Andy Klein

19 Tage


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      Andy Klein

      19 TAGE

      Impressum

      © 2016 Andy Klein

      Druck und Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

      ISBN 978-3-7418-1122-7

      Printed in Germany

      Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

      Inhalt

      Der Abschied

      Tag 1

      Tag 2

      Tag 3

      Tag 4

      Tag 5

      Tag 6

      Tag 7

      Tag 8

      Tag 9

      Tag 10

      Tag 11

      Tag 12

      Tag 13

      Tag 14

      Tag 15

      Tag 16

      Tag 17

      Tag 18

      Tag 19

      DER ABSCHIED

      Den Schmerz, den man spürt, wenn man von einem geliebten Menschen Abschied nehmen muss, ist unbeschreiblich. Lucas verbrachte fast seine ganze Kindheit in dem Haus seiner Großmutter. Seine Eltern waren beide berufstätig und hatten, außer gelegentlich am Wochenende, fast nie Zeit für ihn. Sein Vater war Schreiner mit einer eigenen kleinen Werkstatt, die allerdings nicht so viel Geld einbrachte wie erhofft. Deshalb hatte seine Mutter sogar zwei Jobs. Tagsüber war sie im Büro der Schreinerei tätig und abends arbeitete sie in der Spätschicht einer großen Druckerei am Rande der Stadt. Seine Eltern brauchten sich ihm gegenüber nie zu rechtfertigen, dass sie ihr einziges Kind zur Großmutter abschoben, denn er liebte seine Nana über alles…und jetzt war sie plötzlich einfach nicht mehr da.

      Das Haus war still und es duftete immer noch nach ihr. Die Sonnenstrahlen erhellten das große Wohnzimmer und die bunten Vorhänge mit ihrem rosa und grünen Blumenmuster leuchteten in all ihrer Pracht. Das alte Sofa, auf dem er als kleiner Junge mit seiner Großmutter kuschelte und ihren spannenden Geschichten lauschte, jedes einzelne Möbelstück, jedes Bild an der Wand, jede dieser kleinen Porzellanfiguren erzählten eine kleine Geschichte. Nichts in diesem Haus würde er verändern, denn jetzt gehörte es ihm. Ziellos schlenderte er durch das Wohnzimmer in die Küche. Er blieb vor dem großen Regal stehen. Alles stand an seinem Platz. Die vielen kleinen und großen Gewürzdosen, dazwischen getrocknete Blumensträuße und wieder diese kleinen kitschigen Porzellanfiguren, die sie so sehr hegte und pflegte. Von der Küche aus ging er in den Flur und warf dort schließlich seine große Sporttasche unter die Garderobe. Er nahm den Aschenbecher von dem kleinen Schuhschränkchen, das neben der Garderobe stand. Er setzte sich auf die erste Stufe der Treppe, die nach oben führte und zündete eine Zigarette an. So viele Gedanken und Bilder gingen ihm durch den Kopf. Sein Leben verlief nicht immer so wie die eines, sagen wir mal, durchschnittlichen Jungen. Er war so stolz Medizin zu studieren und arbeitete dafür sehr hart bis zum 6. Semester. Dann überschlugen sich die Ereignisse. Die Druckerei in der seine Mutter arbeitete wurde, von einem reichen Texaner übernommen. Seiner Mutter kam das gerade recht und so machte sie sich eines Tages einfach mit ihm auf und davon. Das verkraftete wiederum sein Vater nicht besonders gut. Er begann zu trinken. Nach und nach verlor er dadurch wertvolle Aufträge und somit letztendlich auch seine Firma. Nur kurz vor dem Scheidungstermin entschied er sich dafür, seinem Leben ein Ende zu setzten und erhängte sich in seinem Keller. Wie oft hatte er mit ihm gesprochen, wie oft hatte er versucht ihm zu helfen, es waren unzählige Male, aber es war vergebens. Lucas vermisste seinen Vater, denn wenn er sich mal für ihn Zeit nahm, hatten sie auch immer viel Spaß miteinander. Die Schreinerei war ein besonders toller Spielplatz, was seiner Mutter stets ein Dorn im Auge war. Schließlich war er ein kleiner Rabauke, der nur Unruhe in den Laden brachte und mit Unruhe im Laden verdiente man schließlich kein Geld. Sein Vater hinterließ ihnen nach seinem Selbstmord einen riesigen Berg Schulden. Seine Mutter ließ deshalb sein Elternhaus über einen Makler verkaufen, um die Schulden zu tilgen. Lucas war auf sich alleine gestellt, denn seine Mutter kümmerte es weder wo er wohnte, noch unterstütze sie ihn finanziell bei seinem Studium. Wie sollte es anders sein, als dass er damals erst mal bei seiner Großmutter Unterschlupf fand, bevor er dann ein paar Monate später der Arbeit wegen in die Stadt zog. Lucas legte zu dieser Zeit sein Studium erst Mal auf Eis und dabei blieb es auch bisher. Nach vielen kleinen Gelegenheitsjobs arbeitete er jetzt in der Moonville-Klinik als Krankenpfleger, was ihm wirklich sehr großen Spaß machte. Vielleicht würde er ja irgendwann zu Ende studieren, aber das lag in weiter Ferne, denn die ausgefranste blaue Sporttasche unter der Garderobe repräsentierte seine ganzes Hab und Gut.

       »Du bist etwas ganz Besonderes, mein Schatz, du brauchst nicht traurig sein, irgendwann kommt deine Zeit«, sagte Nana immer, wenn er bedrückt war und nahm ihn in die Arme. Sie schien immer ganz genau zu wissen, wie es ihm ging, und fand stets die richtigen Worte, um ihn wieder aufzurichten. In diesem Moment blieben ihm nur die Erinnerungen, aber das war nicht dasselbe - sie fehlte ihm so sehr.

      Die folgende Nacht war sehr stürmisch. Die große Eiche mit ihren starken Ästen warf dunkle Schatten in sein altes Kinderzimmer, jedes Mal, wenn es blitzte. Lucas konnte nicht schlafen und lauschte dem Regen, der sintflutartig gegen die Fensterscheibe prasselte. Er beobachtete die Schatten der Äste, wie sie sich an der Wand bewegten. Alte Häuser haben ihr Eigenleben. Er hörte den Wind durch die Ritzen pfeifen, das Knacken der Dielen auf dem Dachboden und er dachte an die Beerdigung, die am nächsten Tag stattfinden sollte.

       »Oh Nana, das hast du nicht verdient!«

      Die Vorstellung, dass ihre Beisetzung bei so einem Sau-Wetter stattfinden sollte, machte ihn sehr wütend. An Schlaf war nicht zu denken, aber das war ihm eigentlich auch egal. Also stand er wieder auf und ging die Treppe hinunter ins

      Wohnzimmer. Er erinnerte sich, dass seine Großmutter immer eine Flasche Kräuterschnaps im Wohnzimmerschrank aufbewahrte, den sie stets liebevoll als Medizin bezeichnete. Genau diese Medizin brauchte er jetzt. Er nahm die Flasche, die noch fast voll war, aus dem Schrank, eines der Whiskygläser aus der Vitrine und ließ sich auf dem Sofa nieder. Er schüttete das Glas bis zum Rand voll, nahm einen großen Schluck davon und schüttelte sich.

       »Medizin muss immer bitter schmecken, damit sie wirkt.«, hörte er sie in seinen Gedanken sagen.

       »Lucas, wach auf! Die Beerdigung ist schon in einer Stunde…«, zischte ihm seine Mutter ins Ohr, während sie ihm die fast leere Schnapsflasche aus dem Arm riss. »…Du möchtest doch mit uns fahren, oder!?«

      Blinzelnd öffnete er die Augen. Jeff, mittlerweile ihr neuer Ehemann stand kopfschüttelnd unter dem Türrahmen. Seine Mutter war extra mit ihm aus Texas angereist. Das war ja auch das Mindeste, dass die einzige Tochter bei der Beerdigung ihrer Mutter anwesend war.

       »Wie kommst Du denn hier rein…,«, sagte Lucas noch völlig schlaftrunken. »…funktioniert meine Klingel nicht?«

       »Soweit ich mich erinnern kann, bin ich in diesem Haus geboren, mein Junge!«

       »Ach was - und soweit ich mich erinnern kann, habe ich dich nicht in mein Haus eingeladen, Mutter!«, entgegnete ihr Lucas schroff, stand auf, ging wortlos an den Beiden vorbei und verschwand oben im Badezimmer.

      Natürlich gab es Streit zwischen Nana und seiner Mutter, damals, kurz bevor sie verschwand. Als sie ihr sagte, dass sie sich ein besseres Leben wünscht und dass sie ohne Mann und Kind besser dran sei. Sie wählte einfach ein neues Leben, ohne ihre Familie, denn die war ihr völlig egal. Die logische Konsequenz war nun, dass Lucas das Haus seiner