Peter Kunkel

Afrikanische Geschichten von gestern


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      Peter Kunkel

       Afrikanische Geschichten von gestern

      epubli Verlag

      Vom Untergang eines tausendjährigen Königreichs bis zur illegalen Ankunft eines Afrikaners in München reicht die Palette der sieben Geschichten auf dem Hintergrund Zentralafrikas in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Nicht nur des schwarzen Zentralafrika, sondern auch des weißen, das in dieser Zeit – und bis heute – (leider?) immer noch bestimmend war und ist. Ihm gehörte der Verfasser eine Zeitlang an – kein Wunder, daß es so eine wesentliche Rolle in den Geschichten spielt, so sehr sie auch von Afrika bestimmt sind.

      Peter Kunkel, Zoologe, hat über Verhalten von Vögeln und Ökologie tropischer Wälder gearbeitet, darunter zehn Jahre im Ostkongo, und war für die EU-Kommission als Experte für Vogel- und Habitat-schutz in Brüssel tätig.

      ISBN --------------------------------------

      Copyright © Peter Kunkel

      Umschlagbild : Schale von Murex ramosus. Zeichnung 2011 © Regula Kunkel

      Herstellung und Verlag : epubli GmbH. Berlin, www.epubli.de

       Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

      in der Deutschen Nationalbibliographie;

      detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http.//dnb.d-nb.de

      abrufbar

      Inhalt

       Geschichte eines Schneckenhauses

       Rosen am Äquator

       Palmölpatina

       Abend in Kin

       Flug aus der Winternacht

       Die Machete

       Weihnachtliche Ankunft

      Geschichte eines Schneckenhauses

      Moana, den siebenundvierzigsten König der Bakalya, ließ der Präsident in einem Seitenflügel des neuen Regierungspalasts verhungern, vor dem flämische Gärtner Teerosen unter der Äquatorsonne drei Monate am Leben erhalten und danach durch neu eingeflogene Rosenstöcke ersetzen mussten.

      Der König hatte dem Präsidenten die jüngste seiner vier wahren und wirklichen Gemahlinnen verweigert, als der große Führer auf seiner Triumphfahrt durchs Innere für eine Nacht in Mbandwela abgestiegen war, dem Hauptort der Provinz, in der das Land der Bakalya lag. Umsonst hatte ihn Moana gebeten, sich doch statt ihrer eine seiner Nebenfrauen auszusuchen, mit denen er zum Empfang an den Flugplatz gekommen war. Er hatte ihm sogar seine Schwester angeboten. Die Leibwache hatte ihn zusammengeschlagen und den Fluß hinunter in die Hauptstadt gebracht. Auch die Frau war in den Händen dieser Riesen mit den gewaltigen Unterkiefern verschwunden; vermutlich war sie schon tot, als das Schiff vor der Stadt anlegte.

      Moana aber durfte nicht durch eine Kugel oder einen Machetenhieb in den Nacken umkommen; das wäre zu königsgemäß gewesen und nicht genug für die Wut des Präsidenten. Ein Herrscher der Bakalya musste von einer Waffe sterben, wenn seine Kraft auf den Nachfolger übergehen und seinem Land und Volk erhalten bleiben sollte; an seinem Hof gab es eine besondere Lanze und einen Pygmäen, der sie ihm in die Brust stoßen musste, wenn er seine Kräfte nachlassen fühlte, spätestens wenn er auf dem Totenbett lag und sein Atem gerade noch nicht von ihm gegangen war. Jetzt sollte der siebenundvierzigste König der Bakalya ohne Lanzenstoß sterben, in grauer Hoffnungslosigkeit und allein. So schwach sollte er sterben, daß nach dem Tod nichts mehr übrig wäre, was er noch auf seinen Nachfolger übertragen könnte. Vollkommen ausgelöscht sollte er sterben; so wollte es der Präsident, und so, wusste Moana, würde es auch geschehen.

      Er war ein glückloser König, und freudlosen Gemüts war er schon gewesen, bevor er den Weg des Präsidenten gekreuzt hatte, sogar schon bevor er König geworden war. Damals war bereits die Kraft der Dynastie und des Volkes vor seinen Augen verblasst. Er folgte seinem Onkel Mochwabe auf den Thron im Bewusstsein, daß nichts mehr davon übriggeblieben war.

      Die Bakalya hatten immer viele Dinge besessen, in denen Kräfte ihren Sitz hatten. Es waren zum Teil Dinge, in denen von Natur aus eine Kraft zu Hause war und nutzbar gemacht werden konnte, bestimmte Blätter und Früchte etwa oder Fellstücke, Klauen und Zähne mancher Waldtiere, zum Teil aber auch von den Bakalya selbst hergestellte Gegenstände, in die Schmiede und andere wissende Männer erst Kräfte hineinbannen mussten. Die Bakalya waren ein Volk von Schnitzern, das die Geister, die mit ihnen im Lande wohnten, in Masken darstellte, damit sie darin ihren Sitz nehmen, zu den Kindern sprechen und sie zu Männern machen könnten, und am Königshof gab es Leute, die immer wieder Statuetten aller Kalyaherrscher fabrizierten, damit ein Stück königlicher Kraft darin Platz nähme und dem Volk und der Dynastie erhalten bliebe. Mit finsteren, bedrohlichen Mienen saßen diese Königsbilder auf ihren Schemeln, und die Schnitzer gaben acht, daß ihrer Kraft kein Unglück zustoßen könne: sie schnitten ihnen nur schmale Schlitze in die Augen, von einem Winkel zum andern, durch die sie wohl herausblicken und ihre Kraft im Blick mitteilen konnten, aber selbst nichts wahrnahmen, was ihnen Unruhe gebracht und ihre Stärke gemindert hätte. Zu den Füßen jedes Königs aber brachten die Schnitzer an, was er seinem Volk gebracht hatte, vor dem zwölften eine kleine Trommel, vor dem fünften eine Hacke und vor dem einunddreißigsten das Abbild der Orakelschale, aus der ein Großer am Hof die Tage für die Riten bestimmte. Dem ersten Herrscher Molima, dem Gründer des Kalyavolkes, war ein kleines Schneckenhaus beigegeben; es gab das Kraftgefäß wieder, das die Bakalya höher achteten als jedes ihrer Kunstwerke und das von Molima an im Besitz der königlichen Familie geblieben war. Dieses wahre und wirkliche Schneckenhaus stammte nicht aus dem Waldland zwischen den beiden Schwarzwasserseen, zwischen denen jetzt das Reich der Bakalya lag. Es war anders als alle anderen Kraftträger, die dieses Volk zu eigen hatte. Sie alle hatten den Geruch und die braune Farbe des Waldlandes. Die Masken und Königsbilder, mochten sie auch mit Kaurischnecken und Glasperlen aus Damaskus und Venedig geschmückt, manchmal regelrecht überkrustet sein, waren aus dem braunen Holz der Wälder des Kalyalandes, und all die Fellstücke, Fruchtkapseln und getrockneten Blätter aus dem Wald waren braun wie der Moder auf seinem Boden und das Wasser in den Bächen und Rinnsalen, auch wie das Wasser der beiden Seen, das so trüb war, daß man seine Zehen nicht mehr sah, wenn man auch nur bis zum Knöchel darinstand. Selbst Zähne und Elfenbein nahmen unter den Händen der Bakalya bald diese Farbe an, weil sie mit Palmöl eingerieben wurden, damit sie nicht rissen. Nur die große Schneckenschale des Königs blieb, wie sie immer gewesen war. Ihre großporige, gewellte Oberfläche mit den gedrungenen Dornen darauf glänzte stets im gleichen grauen Weiß, und auch der bleichrote Rand um den 'Mund' änderte sich niemals. Immer konnte man aus ihm heraus die Kraft der königlichen Schnecke leise rauschen hören.

      Es war die Schale einer Purpurschnecke, die unter ihr vor mehr als tausend Jahren noch Jagd auf Muscheln gemacht hatte, im flachen Wasser hinter dem Riff an der Küste von Kenya. Hatte sie der Stammesgründer selbst mit herauf ins Hochland gebracht, hatte sie ihm ein Händler verkauft, vielleicht sogar einer von heller Hautfarbe? Wer weiß, wer damals schon alles durch Ostafrika gezogen ist.

      Die dynastischen Hymnen der Bakalya erzählen die Sache allerdings anders. Sie berichten von einem tiefen See, auf dessen Grund die Schnecke gelebt habe. Ein kristallklarer See sei es gewesen, nicht ein Torfwasser wie die beiden Seen des jetzigen Kalyalandes, und von überall her habe man die Schnecke deutlich auf dem kiesigen Grund gesehen, umgeben von riesigen Fischschwärmen. Aber unendlich tief sei der See gewesen, und nur Molima