Peter Kunkel

Afrikanische Geschichten von gestern


Скачать книгу

Bräuten nur noch bunt emaillierte Aluminiumbüchsen geschickt, die es schockweise in jedem Portugiesenladen in Mbandwela zu kaufen gab. Was darauf abgebildet war, war gleichgültig und bedeutete nichts für die Zukunft.

      Was die Kostbarkeiten der Bakalya entwertete, musste nicht einmal aus den Ländern der Weißen kommen. Monsieur Delvaux zum Beispiel hatte in den Savanne nördlich des großen Flusses sieben Leoparden geschossen und ihre Felle im Wohnzimmer ausgelegt. Unter den Bakalya kam das Fell dieser Tiere nur dem König zu; er allein durfte sich auf ihm niederlassen. Monsieur Delvaux aber ließ seine Kinder darauf herumlaufen, seine Gäste und seine Hausboys...

      Bewusst wurde Moana das alles vielleicht nicht; aber es machte ihn unruhig und niedergeschlagen wie viele andere Bakalya auch. Nie war ihm aber der Gedanke gekommen, daß zu den entwertbaren Dingen auch das große, glänzende Schneckenhaus gehören würde, das heraufzuholen Molima, der Stammesgründer und sein Ahne, in den kristallklaren See hinuntergestiegen war. Sieh nur genau hin; auch diese Schneckenschale, um die sich sein Volk unter sechsundvierzig Königen geschart hatte, ist nicht einmalig. Auch davon hatten die Weißen gleich mehrere, und sie hielten so wenig von ihnen, daß sie ihre Kinder damit spielen ließen. Moana hätte darüber nachdenken können, ob das Schneckenhaus der Bakalya damit seine Kraft eingebüßt hatte, daß sie verfünffacht war, ob die Weißen so stark waren, daß sie die Kräfte eines solchen Schneckenhauses nicht brauchten und es deshalb als Spielzeug ansahen, ob das Schneckenhaus seines Volkes und seiner Familie vielleicht wirklich nie eine Kraft besessen hatte, wie die Patres ja schon seit fünfzig Jahren behaupteten. Aber er war kein Denker. Die vier Purpurschneckenschalen auf der Delvaux'schen Kommode sagten ihm nur, daß sein Volk und seine Familie nun nichts mehr hatten, was sie ihr eigen nennen konnten, und daß es mit ihrer Kraft nicht mehr viel sei.

      Vielleicht war es immer nur die persönliche Stärke der einzelnen Herrscher gewesen, die mit ihren Erfindungen sein Volk zusammengehalten hatten. Moana überkam Panik. Was sollte er noch erfinden in dieser Welt der Weißen, die mit ihrer Macht und ihrem Reichtum ganz Zentralafrika bis ins letzte Dorf durchorganisiert hatten und schon seinem Onkel kaum noch etwas zum Entscheiden ließen; neulich erst hatte sie jede einzelne Hütte im Kalyaland aussprühen lassen, angeblich um die Moskitos zu töten.

      Moana war keine Kraftnatur; das war ihm nur zu sehr bewusst. Beim Anblick der vier Purpurschneckenschalen fürchtete er sich mehr denn je, einmal König sein zu müssen. Am liebsten wäre er davongelaufen wie so viele andere junge Bakalya. Er konnte vielleicht in Mbandwela Hausboy werden; vielleicht konnte er sogar in einer Garage arbeiten und irgendwann einmal Mechaniker sein. Aber er hatte immer noch zuviel Angst vor der den toten Kalyakönigen und auch - vor der tausendjährigen Schneckenschale. Es sah sie alle nachkommen und ihn vernichten. Nein, er kam dem Königsein nicht aus. Eine eisige Resignation durchflutete ihn, und sie verließ ihn nie mehr bis zu seinem einsamen Ende im Seitenflügel des Präsidentenpalastes.

      Er fragte seinen Dienstherrn niemals, woher er denn die vier Purpurschneckenhäuser habe. Immer stand er irgendwo im Haus, den Flederwisch in der Hand, mit dem er die Spinnweben aus den Ecken unter der Decke herunterfegen sollte, und starrte vor sich hin. Madame Delvaux hatte ein schlechtes Gewissen. Sie hatte wohl gemerkt, daß ihr Boy anders geworden war, seit sie sich einen Tag nach der Rückkehr von Mombasa hatte gehen lassen. Sie war kein Herrenmensch; sie versuchte herauszubringen, was ihm fehlte. Als er nicht antwortete, wurde sie ungeduldig. Moana war ein schlechtes Beispiel für die anderen Boys im Haus. Vielleicht dachte er nur, bloß weil sie ihn einmal ein bißchen zu hart angefahren hatte, könne er sich jetzt auf ewige Zeiten leisten, mit dieser Leichenbittermiene herumzulaufen. Hinter diese Afrikaner kam man nicht, nicht wirklich. Häuptlingsneffe hin, Häuptlingsneffe her; wenn er sich nicht bald bequemen sollte, sich wieder ein bißchen mehr in Trab zu setzen, musste man ihn halt entlassen.

      Vier Wochen später nahm Moana freundlich das Arbeitsbuch aus Delvaux' Hand entgegen, grüßte ehrerbietig und ging davon, ohne sich noch einmal umzuwenden. Kopfschüttelnd sah Delvaux ihm nach. Das war nun ein Häuptlingssproß und sollte einmal Herr über einen ganzen Stamm werden! Wie gut, daß die Weißen im Land waren und den Schwarzen endlich etwas Vernünftigeres zu tun gaben, als ihre seit Generationen untätigen traditionellen Häuptlinge zu füttern!

      Aber lange sollten die Europäer in den Gebieten um den großen Fluß nicht mehr ungestört die Afrikaner programmieren können. Delvaux' Heimatland war nicht so groß und mächtig, daß seine Verbündeten es nicht hätten zwingen können, seine Kolonie in die Unabhängigkeit zu entlassen, und nachdem seine Regierung begriffen hatte, daß sie dem nicht entkommen konnte, setzte sie die Unabhängigkeit sofort an, sozusagen über Nacht. Niemand hatte das erwartet, und alle hatten Angst davor, Weiße und Afrikaner. Die beiden europäischen Mitarbeiter Delvaux' verließen die Plantage; Delvaux selbst schickte Frau und Kinder nach Europa. Er selbst blieb. Er war entschlossen, seiner Kompanie auch unter den neuen Verhältnissen zu erhalten, was er hier aufgebaut hatte. Das kostete ihn einen herben Tod.

      Nicht von den Bakalya. Die galten, zu Recht oder zu Unrecht, als weißenfreundlich, und außerdem unterlagen sie in der Karikatur einer westlich-demokratischen Parlamentswahl, die die scheidenden weißen Beamten als letzte Amtshandlung über die Bühne gehen ließen, haushoch den Bantika, denen keine festgefügte Ordnung um ein tausendjähriges Schneckenhaus im Weg gewesen war, sich beizeiten an Mission und Kolonialverwaltung anzupassen. Die Bantika hatten ihre Parteiorganisation fertig, mochte sie auch nur eine verkappte Stammesvertretung sein. Herren der Provinz wurden aber auch sie nur auf dem Papier. Die wirkliche Macht fiel plötzlich jemandem zu, den niemand dafür vorgesehen hatte, nämlich den Soldaten der Schutztruppe, die die Kolonialverwaltung bisher dazu verwendet hatte, die Völker und Stämme der Provinz 'ruhig' zu halten.

      Sie kamen aus anderen, weit entfernten Provinzen der Kolonie, aus dem Bergland im Osten und von der Küste und der Mündung des großen Flusses; die Verwaltung hatte immer sorgfältig darauf geachtet, ihre Askaris nicht in der Nähe des eigenen Stammes einzusetzen. Sie kannten die lokalen Sprachen kaum oder gar nicht, und sie hatten alle grässliche Angst vor den Leuten am Ort, mehr noch als vor ihren europäischen Offizieren. Vor denen hatten sie zwar auch nicht wenig gezittert; aber in der Entschiedenheit der weißen Chefs hatten sie bis vor kurzem doch ihren Halt in diesem fremden Land gefunden. Jetzt waren sie plötzlich allein und auf sich gestellt. Ein leeres, kaltes Grauen überkam jeden einzelnen von ihnen, daß sie nur niederkämpfen konnten, indem sie selbst Angst und Schrecken verbreiteten. Da nur sie in der Provinz Waffen besaßen, war das leicht, und Leute vor ihren Gewehrmündungen herumhampeln zu lassen, plündern und Einrichtungen aller Art und jeder Sorte gründlich, in regelrechter, harter Arbeit zu zerschlagen, ließ ihre Furcht in einen Kraftrausch umschlagen. Aber nie für lange. Das Entsetzen in den Augen ihrer Opfer war ansteckend. Es ließ sofort das Grauen wieder hochkommen, das ihre Grundstimmung war, und noch härter schlugen die Soldaten zu, um es zu betäuben.

      Es traf auch die Weißen. Sie hatten die Soldaten in die Fremde geschleppt und verlassen. Der Grimm gegen sie saß tief, und nichts konnte die Soldaten mehr außer sich bringen, als einen von denen zittern zu sehen, die bisher weit über ihnen, außerhalb jeder afrikanischen Gesellschaft gestanden hatten. Nur in die Augen sehen konnten sie ihnen auch jetzt noch nicht.

      So kamen eines Tages zwei Jeeps uniformierter Männer auch auf die Halbinsel zu Delvaux. Sie nannten ihn einen schlechten Weißen. Jeder von ihnen pflanzte ihm seine Faust ins Gesicht, rasch, bevor Delvaux Zeit hatte, ihm richtig ins Gesicht zu schauen. Dann banden sie ihm Arme und Beine so fest wie möglich über dem Rücken zusammen und ließen ihn so, mit dem Gesicht nach unten, in der prallen Mittagssonne liegen. Während er vor Hitze und Schmerzen halb ohnmächtig auf seinem Rasen lag und die Ameisen ihm zu Kragen und Ärmeln hineinkrochen, hörte er die Soldaten unter wieherndem Gelächter Geschirr, Fenster, Möbel und Hausrat zertrümmern. Die Schweißperlen standen ihnen auf der Stirn. Besonders die vier Purpurschneckenhäuser widerstanden lange ihrem Zerstörungsdrang; die letzte mussten sie fünfmal mit dem Gewehrkolben bearbeiten, bevor sie zersprang. Danach banden sie Delvaux' Beine los, zerrten ihn zu seiner bis zum Rand vollen Regentonne und kippten ihn kopfüber hinein. Diese Methode, speziell für Weiße, hatten sie ihren Kameraden in der Nachbarprovinz abgesehen.

      Als Delvaux sich nicht mehr rührte, fuhren die Soldaten davon. Ihre beiden Jeeps ratterten den braunen Sandweg entlang, der zu den