kleine Jungen sich für Autos interessieren. Das war bei meinem Sohn genauso, als er in deinem Alter war.“

      Sie lehnte sich über den Beifahrersitz, streckte den Arm aus und öffnete wie selbstverständlich die Beifahrertür.

      „Komm steig ein, dann kann ich dir das tolle