Peter Kunkel

Afrikanische Geschichten von gestern


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Stunde hörte er dicht neben sich ein Käuzchen schreien. Er sah den Schatten der kleinen Eule vor dem grauen Nachthimmel einen Bogen um das Boot ziehen; den Flügelschlag hörte er nicht. João seufzte erleichtert auf. Er musste ganz nah am andern Ufer sein. hier herrschte noch eine weiße Nation und damit Ruhe und Ordnung; dieser Europäer waren nicht so verrückt gewesen, ihren Kolonien die Unabhängigkeit zu geben, wenigstens bis jetzt noch nicht.

      Am nächsten Tag trafen sich João und Jean im Flugzeug. Sie kannten sich flüchtig. Sie hatten sich beide als Flüchtlinge deklariert und waren unangenehm berührt, sich hier zu sehen. Sie grüßten sich knapp von ferne; jeder war erleichtert, daß er nicht den Platz neben dem andern bekommen hatte. Aber ihr Gepäck kam nebeneinander zu stehen, und so war die große Schnecke der Bakalya noch ein letztes Mal dem Korb ganz nah, in dem sie fast zwei Jahrzehnte gewohnt hatte. Nun schwebten Korb und Schneckenhaus, nur durch ein Hemd, ein falsches und ein echtes Leder getrennt, miteinander in zwölfhundert Meter Höhe durch die eiskalte Luft.

      Der Korb fand vorläufig als Papierkorb in der Praxis eines Pariser Modearzts Aufstellung. Er sei fou des choses exotiques, erklärte sein neuer Besitzer, und außerdem sei das Ding so wahnsinnig praktisch, weil es einen Deckel hätte und man darin nach Exitus die weggeworfenen Anamnesen nicht gleich sähe, hahaha.

      Das Schneckenhaus passierte samt Inhalt alle Durchleuchtungsanlagen und Zollämter. Nur einmal wäre es um ein Haar schiefgegangen. Einem Zollbeamten in Lissabon gefiel das Gewicht der Schneckenschale nicht. Er schielte in die Öffnung hinein und tastete mit tabakgelben Fingern darin herum. Schon hörte João das Zeitungspapier knistern. Im letzten Moment funktionierte doch noch der Trick mit dem Kaffee. João schob rasch und nicht allzu auffällig ein Hemd über die beiden Kilosäckchen; ebenso rasch ließ der Beamte die Schnecke auf die Unterwäsche fallen, schnappte die beiden Beutel, roch daran, öffnete sie und begann zu rechnen: soundsoviel Escudos für soundsoviel Gramm Kaffee und soundsoviel Escudos als Strafe dafür, diese Ware nicht angemeldet zu haben.

      Trotzdem erwies sich der Inhalt der Purpurschneckenschale als Fehlinvestition. Nur acht von den Rohdiamanten seien echt, erklärte der Juwelier. João wusste nicht recht, ob ihn sein neuer Freund bei der Minenpolizei hinters Licht geführt hatte oder selbst auf die falschen Steine hereingefallen war. Es konnte auch sein, daß der Juwelier ihn betrog. Aber er kannte niemand anderes in Lissabon, bei dem er geschmuggelte Steine hätte absetzen können. Er musste nehmen, was ihm der Mann für die Diamanten und die sieben 'Rheinkiesel' bot. Mit diesem Geld konnte er allerdings keine Existenz in Portugal aufbauen; es reichte gerade für eine Flugkarte nach Mbandwela und vielleicht für einen ersten, kleinen Stock von Waren, wenn er wieder in seine Bretterbude zurückkam.

      So sah ihn der große Fluß bald wieder. Inzwischen hatte die UNO Truppen in die Provinz geschickt. Vor dem Gouverneursgebäude saßen lange rothäutige Schweden im dürftigen Schatten der Palmen, halb blödsinnig vor Hitze. Ihre Anwesenheit reichte aus, um die allerseits aus den Fugen geratenen Gemüter zu beruhigen. João fand allerdings seinen Laden leergeplündert vor. Sein Boy hatte sich darin installiert; er hatte noch nicht mitbekommen, daß sich das Blatt in den letzten vierzehn Tagen gewendet hatte, und weigerte sich, 'sein' Haus dem früheren Besitzer zu überlassen. Gegen einen Kasten Bier warf ihn das Militär hinaus, dieselben Soldaten, die João ein paar Wochen früher die Kalyaschnecke angedreht hatten. Sie warfen den Boy gleich hinterm Haus in den Fluß, trotz seines Geheuls, daß er nicht schwimmen könne, oder vielleicht gerade deswegen.

      Die große Schnecke der Bakalya war in Portugal geblieben. João hatte jeden Centavo gebraucht, um wieder in Mbandwela anfangen zu können, und so hatte er die Schneckenschale seinem Vetter Pedro angeboten, der einen Andenkenladen in São Martin besaß. Pedro hatte nicht recht gewollt. Das sei eine Murex ramosus, hatte er erklärt, und die seien nicht sehr gefragt. Es gäbe schönere Murex-Arten, vor allem im Pazifik und da wieder an der Küste von Mittelamerika, ja, die wäre er sofort los. Diese ramosus sei außerdem ziemlich abgegriffen. Aber João jammerte ihn solange an, bis er ihm das Schneckenhaus für zwanzig Escudos abnahm.

      Obwohl Pedro sie nach dem Erwerb sofort reichlich mit Lack besprühte und auf Hochglanz brachte, blieb sie ewig auf ihrem Bord in São Martinho liegen, genau wie Pedro befürchtet hatte. Sie lag fünf Sommer dort, in denen die Luft draußen vor dem Perlenvorhang an der weißen Hausmauer gegenüber flimmerte und breitgesäßige Badegäste aus Mitteleuropa links und rechts von ihr jüngere und buntere 'Muscheln' herauspickten, und fünf Winter, in denen der Souvenirshop geschlossen blieb und der Wind vom Meer her an den eisernen Tür- und Fensterläden riss.

      Im sechsten Sommer aber betrat eines Tages ein braungebranntes deutsches Pärchen Pedros Geschäft, ein Frollein in heiterer Laune und ein eher mürrischer junger Mann. Geduldig sah Pedro zu, wie die junge Dame Stück für Stück auf die Glastheke häufte, gefleckte Kaurischalen aus Mombasa, Riesenmuschelbabies aus Madras und Colombo, Purpurschneckenhäuser von den Philippinen und vom Strand von Panama, buntgetupfte Kegelschnecken aus der karibischen See, auch die große Schnecke der Bakalya - und das alles kommt aus dem Meer da draußen? Sicher, Senhora, alles authentisch von der portugiesischen Küste. Ob Hans seinem Ritachen eine davon kaufen würde? Was willste denn mit dem Zeug. Ob Hans seinem Ritachen etwa keine davon kaufen würde? Wennde aufhörst, noch mehr daherzuschleppen. Ja Hans müsste eben mit aussuchen. Also die da. Nicht so schnell. Sei lieb, Hans. Das Frollein drängelte sich dicht in Hansens Arme. Bikini und Badehosendreieck waren nicht viel. Pedros Blick richtete sich ausdruckslos durch die Vorhangperlen auf die frisch gekalkte Wand der andern Straßenseite. Sei doch lieb, so wie gestern abend, Hans. Ritachen kuschelte sich noch ein bißchen enger an Hans heran. Pedros Augen wurden noch leerer; er hatte drei Jahre in Wolfsburg gearbeitet und macht sich auf erotische Details von gestern abend gefasst. Aber seine Neugier blieb unbefriedigt. Vielleicht ging sein leerer Blick dem lieben Hans auf die Nerven; vielleicht genierte es Hans auch, daß sein Ritachen ihn hier coram publico immer enger umschlang. Er machte sich los, griff hastig in den Muschel- und Schneckenschalenhaufen vor ihm, zog das wasserdichte Portemonnaie aus der Gesäßtasche, zahlte und schob seine Rita zur Tür hinaus. Was er ergriffen hatte, war die große Schnecke der Bakalya gewesen...

      Rita hatte einen Sieg errungen und kostete ihn voll aus. Als die beiden abends zusammen unter die Dusche gingen, brachte sie ihre neue Muschel mit, wusch sie mit Shampoo und schwenkte sie in der Gegend herum. Sie ließ sie voll Wasser laufen und kippte sie über Hansens Kopf aus, und immer wenn Hans Rita zu sich heranziehen wollte, kam irgendwo das Schneckenhaus dazwischen, und seine Dornen stachen ihn ganz gemein.

      Hans war schon ein netter Kerl. Wenn er bloß nicht immer gleich aufs Ganze ginge. Rita hatte in den letzten vierzehn Tagen direkt Angst vor diesen raschen Überfällen bekommen; es war immer schon alles vorbei, eh sie auch etwas davon haben konnte. Jetzt nahm sie die Purpurschneckenschale mit aufs Bett, ließ erst den rechten, dann den linken Brustnippel darin verschwinden, und als Hans sich auf sie werfen wollte, schob sie sie rasch zwischen ihre Beine. Sie sah an sich hinunter - direkt aufregend sah das aus; sie wurde selbst ganz kribbelig davon. Sie hatte das Schneckenhaus mit seiner in diesem Zusammenhang doch recht weiten Öffnung, umgeben, wir wissen es, mit einem fleischroten Rand, nach oben gedreht. Bleich und ungesund lüstern hoben sich die grauweißen Stacheln von dem schwarzen Gekraus und der nussbraunen Haut der Oberschenkel ab; aber ganz schlimm sah der lange Endstachel aus, in dem vor tausend Jahren das Atemrohr der Schnecke gelegen hatte - lang, bleich und dünn zeigte er zwischen ihren Beinen genau nach unten...

      Hans war durchaus anfällig gegen diese morbide Art, Sex zu entfalten, aber noch mehr verdrossen über die vielen Stiche, die ihm diese verdammte Muschel unter der Dusche versetzt hatte. Tu's raus, Rita! Nein, schrie Rita, daß man es mindestens noch drei Bungalows weiter hören musste, und klemmte die Beine fester um das Schneckenhaus zusammen. Da riss Hans es mit aller Kraft heraus, so daß die Dornen eine blutige Schramme neben der andern über Rita braune Schenkel zogen, warf es aufs Nachbarbett und drang ohne weitere Präliminarien tief in Ritas Körper ein.

      Zweimal versuchten sie noch, während ihres Urlaubs in Portugal im Liebesspiel zusammenzukommen; jedes Mal wurde es eine Katastrophe. Als sie in Frankfurt den Flughafen verließen, sagte sie "Tschüss!" zu ihm und er "Lebe wohl!" zu ihr, und jeder ging seiner Wege. Die große Schnecke der Bakalya hatte noch einmal ihre Kraft gezeigt, wenn auch nur die destruktive.