Lene Levi

Tödlicher Nordwestwind


Скачать книгу

Sie als Expertin etwas über den Schätzwert dieser Uhr sagen?“

      „Vielleicht um die 30.000 Euro. Vielleicht aber auch noch etwas darüber.“

      Er zögerte. Mit solch einem kostbaren Asservat in der Jackentasche war er leichtsinnig durch die ganze Stadt spaziert. „Oh“, sagte er und fügte eilig hinzu, „Ich fürchte, bei meiner Gehaltsgruppe müsste ich wahrscheinlich noch ein paar Jahre auf Verbrecherjagd gehen, bevor ich mir solch ein kostbares Stück leisten könnte.“

      „Darf ich fragen, aus wessen Besitz diese Armbanduhr stammt? Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, Herr Kommissar. Ich möchte nicht indiskret sein. Aber es würde mich rein beruflich schon interessieren.“

      Er atmete ein, und sein Puls schlug schneller. Er beugte sich vor und sagte mit leiser Stimme:

      „Diese Reverso haben wir am Handgelenk eines toten Mannes entdeckt. Ich versuche gerade seine Identität herauszufinden. Deshalb bin ich ja auf Ihre freundliche Kooperation angewiesen. Leider darf ich Ihnen keine weiteren Auskünfte erteilen.“

      Sie spürte seine Antwort nahezu körperlich, als hätte etwas Unangenehmes ihre Haut gestreift. Inga von Beckerath atmete tief und langsam ein und aus, um sich zu beruhigen. Dann sagte sie:

      „Ich verstehe nur eins nicht. Es macht eigentlich nicht viel Sinn, eine Armbanduhr, wie diese hier, mit so viel materiellen Aufwand künstlich aufzuwerten. Wenn ein Kunde auf ein wirkungsvolles Prestigeobjekt gesteigerten Wert legt, dann hätte er sich wahrscheinlich eher für eine Rolex entschieden.“

      Sie drückte ihre schmalen Finger an die Schläfen und schloss kurz die Augen, als müsste sie sich auf eine Meditation vorbereiten. Robert blickte etwas verschämt zu Boden, gleichzeitig sagte er: „Und ich verstehe nicht ganz, was Sie damit meinen. Was bedeutet: ‚mit so viel materiellen Aufwand künstlich aufzuwerten?‘“ Er stellte seine Frage mit ruhiger Stimme.

      Die Geschäftsführerin hatte sich jetzt wieder gefangen.

      „Ganz offen gesagt, eine Reverso Gran` Sport ist im Vergleich zu anderen Armbanduhren eher ein preiswerter Artikel. Allein die Rolex Oyster Perpetual Yacht-Master II kostet ungefähr 30.000 Euro.“

      Inga von Beckerath begann nun eifrig in einem der ausliegenden Kataloge aus Hochglanzpapier zu blättern. „Oder sehen Sie hier, die Tourbillon Automatik von Breguet kostet 79.400 Euro. Aber das sind alles noch keine wirklichen Prestigeobjekte. Die Sky Moon Tourbillon des Schweizer Uhrenmachers Patek Philippe erzielt beispielsweise in der Platinversion einen sagenhaften Preis von 700.000 Euro.“

      Robert hörte ihr gar nicht genau zu, denn eine vage Idee ging ihm plötzlich durch den Kopf.

      „Sie erwähnten vorhin etwas von einem Zentralregister des Herstellers, Frau von Beckerath, worin alle Reparaturen und Wartungen gespeichert sind. Wenn wir jetzt eine Identifikationsnummer entdeckt hätten, könnten wir vielleicht auch damit den Namen des Käufers erfahren?“

      „So einfach geht das nicht, Herr Kommissar. Um die Geschichte dieser Uhr genauer nachvollziehen zu können, müssten wir sie zuerst in unserer Werkstatt öffnen lassen. Im Inneren der Uhr befinden sich eventuell die winzigen Markierungen der Uhrmachermeister, falls dieses Exemplar bereits einmal zur Durchsicht oder Reparatur in einer ihrer Werkstätten vorgelegt wurde. Aber mit etwas Glück stoßen wir vielleicht auch auf den Namen des Erstbesitzers im Zentralregister von Jaeger LeCoultre. Es handelt sich immerhin hierbei um eine Sonderanfertigung. Das zumindest steht schon jetzt zweifelsfrei fest.“

      „Und wie lange würde so eine Recherche ungefähr dauern?“

      „Kommen Sie in einer Stunde wieder. Dann kann ich Ihnen hoffentlich mehr sagen.“

      Die Geschäftsführerin lag mit ihrer Vermutung völlig richtig. Einmal war die Reverso zur Reparatur abgegeben worden, und zwar vor neun Jahren in einer Vertragswerkstatt in London. Wer jedoch der damalige Eigentümer war, konnte leider nicht ermittelt werden. Aber Inga von Beckerath fand auch eine Eintragung neueren Datums in den firmeninternen Registraturen. Erst vor wenigen Monaten legte jemand genau dieses Exemplar einem Spezialisten in Hamburg zur Begutachtung vor. Dieser Jemand kam mit der Absicht, genau wie jetzt Robert, in Erfahrung zu bringen, ob die Uhr echt sei, oder ob es sich um eine Fälschung handelte.

      Robert hatte einen Volltreffer gelandet.

      Inga von Beckerath überraschte ihn zusätzlich noch mit einer weiteren interessanten Information. Der Einblick ins Zentralregister von Jaeger LeCoultre ergab einen russischen Kunden als Auftraggeber der Luxusanfertigung. Der Mann stammte aus Sankt Petersburg und lies sich unter dem Namen Boris Sergej Bogdanowitsch registrieren. Offenbar handelte es sich bei diesem Bogdanowitsch um einen schwerreichen Mann, denn er hatte gleich mehrere völlig baugleiche Anfertigungen dieser luxuriösen Armbanduhren in Auftrag gegeben und sie anschließend bar bezahlt. Der Clou aber war, dass Inga von Beckerath den Hamburger Juwelier, dem die Uhr erst vor kurzer Zeit zur Begutachtung vorgelegt wurde, persönlich kannte. Noch während des Gesprächs telefoniert sie mit ihm und er konnte in seinen Geschäftsunterlagen sogar den Namen und die Anschrift des Mannes herausfinden, der diesen Auftrag erteilt hatte. Es war ein gewisser Markus Danneberg, wohnhaft in Hamburg, Hittfelder Stieg 56.

      Robert hätte die Geschäftsführerin am liebsten umarmt, wäre aber sehr wahrscheinlich mit dieser überschwänglichen Geste ein zweites Mal in ein Fettnäpfchen getreten. Inga von Beckerath hatte ihm eine Menge Arbeit und ganz gewiss auch einige bürokratische Hindernisse erspart. Er griff zum Abschied nach ihrer Hand und drückte sie. Sie war ein bisschen blass, aber gefasst. Bevor er sich umdrehte, warf er noch einen flüchtigen Blick auf ihre gefährlich spitzkantigen Stilettos, auf denen die adlige Dame ganz stilsicher durch ihr Juweliergeschäft stöckelte. Für solche High Heels sollte man eigentlich einen Waffenschein beantragen, schoss es ihn durch den Kopf.

      Draußen auf der Straße konnte er sich plötzlich nicht mehr daran erinnern, wo er seinen Wagen geparkt hatte. Deshalb spazierte er zunächst zum Marktplatz und genehmigte sich bei Stockhinger eine Bratwurst vom Rost mit viel Senf. Hier schaute er eigentlich meistens vorbei, wenn er Bremen besuchte. Die Reverso hielt er mit der linken Faust fest umschlossen und versenkte diese ganz tief in seiner Hosentasche. Trotzdem, ganz wohl fühlte er sich nicht dabei.

      Kapitel 8

      Jan recherchierte währenddessen stundenlang in der Vermisstendatei nach Informationen, allerdings vergeblich. Kein einziger Eintrag passte mit den vorgegebenen Suchkriterien überein oder führte zu einem annähernd übereinstimmenden Ergebnis. Nach dem Ausschlussverfahren blieben am Ende nur drei Männer mit rötlich-blonden Haaren übrig, aber keiner dieser Vermissten deckte sich mit den weiteren Beschreibungen aus dem Untersuchungsbericht der Rechtsmedizin.

      Jan telefonierte mit Dr. Lin Quan und erkundigte sich, ob sie die natürliche Haarfarbe des Toten ermittelt habe, oder ob es sich möglicherweise um eine rötlich-blonde Einfärbung handeln könnte. Lin hatte nur freundlich gelacht und dann bestätigt, was Jan bereits ahnte. Die von ihr eingetragene Haarfarbe der Leiche war natürlichen Ursprungs. Er wollte gerade die Suche in der BKA-Datei aufgeben, als das Telefon klingelte. Robert war dran. Er rief von einem Autobahnparkplatz aus der Nähe von Hude an. Der Motor seines Volvos hätte plötzlich zu kochen angefangen, vermutlich wäre der Keilriemen nicht mehr in Ordnung, und ob Jan nicht bei der Fahrbereitschaft anfragen könnte. Sie sollten jemanden hinschicken, der seinen Wagen vor Ort entweder reparieren oder eben abschleppen könnte.

      Jan sprach mit einem Kfz-Techniker, der für die Wartung des polizeilichen Fuhrparks zuständig war. Die Leute aus der Kfz-Werkstatt kannten Roberts alten Volvo schon, denn er war damit nicht zum ersten Mal auf offener Strecke liegengeblieben.

      Eine Stunde später betrat Robert mit ölverschmiertem Hemd das Büro.

      „Und? Hat der Automechaniker ihren Wagen nochmal reparieren können?“

      Um darauf nicht antworten zu müssen, fragte Robert:

      „Und sind Sie inzwischen bei den BKA-Karteileichen fündig geworden?“

      Jan