Betty Hugo

For ever young


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die weitere Besichtigung der „For ever young“ Klinik förderte keine aufregenden Neuigkeiten zutage. Es war alles so, wie sie es erwartet hatte. Elegant, teuer, steril, aufgeräumt, fleckenlos und unantastbar.

      Kaum hatte seine - eher ungebetene - Besucherin den Raum verlassen, fiel Dr. Christoupoulos in sich zusammen wie ein angestochener Luftballon. Mit einer routinierten Bewegung riss er seine Schreibtischschublade auf und griff nach der Whiskyflasche. Seine Hände zitterten so sehr, dass er kaum den Schraubverschluss öffnen konnte.

      Er verzichtete gleich auf das Whiskyglas und setzte die halbvolle Flasche gierig wie ein Verdurstender an die Lippen. Rechts und links bildeten sich kleine Rinnsale, die auf seinen weißen Arztkittel tropften. Ahhh, das tat gut. Der Alkohol beruhigte ihn sofort! Es war der teuerste Whisky am Markt. Er ließ ihn sich extra aus dem KaDeWe schicken, aber den konnte er sich von seinem Chefarztgehalt schließlich leisten. Er war sein ganz persönliches Betäubungsmittel. Mein Gott, was hatte diese grässliche Zicke von Rechtsanwältin hier gewollt?

      Wenn die anfing hier ernsthaft zu graben, war er komplett im Arsch. Er war ein hoffnungsloser Alkoholiker, soviel medizinische Selbsterkenntnis besaß er noch und hatte sich schon das halbe Hirn weg gesoffen und seine Leber auf das Übelste malträtiert. Schon allein das war ein absoluter Skandal, der streng geheim bleiben musste. Als Arzt wusste er mehr als jeder andere, dass er an der Flasche hing und er nutzte alle ihm zur Verfügung stehenden medizinischen Tricks, um diese Tatsache, die sich auch in seinem Gesicht abzeichnete, zu verheimlichen.

      Gegen rote, erweiterte Äderchen im Gesicht und scharfe Falten gab es gute Gegenmittel. Er zahlte viel Geld an seine Berufskollegen, damit sie die Schäden in seiner Visage minimierten. Mit seiner Leber war das was anderes, da konnte er sich ausrechnen, wie viele Jahre die seinem Whiskykonsum noch standhalten würde.

      Aber er vermutete, dass diese nervige Schnüffelnase dieses Geheimnis nicht so sehr interessierte. Es wäre allerdings für den Ruf der Klinik sehr schädlich, wenn diese Tatsache bekannt werden würde. Hinsichtlich möglicher Fehler bei Operationen hatte er persönlich ein reines Gewissen, schließlich operierte er nicht mehr selbst, das war zu riskant. Wenn er stocknüchtern war, was kaum noch vorkam, zitterten seine Hände so sehr, dass er sich nicht aus dem Haus trauen konnte. Um dieses Zittern zu vertuschen, musste er trinken.

      Er war nur noch das Aushängeschild hier, der gute Name vergangener Zeiten. Dafür bekam er sein üppiges Gehalt.

      Langsam beruhigte er sich wieder, der Alkohol verbreitete seine wohltuende Wirkung und der Stress fiel langsam von ihm ab. War der Tod von Lilly Hammarström wirklich ein Unglücksfall gewesen? Er grübelte, Zweifel begannen an ihm zu nagen.

      Kapitel 14

      Gustav ging im Prinzip gerne zur Schule. Aber heute Morgen war das irgendwie anders. Er hatte Angst vor Frau Busch-Schmidtbauer oder besser gesagt, nicht direkt vor ihr, sondern vor ihrem Unterricht. Frau Busch-Schmidtbauer war eigentlich ganz nett, fand er. Sie kam meistens gut gelaunt und Energie geladen in die Klasse gerauscht und bemühte sich redlich, ihm und den anderen Kindern Lesen, Schreiben und Rechnen beizubringen. Sie war geduldig und wiederholte alles viele Male, bis auch der Schüler mit den größten Lernschwierigkeiten den Stoff kapiert hatte. Manchmal langweilte er sich deshalb im Unterricht. Er verstand gut, was sie erklärte, ihm hätte oft auch nur einmal gereicht, wenn sie ein neues Thema behandelte. Nur ein Fach verstand er nicht, da konnte sie noch so viel zu sagen und das war Mathe. Seine Mutter hatte ihm dafür am Frühstückstisch die Erklärung geliefert. „Gustav“, sagte sie, “ ich habe Germanistik studiert und dein Papa ist Ethnologe, wir waren auch beide schlecht in Mathe in der Schule. Wir haben in unserer Familie einfach nicht das Gen für Mathematik.“ Er konnte das nachvollziehen, aber es löste sein heutiges Problem nicht. Sie sah auf die Küchenuhr. „Gustav, du musst losgehen, sonst kommst du zu spät zur Schule.“ Langsamer als sonst trank er seinen Kakao aus. Mit schleppenden Bewegungen packte er seinen Schulranzen. Das Mathebuch lag wie ein schwerer Stein in seiner Hand. Die Tupperdose mit dem Vollkornbrot und den Möhren, auf die seine Mutter bestand, verursachte leichtes Magendrücken bei ihm. Nein, heute war nicht sein Glückstag. Auch die Plastikdose wanderte in seinen Ranzen. Er verließ das Haus, blickte sich zu seiner Mama um und hob den Arm zu einem matten Winken. Die Wiesengrund Grundschule lag nur einige hundert Meter von seinem Haus entfernt, so dass er zu Fuß dort hingehen konnte. Je näher er der Schule kam, desto mulmiger wurde ihm in der Magengegend. Das Schulgebäude war in Sichtweite, als bereits die Schulklingel schrillte. Eigentlich hätte er jetzt die Beine in die Hand nehmen sollen und zum Schultor rennen müssen. Aber das Gegenteil war der Fall. Seine Füße verwandelten sich plötzlich in Bleiklumpen. Er hatte das Gefühl, dass er seine Beine nicht mehr richtig bewegen konnte, sie gehorchtem ihm nicht. Innerhalb von Sekunden leerten sich der Schulhof und die davor liegende Straße. Alle Schüler strömten wie eine Welle in das Gebäude. Die Mamas und Papas, die ihre Kinder mit dem Auto gebracht hatten, fuhren eilig davon.

      Plötzlich stand er mutterseelenallein auf dem Bürgersteig vor der Schule. Er beschloss dies als Wink des Schicksals aufzufassen und die erste Stunde, in der Frau Busch-Schmidtbauer ihnen die Mathearbeit, für die er garantiert eine ganz schlechte Note bekam, austeilte. Er würde zur 2. Stunde auftauchen und zur Entschuldigung sagen, dass er ganz dolle Bauchschmerzen hatte. Und das war noch nicht mal eine Lüge. Er litt wirklich unter Bauchschmerzen. Mit wirklich dollen Lügen tat er sich nämlich schwer, das mochte er gar nicht, dann bekam er auch Bauchschmerzen. Bloß, was sollte er in dieser Stunde tun? Nach Hause konnte er schlecht zurückgehen. Seine Mama musste erst später zur Arbeit. Sie würde sich wundern, ihn zu sehen. Er schaute sich um, der Schulhof war leer, der Fußweg vor dem Schultor und auch die Parkplätze am Straßenrand waren leer. Nur etwas weiter entfernt, aber so, dass er es noch gut erkennen konnte stand ein superschickes, tolles Auto. Ein echter Luxusschlitten hätte sein großer Bruder gesagt, aber der war gerade in Amerika zum Schüleraustausch.

      Er entschloss sich, dass Auto genauer zu betrachten. Er interessierte sich für Autos und damit konnte er gut die Zeit bis zur nächsten Stunde rumkriegen. Er näherte sich dem Fahrzeug und je näher er kam, desto faszinierter war er. Der Lack leuchtete in der Morgensonne, er glitzerte sogar ein ganz klein wenig. Die Reifen sahen toll aus und vorne auf der Motorhaube glänzte eine silberne kleine Figur. Ein Mercedes oder BMW war das nicht, die kannte er nämlich gut. So ein Auto hatte er noch nicht gesehen. Er fasste mit einer Hand auf den Lack und beugte sich vor, um das Armaturenbrett zu betrachten. Erschrocken zuckte er zusammen. Aus dem Augenwinkel hatte er eine Bewegung wahrgenommen, jemand saß in dem Auto. Er wollte sich zurückziehen. Das Auto genau anzugucken, wenn ein Fremder drinsaß und ihn beobachtete, das wollte er nicht. Da hatte er auch ein komisches Gefühl im Bauch. Aber zu spät, dieser Jemand hatte ihn schon erspäht.

      Kapitel 15

       Es wunderte ihn, wie viel Kraft in so einem kleinen Körper steckte. Er legte das Rasiermesser wieder zurück. So ging das nicht, das eingeklemmte Hinterbeinchen reichte nicht aus, um das Tier in Position zu halten. Er musste sich etwas anderes überlegen. Er umfasste das Kätzchen erneut mit der Faust und lockerte den Schraubstock, damit er das Hinterbeinchen herausziehen konnte.

       Diesmal legte er das Tierchen auf den Rücken und zurrte es mit zwei langen Bandagen fest, die er jeweils unterhalb der Vorderbeichen und oberhalb der Hinterbeinchen und unter der ganzen Werkbank hindurchführte. Dann umwickelte er auch noch jedes einzelne Pfötchen und zurrte es einzeln fest, so dass das Kätzchen jetzt mit weit gespreizten Pfoten auf dem Rücken fixiert war.

       Endlich war er zufrieden. Er nahm das schärfste Messer zur Hand. Halt stopp, erst musste er ein wenig den Flaum am Bauch wegrasieren. Also legte er das Messer weg und griff stattdessen zum Rasiermesser. Das war zwar ein wenig stumpf, aber es reichte aus, um die Härchen am Bauch zu entfernen. Es blutete nur ein ganz klein wenig.

       Zum zweiten Mal nahm er das scharfe Messer zur Hand, da fiel ihm wieder etwas ein! Musste er sie nicht irgendwie betäuben? Das war vor Operationen üblich, das wusste er von seinem Freund aus der Schule, der hatte vor einiger Zeit eine Blinddarmoperation gehabt. Er blickte sich