Betty Hugo

For ever young


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in ihrer Seniorenresidenz besucht und da war sie noch putzmunter, putzmunter sage ich ihnen. Wir haben uns zusammen die Hitparade der Volksmusik mit Stefanie Hertel angeschaut, so ein hübsches Mädel.“

      Ella war mit den Gedanken für eine Sekunde abgeschweift und hatte nicht richtig aufgepasst.

      „Wer ist ein hübsches Mädel?“

      „Na, die Stefanie, die mit den tollen Dirndels, ist ja auch egal, jedenfalls haben wir die Hitparade geguckt und dabei mit geschunkelt. Das macht doch keiner, der am nächsten Tag stirbt!“

      Herr Schmidtke rang dramatisch die Hände.

      Ella war sich da nicht so sicher, hatte aber Mühe passende Gegenargumente zu bieten. Herr Schmidtke redete indessen munter weiter,

      „Ich bin sicher, dass meine Mama nicht an Altersschwäche gestorben ist. Da war so eine komische Pflegerin, wissen sie? Die war mir irgendwie unheimlich, immer schlich die so komisch um uns rum, wenn ich da war.

      Jetzt reichte es Ella langsam, diesen aus der Luft gegriffenen Anschuldigungen musste sie Einhalt gebieten.

      „Das kann nicht sein Herr Schmidtke“,

      sie versuchte so überzeugend wie nur möglich zu klingen, obwohl ihr die Situation langsam skurril vorkam.

      „Ich habe mir ihre Mutter gestern Vormittag höchstpersönlich im Bestattungsinstitut Kupferberg angeschaut. Nichts, aber auch gar nichts deutet darauf hin, dass sie eines unnatürlichen Todes gestorben ist.“

      Sie förderte weitere Argumente zutage.

      „Den behandelnden Hausarzt, Dr. Breitenbach, der den Totenschein ausgestellt hat, habe ich auch noch mal befragt. Er hat Stein und Bein geschworen, dass alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Soweit ich das überprüfen konnte, ist ihre Mutter auch nicht seziert worden. Im Ernst, Herr Müller, auch wenn ihre Mutter ,Topfit´ war, ist das Leben irgendwann vorbei. Außerdem handelt es sich um eine ausgesprochen teure und angesehene Seniorenresidenz, die einen untadeligen Ruf genießt“, schob sie noch hinterher.

      Innerlich genervt, dachte sie: Aus - Schluss - Vorbei, die Verwandten hatten immer wieder Probleme, das Unvermeidliche zu akzeptieren. Die Endgültigkeit des Todes!

      Eine gefühlte Ewigkeit später verabschiedete sich Herr Schmidtke, nachdem sie noch Erbschaftsangelegenheiten besprochen hatten.

      Ein Blick auf seine Armbanduhr scheuchte ihn auf. Schon 18:00 Uhr, er musste sich beeilen, wenn er seine Verabredung an diesem Abend pünktlich einhalten wollte.

      Innerlich seufzend blickte er sich in seinem kargen Dienstzimmer in der Turmstraße in Moabit um, die Akten stapelten sich fast bis an die Decke des engen, hohen Zimmers aus dem 19. Jahrhundert und schienen nie weniger zu werden, soviel er auch schuftete.

      Die mit schmutz abweisender Ölfarbe lindgrün gestrichenen Wände verströmten den Charme einer Gefängniszelle. Es war schon Paradox, er saß hier, um die Bösewichte der Stadt zu verfolgen und möglichst hinter Schloss und Riegel zu bringen und hatte es - rein optisch betrachtet - nicht besser als die, bei denen er erfolgreich gewesen war.

      Vielleicht war dies eine Methode der Justizverwaltung, ihre Angestellten stets an den Ernst des Lebens hinter Gittern zu erinnern.

      Immerhin, er war frei. Frei, dieses staubige Verlies zu verlassen und sich mit einer tollen Frau zu treffen.

      Leon beschloss, für heute die Arbeit zu beenden und klappte die letzte Akte des Tages zu. Da er es nicht mehr rechtzeitig nach Hause schaffen würde, musste er sich wohl oder übel im Büro umziehen. Er zog den teuren Anzug aus, den er sich extra für den neuen Job angeschafft hatte. Was für eine Gehaltsverschwendung bei diesem Ambiente. Stattdessen wechselte er in eine Jeans und ein frisches Hemd.

      Sogar einen Ausflug ins KaDeWe hatte er für den neuen Anzug unternommen. Aber allein die Marke BOSS sagte nichts darüber aus, dass er auch BOSS werden würde. Garantiert würde dieses rosagesichtige Schweinchen Egbert - Friedrich vor ihm die Karriereleiter hinauffallen. Der war in der richtigen Studentenverbindung gewesen, der war jetzt in der richtigen Partei und soff garantiert mit den richtigen Leuten, dafür hatte der einen Riecher wie ein Trüffelschwein.

      Das winzige vorsintflutliche Waschbecken mit dem kaputten Spiegel erlaubte nur eine notdürftige Wäsche. Es war so niedrig, dass er sich geradezu herabbeugen musste. Vor gefühlt 100 Jahren waren die Angestellten wohl deutlich kleiner gewesen.

      Mist, er hatte schon wieder einen deutlichen dunklen Bartschatten, obwohl er sich erst heute Morgen gründlich rasiert hatte. Der nagelneue scheiß supercut Rasierer, für den soviel Werbung gemacht wurde, hielt auch nicht, was er versprach. Er spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht und fühlte sich gleich besser. Mit etwas Wasser bändigte er auch seine kräftigen braunen Haare, die er sich beim Brüten über den Akten gründlich zerrauft hatte.

      Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf und trocknete sich das Gesicht. Zum Glück war er, der Bürohockerei zum Trotz, schlank und fit geblieben, davon konnte dieser grässliche Egbert nur träumen.

      Er freute sich auf die Begegnung mit Ella heute Abend. Sie sahen sich viel zu selten, obwohl sie sich seit Grundschultagen kannten. Als Teenager hatte er heimlich für sie geschwärmt, sich dies aber nie anmerken lassen. Bis zum heutigen Tag waren sie bloß alte Kumpel geblieben, es war nie mehr aus ihrer Freundschaft geworden. Warum, konnte er sich auch nicht genau erklären, er hatte sich einfach nie aus der Deckung getraut.

      Es lag wohl auch ein wenig an ihrer Familie, schon als Teenager hatte er ihre Mutter nicht leiden können. Diese anstrengende High Society Dame war furchtbar nervig und hätte ihn nie akzeptiert, mit seinem „normalen” gesellschaftlichen Background.

      Insgeheim bedauerte er diesen Zustand, zumal die „Richtige” bisher in seinem Leben noch nicht aufgekreuzt war. Aber wenn er immer nur in diesem lindgrünen Verließ hockte und Akten frass, würde sich an diesem Zustand seines Privatlebens so schnell nichts ändern.

      Kapitel 4

       Die getigerte Katze hatte vor einigen Tagen junge Kätzchen bekommen, sechs süße kleine Viecher, die sie im Versteck hinter dem Schuppen versorgte. Immer wenn er aus der Dorfschule nach Hause gerannt kam, schaute er zuerst bei der Mutterkatze und ihren Jungen vorbei.

       Er war absolut fasziniert von den Tierchen und konnte sie stundenlang beobachten, aber sein Interesse ging über das normale Interesse seiner Altergenossen hinaus. Sie gaben sich damit zufrieden, die Kätzchen zu streicheln und zu liebkosen, verloren aber dann nach einiger Zeit das Interesse und wandten sich anderen Spielen zu. Sie rannten auf den staubigen, unbefestigten Dorfplatz und spielten in der brütenden Sommerhitze Fußball.

       Sein Interesse war weitergehender, naturwissenschaftlicher Art. Er beobachtete das Verhalten der Tiere untereinander, wunderte sich, wie schnell sie wuchsen und an Gewicht zulegten, nach ein paar Tagen die Augen öffneten. Er dachte über das Geheimnis des Lebens nach. Er wunderte sich und stellte sich die Frage, wie funktionierte es, das Leben? Klar das Herz schlug und pumpte Blut durch die Adern. Sie tranken Milch, die sie wachsen ließ, so war es bei Mensch und Tier. Im Verlaufe der Wochen, verspürte er immer stärker den inneren Drang, dieses „Leben“ genauer zu erkunden.

       Eines Tages fasste er sich ein Herz. Er hatte seine Aktion seit einigen Tagen geplant und vorbereitet, soweit es ihm möglich war. Er hatte ein Filetiermesser aus der Schublade in der guten Stube entwendet. Es war das „gute" Besteck und wurde nur an hohen Feiertagen verwendet, seine Mutter würde es nicht vermissen. Mangels einer vernünftigen Ausrüstung war er auf die Idee verfallen, sich in der kleinen Werkstatt im Schuppen das Nötigste zusammen zu suchen. Die längsten Nägel, die er finden konnte, ein kleiner Hammer, eine kleine Handsäge, einen altmodischen Handbohrer (für einen elektrischen hatte seine Mutter kein Geld) und eine Kneifzange.

       Für sein Vorhaben hatte er einen ruhigen Nachmittag ausgewählt. Seine Kumpels waren wie immer auf dem staubigen Fußballplatz zu finden oder am Flussufer, wo sie im seichten