Betty Hugo

For ever young


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Lichtblick, der sich zeigte, als sie angewidert das zähe Steak und die vertrockneten Kroketten, gepaart mit pappigen Erbsen beäugte, war ihre Freundin Sofia.

      Ella war heilfroh, sich von der kulinarischen Katastrophe abzulenken und begrüßte ihre alte Freundin überschwänglich. Nach beendetem Smalltalk fiel ihr aber noch ein, womit Sofia sich beschäftigte.

      „Sag mal Sofia, du bist doch auf Schadensersatzklagen nach missglückten Operationen spezialisiert. Vertrittst du zufällig auch Mandanten dieser Schöheitsklinik in Wannsee?”

      Sofia grinste sie frech an.

      „Nur wenn du schwörst, zu schweigen wie ein Grab, werde ich vielleicht ein Sterbenswörtchen dazu sagen.”

      „Ich schwöre", entgegnete Ella und setzte ein betont unschuldiges Gesicht auf.

      Sofia beugte sich vor und senkte ihre Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern.

      ”Ich sage dir, es geht viel mehr schief, als man der ahnungslosen Öffentlichkeit glauben machen will. Es gibt ziemlich viele Methoden, die wissenschaftlich noch gar nicht ausgereift sind. Die unzufriedenen Opfer der Schönheitsindustrie rennen dann zwar zum Rechtsanwalt und wollen klagen, bzw. drohen mit einer Klage. Aber im Vorfeld, bevor es überhaupt zu einem Gerichtstermin kommt, werden viele Streitigkeiten beigelegt, weil die Kliniken hohe Schadensersatzsummen zahlen, damit die Geschädigten den Mund halten. Im Gegenzug wird dann absolute Verschwiegenheit vereinbart. Das klappt so gut, weil es immer noch ein gesellschaftliches Tabu ist, über Schönheitsoperationen zu reden. Den Opfern ist die Angelegenheit nämlich meistens superpeinlich, erst recht, wenn was schief gegangen ist. Dann haben sie auch Angst vor der Schadenfreude der Presse. Stell dir vor, du musst deine verpfuschte Visage auch noch in der Gala oder sonstigen Klatschblättern bewundern. Übrigens, Klienten von dieser Schönheitsklinik draußen in Wannsee hatte ich auch schon.”

      Ella lauschte ihrer Kollegin fasziniert, das war also die Kehrseite der Schönheitsindustrie, die garantiert nicht freiwillig erwähnt wurde. Davon, dass auch etwas schief gehen konnte, stand in diesen tollen Internetauftritten und in den Hochglanzbroschüren natürlich kein einziges Sterbenswörtchen. Ausgelaufene Silikonimplantate, wulstiges Narbengewebe, missratene Nasenkorrekturen, allergische Schockreaktionen und Narkoserisiken, das sollte den zukünftigen Patienten gegenüber möglichst verborgen bleiben. Wer sich wirklich umfassend informieren wollte, musste woanders recherchieren.

      Kapitel 9

      So, der Lidstrich saß perfekt, genauso wie die Visagisten der Vogue es den Leserinnen zeigten. Auch dieses nagelneue Produkt aus der Parfümerie war toll, es versprach, einen speziellen Glow auf den Teint zu zaubern. Mit ein wenig Übung ging einem das Schminken dann gut von der Hand. Auch das Cocktailkleid erwies sich als ein Hit. Es schmiegte sich eng an den Körper, zeichnete sanft die Konturen nach, modellierte die Figur aber nicht zu stark, sondern kaschierte kleinere Schönheitsfehler. Ein letzter Blick in den Spiegel des Schminktisches, eine letzte Probe, wie eine Theaterprobe eines verführerischen Augenaufschlages. Auch jeder Cent für die teure Mascara hatte sich gelohnt. Es veränderte den Blick wirklich auf atemberaubende Weise. Die hocheleganten Pumps standen in der Garderobe bereit. Es hatte zunächst einiger Übung bedurft, bevor man unfallfrei und sicher in ihnen laufen konnte, aber jetzt war es O.K. Die Königin der Nacht begab sich auf die wilde Piste.

      „Puh", eine anstrengende Arbeitswoche neigte sich dem Ende zu, und Ella sehnte sich danach, in ihrer gemütlichen, unaufgeräumten Wohnung auf der Couch zu entspannen. Die Beine verbotenerweise auf dem Couchtisch und die Chipstüte in bequemer Griffweite. Sie hätte sich auch gerne die neuesten Netflix Serien rein gezogen, die Ruth ihr glühend ans Herz gelegt hatte.

      Stattdessen hatte sie sich von ihrer Mutter breitschlagen lassen und ihre Einladung in die Oper angenommen. Obwohl ihr der Sinn mehr nach einer Hollywoodkomödie mit einer ihrer Lieblingsschauspielerinnen stand, würde sie gezwungen sein, sich bei donnernden Wagnerklängen zu entspannen. Das gelang vielleicht der Bundeskanzlerin, ihr garantiert nicht.

      Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr, schon 18:00 Uhr, da musste sie sich beeilen. Unter größtem Zeitdruck warf sie sich in ein operngerechtes Outfit, inklusive Make-up, High Heels und Abendtäschchen von Chanel. Mit Hilfe eines Taxis schaffte sie es, nahezu pünktlich im Foyer der Oper aufzutauchen, aber ihre Mutter war ihr natürlich zuvorgekommen. Hoheitsvoll thronte sie auf einem Sessel, perfekt gestylt in Dior, im Schlepptau einen Mann undefinierbaren Alters.

      „Hallo, meine Liebe", begrüßte ihre Mutter sie und bot ihr die Wangen für die keimfreien Begrüßungsküsschen.

      „Ich habe noch einen netten Gast dabei. Vielleicht kennst du ihn, er ist ein Freund deines Bruders und hat sich netterweise bereit erklärt, ihn zu vertreten. Dein Bruder hatte unerwartet einen dringenden Termin, irgendein wichtiges Seminar an der Uni.”

      Ella schnaubte innerlich vor Wut. Das sah Lieblingssöhnchen Konrad mal wieder ähnlich. Kein Mensch hatte am Freitagabend noch ein Seminar an der Uni. Garantiert wollte er lieber mit seinen Kumpanen von der Studentenverbindung einen saufen gehen oder sich mit seinen Corpsbrüdern beim Fechten eins überbraten. Mutter glaubte ihm natürlich alles, sie fraß ihm aus der Hand, ihrem Augenstern. Vielleicht sollte ihr aber dieser Typ hier mal wieder als möglicher Heiratskandidat vorgestellt werden. Ihre Mutter fand sie schon überreif für den Heiratsmarkt, das ließ sie immer mal wieder diskret durchblicken.

      Dieser „Typ“ schob sich jetzt nach vorne und reichte ihr mit einer straffen Verbeugung die Hand.

      „Egbert-Friedrich zur Hausen”, bellte er mit militärischer Strenge, fehlte noch fast, dass er die Hacken zusammengeknallt hätte.

      Fast wäre Ella zurückgewichen, sie riss sich gerade noch rechtzeitig zusammen. Man, war dieser Kerl unattraktiv! Sein Name kam ihr dumpf bekannt vor. Hatte Leon nicht gerade neulich von so einem karrieregeilen Typen erzählt, der so ähnlich hieß? Die Beschreibung stimmte jedenfalls. Rosa Schweinchen war haargenau richtig. Ihre Laune sank noch eine Etage tiefer. Sie liebte auch durchaus klassische Musik, aber nicht so dramatisch und düster, sie war einfach kein Wagner Fan. Was hatte ihre Mutter nur für einen Geschmack! Ella wusste schon gar nicht mehr, ob sich das auf die Musik oder den Typen bezog. Musste sie jeden Strohhalm ergreifen, um ihre widerspenstige Tochter an den Mann zu bringen? Wobei dies nicht das Problem war, sondern die Betonung lag auf „richtig". Ihre Mutter wollte sie an den „richtigen" Mann bringen.

      Die Krönung des Abends bestand darin, dass dieser grässliche Typ sie auch noch zu einem Vortrag in die Urania einladen wollte. Thema: Die vielfältige Vogelwelt des Wattenmeers. Wollte der Typ so das „Vögeln" lernen? Ella war froh, als der letzte Takt der donnernden Musik verhallt war und sie die Flucht nach Hause antreten konnte.

      Kapitel 10

      Die Königin der Nacht parkte den Luxusschlitten in einem Parkhaus. Hier in der Innenstadt war auch nachts kein einziger Parkplatz zu ergattern, aber Parkhäuser waren sehr praktisch. Wenn man nicht gerade Pech hatte und ein ganzer Pulk von Leuten ihre Autos zur gleichen Zeit in derselben Ecke abholen wollten, war man relativ unbeaufsichtigt. Sie stieg mit einer eleganten Bewegung aus und glitt mit dem Fahrstuhl ins Erdgeschoß. Die Bar, die sie sich ausgesucht hatte, lag einen kleinen Spaziergang entfernt. Das war gut so, denn im Nachhinein würde man vermutlich keinen Bezug zum Parkhaus herstellen. Sie betrat die Bar hocherhobenen Hauptes und durchschritt sie mit gekonntem Hüftschwung. Die Blicke der anwesenden Männer folgten ihr bewundernd. Die Beleuchtung war rötlich schummrig, also freundlich für den Teint und schummelte einen noch mal fünf Jahre jünger. Sie schaute den Männern, die sie mit offenem Begehren im Blick anstarrten, auffordernd und selbstbewusst in die Augen. Die meisten senkten dann den Blick, bei einigen, aber eigentlich nur bei ganz wenigen, schlich sich eine Art Unsicherheit in den Blick, ein irritiertes Flackern, so als ob sie etwas ahnten, etwas das in ihrem Unterbewusstsein schlummerte. Verunsicherung machte sich breit. Sie machte solche Ausflüge ins Berliner Nachtleben eher selten, nur wenn sie unbändige Lust darauf verspürte und das kam nicht allzu häufig vor. Es musste ein besonderes Erlebnis bleiben. Sie suchte nach einem Mann der ihr