Peter Kunkel

Afrikanische Geschichten von gestern


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Auch Moana konnte rechtzeitig entkommen, aber nicht Mochwabe und seine Familie. Die Soldaten brachen in seine Residenz ein, und während einer von ihnen den König in Schach hielt, durchsuchten die anderen, unbeirrt vom Geheul der Frauen, die Häuser nach Statuetten und Masken.

      Das taten sie nicht für sich, sondern für einen gewissen Monsieur Jean. Das war ein Franzose -, vielleicht auch nicht ganz ein Franzose, östliches Mittelmeer, Amerika, man wusste es nicht so genau -, der ein paar Monate vor der Unabhängigkeit in Mbandwela aufgetaucht war, misstrauisch betrachtet von den Europäern, die dort ansässig waren. Er hatte kaum Kontakt mit ihnen aufgenommen; man fand ihn mehr in den Bars der Schwarzen, wo er Soldaten freihielt, sehr zum Ärger ihrer weißen Vorgesetzten. Einigen Favoriten unter den neuen Parteiführern sollte er die Wahlkampagnen bezahlt haben, was im wesentlichen auf die Spende einiger Wagenladungen Bier hinauslief. Draußen bei den Bakalya war er auch gewesen und hatte sich nach Masken und Statuetten erkundigt, ganz unter der Hand. Es war trotzdem der Provinzialverwaltung zu Ohren gekommen; einer der Beamten hatte ihn zu sich bestellt und ihm dargelegt, daß der Export solcher Kunstwerke jedenfalls verboten sei. Jetzt war dieser Beamte fort, und Monsieur Jean war gut Freund mit den einheimischen Funktionären, die ihn ersetzt hatten. Von ihnen hatte er von der geplanten 'Strafexpedition' gegen die Bakalya erfahren. Er hatte sich nach den Namen der Soldaten, die sie ausführen sollten, erkundigt und ihnen hinter ein paar Gläsern Bier für jede Maske und jede Statuette der Bakalya ein Tausendstel der Summe versprochen, die er selbst dafür in Paris und London zu verlangen gedachte. Er war gut über die Preise zentralafrikanischer Plastik orientiert; wenn die Soldaten die Schublade des Tischs aufgezogen hätten, auf denen ihre Gläser und Flaschen in halbeingetrockneten Bierringen standen, hätten auch sie sie in den Katalogen verschiedener großer Auktionshäuser finden können.

      Aber schon was Monsieur Jean angeboten hatte, war ihnen phantastisch vorgekommen, und so suchten sie jetzt nach Masken und Statuetten. Sie kamen über das Totenhäuschen, in dem die Bilder der verstorbenen Könige aufbewahrt wurden, und rissen den dreiundvierzigsten, den achtunddreißigsten, den zwölften, den siebzehnten und den fünfundzwanzigsten Herrscher der Bakalya aus dem Schlaf. Im Hüttendach fanden sie noch einige Masken. Einer von ihnen näherte sich schließlich dem Korb, in dem die große Schnecke ihren Sitz hatte. Da rührte sich Mochwabe, als wolle er sich vor den Korb werfen, und sein Bewacher zog am Abzugshahn seines Gewehrs. Eine Kugel zerriss die Gedärme des Königs, er fiel hin, und eine zweite Kugel zerschmetterte sein Gesicht. Die Soldaten erschraken. Auch in ihrer Heimat gab es solche Könige, und sie wußten, daß die toten Herrscher der Dynastie und die Geister des Landes sie vernichten würden, wenn sie sich nicht schleunigst über die Grenze des Königreichs begäben. Hastig stopften sie in einen Sack, was sie gefunden hatten. Sie zwangen den jüngsten Sohn des Königs, ein elfjähriges, mageres Bürschchen, ihre Beute zu den Jeeps zu tragen. Einige Minuten später verklang das Geknatter der offenen Wagen in der Ferne.

      Monsieur Jean verzog keine Miene, als die Soldaten die fünf Bildnisse der Kalyaherrscher aus dem Sack zogen. Er beanstandete lediglich einen Kratzer auf dem Gesicht des achtunddreißigsten Königs und seine abgebrochene Nase, die schon mindestens ein Jahrhundert fehlte. Er nahm ihnen die Masken ab, als ob er ihnen eine außergewöhnliche Gnade gewähre, und für das Haus der Kalyaschnecke gab er sogar eine Flasche Bier. Er konnte jetzt abreisen; bis zur nächsten Unabhängigkeit irgendwo in Schwarzafrika würde er an diesen Sachen genug haben. Fremd und verloren standen die Könige zwischen den nassen Flaschen und Gläsern.

      "Aber die Muschel könnt ihr wieder mitnehmen", sagte Monsieur Jean, nachdem er in den Korb geschaut hatte. Er holte sie heraus und legte sie auf den Tisch, zwischen die Könige und Bierflaschen.

      "Nehmt nur mit, was euch gehört!"

      Machte sich der Weiße etwa über sie lustig? Sie versuchten ihn drohend anzusehen; aber er hielt ihren Blicken stand. Er lachte sogar. Barsch riss einer von ihnen die Kalyaschnecke vom Tisch. Grußlos stürzten sie zur Tür hinaus. Jean schloss hinter ihnen ab.

      Es war inzwischen Nacht geworden. Die Straßen waren menschenleer, und nichts konnte die Soldaten davon ablenken, daß Monsieur Jeans höhnisches Grinsen stärker gewesen war als sie. Die Kalyaschnecke war ihnen zuwider, und der, der sie in der Hand hielt, wollte sie gerade wegwerfen, als er einen seiner Kameraden kichern hörte, ein leises Kinderkichern, so hoch und so hell, wie man es nie in einem so gewaltigen Körper vermutet hätte.

      "Wir gehen zu João", sagte der Kicherer, und gleich waren sie wieder alle strahlender Laune.

      João Pirango wollte gerade seinen Laden unten am Fluß abschließen, als sie ankamen. Als sie in seinen Laden einbrachen, fing er an zu zittern. Mbandwela war wirklich ein böser Platz in diesen Tagen. Die Soldaten warfen ihm die große Schnecke der Bakalya auf die Theke und verlangten dafür Whisky, allen Whisky, den er hätte. João zeigte mit zittrigen Fingern auf einen Karton Johnny Walker, der nicht weit von der Tür zwischen anderen Kisten und Schachteln stand. Ob das alles sei? Das würden sie doch erst noch mal untersuchen. Schachteln mit Hemden darin wurden aufgerissen, der Inhalt in den Boden getreten, eine Kiste Porzellan umgestülpt. Camemberts rollten nach allen Himmelsrichtungen, und das Unglück wollte es, daß die späten Besucher unter alle dem auf einen zweiten Karton Whisky stießen, und sogar Johnny Walker Black Label, nicht den gewöhnlichen, den João ihnen angeboten hatte.

      Die Soldaten brüllten auf und machten sich an die übliche Arbeit. Jeder brachte zunächst einen Faustschlag auf Joãos Nase an, der zu seinem Glück hinter dem Ladentisch zusammensank. Dann schlugen sie auch hier systematisch alles kurz und klein. Als sie fertig waren, war in Joãos Laden nichts mehr heil außer den vierundzwanzig Whiskyflaschen und dem großen Schneckenhaus der Bakalya, die immer noch einsam auf der Theke lag. João selbst drückte sich blass und verschwollen in eine Ecke.

      Sie lüden jetzt ihren Whisky auf. Schließlich hätten sie ihn ja bezahlt, nicht wahr? Sie krümmten sich vor Lachen.

      Ob sie ihn bezahlt hätten?

      "Antworte!!"

      Jaja, sie hätten ihn bezahlt. Er hätte Glück, wenigstens jetzt aufrichtig zu ihnen zu sein, ha ha ha! Noch in der Ferne hörte João ihr widerwärtiges Gelächter durch die feuchte Nachtluft schallen. Niedergeschlagen betrachtete er, was einmal sein Laden gewesen war. Er hatte jetzt genug. Wenn er nur die fünfzehn Rohdiamanten durch die verschiedenen Zollämter Afrikas und Europas bringen könnte, die er vor einer Woche dem neuen, afrikanischen Direktor der Minenpolizei abgekauft hatte. Er hatte zwar gehofft, daß sein neuer Geschäftspartner noch einige Schmuggler mehr festnähme; aber noch einen Abend wie diesen wollte er nicht riskieren.

      Angeekelt betrachtete er das Schneckenhaus auf dem Ladentisch, als ob es an seinem Unglück schuld wäre; eigentlich war es das ja auch. Plötzlich kam ihm ein Gedanke. Was er am meisten auf den Flughäfen und Zollämtern fürchtete, waren die Röntgenpassagen, durch die sein Gepäck gleiten würde; darin würden die Zollbeamten und Polizisten seine fünfzehn Steinchen sofort entdecken. Aber diese teuer erkaufte Muschel war doch aus Kalk, wie Knochen, und auf den Bildschirmen undurchsichtig. Ach, nur eine Erinnerung an das tropische Meer, Herr Inspektor...

      Als es draußen ganz still geworden war und nur noch die Grillen zirpten, wischte er sich das Blut aus dem Gesicht und zog unter der Theke die drei Streichholzschachteln hervor, in denen seine Steinchen lagen. Sorgfältig umwickelte er jeden Diamanten mit Seidenpapier - es lag genug davon am Boden herum zwischen Hemden und Porzellanscherben - und verstaute ihn in den Windungen des Schneckenhauses so weit innen wie möglich. Zuletzt verschloss er das Ganze mit einem Knäuel Zeitung und drückte es so tief hinein, daß man nichts mehr davon sehen konnte, auch wenn man genau in die Öffnung des Schneckenhauses hineinsah. Er zog einen kleinen Pappkoffer unter dem Bett hinter der Sperrholzrückwand seines Ladens hervor und verpackte das Schneckenhaus zwischen ein paar Hemden, etwas Unterwäsche und zwei Kilo einheimischen Kaffees. Er ging mit dem Köfferchen zum Fluß hinunter, der gleich hinter seiner Bretterbude vorbeizog. Dort unten lag sein Boot. Er ruderte so leise wie möglich ein gutes Stück aufs Wasser hinaus, eh er den Motor anwarf. Obwohl ihm immer noch das Gesicht schmerzte und die Knie bebten, lenkte er den Kahn geschickt durch die Wirbel des Stroms und zwischen den breiten Tuffs der Wasserhyazinthen hindurch. João war an der Küste von Algarve zu Hause, und seine Hauptbeschäftigung in Mbandwela war