Andy Klein

19 Tage


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so voller Lebensmittel stand, griff er doch nur nach dem Bier. Er nahm das Six-Pack und ging hinüber ins Wohnzimmer. Aufräumen konnte er ja schließlich auch noch später und der Kühlschrank war eh‘ noch nicht auf Temperatur. Er schaltete den Fernseher ein, öffnete eine Dose Bier, ließ sich in das Sofa fallen und legte die Beine auf den kleinen antiken Couchtisch. Mit der Fernbedienung schaltete er dann von Programm zu Programm, bis er bei Casablanca landete und sich entschied den Film, der gerade erst angefangen hatte, anzuschauen.

       »Spiels noch einmal, Sam«, sagte Ingrid Bergmann und Lucas war schon wieder auf dem Sofa eingeschlafen.

      Als er seine Augen wieder öffnete lief der Fernseher noch immer und der Inhalt einer halben Dose Bier war auf seinem Hemd ausgelaufen. Er stand auf und ging an seine große Tasche, die zwar schon geöffnet war, aber noch immer im Flur lag. Er zog das Hemd und sein T-Shirt aus, kramte ein altes AC/DC T-Shirt heraus und zog es über. Nun trottete er in die Küche, denn schließlich wollten ja noch ein paar Lebensmittel in den Kühlschrank gelegt werden. Mittlerweile war es schon fast Mitternacht und Lucas war wieder hellwach. Angesichts der Tatsache, dass es Freitagnacht war und er Montag wieder arbeiten musste, wäre es sicher vernünftiger gewesen sich schlafen zu legen. Aber jetzt, wo auch die letzte Packung Makkaroni mit Käse im edlen Mikrowellendesign im Schrank verstaut war, erinnerte er sich an den Traum mit seiner Großmutter und er beschloss daraufhin sich mal auf dem Dachboden umzusehen.

      Die alte klappbare Hühnerleiter die hinauf zum Dachboden führte knackte laut, als er vorsichtig hinaufstieg. Oben angekommen war es stockfinster und er hatte sichtlich Mühe, den an der Glühbirne herunterhängenden Lichtschalter zu finden. Vorsichtig tastete er sich in Richtung Dachbodenmitte, lief mit dem Kopf genau vor die Glühbirne und schaltete sie dann auch sogleich ein. Seltsam, es war genauso wie in seinem Traum. Die kleine Birne leuchtete den Raum wirklich nicht besonders gut aus. Aber was er dann entdeckte, weckte in ihm viele schöne Erinnerungen. Der Dachboden war voller alter Schätze, allerdings waren diese mehr von ideellem Wert. Alte Lampenschirme, alte Öl-Gemälde und jede Menge Bücher.

       »Oh«, da lag sein altes Twister Spiel und Bernie, der Teddybär mit nur einem Auge, ohne den er als Kind nie einschlafen konnte. Er fragte sich, wie lange es wohl her war, seit er zum letzten Mal auf dem Dachboden war, denn so wie es aussah, hatte seine Großmutter seine gesamte Kindheit hier oben verstaut. Aber intuitiv suchte er ja etwas Bestimmtes und er fand es auch schließlich unter einem großen Sack mit alten Vorhängen und umringt von Kisten mit altem Porzellan.

      Da war sie nun, die alte schwarze Ledertruhe, die mit ihren silberfarbenen Beschlägen aussah, als würde sie noch aus der Zeit der Piraten stammen. Er erinnerte sich erst jetzt daran, dass diese alte Truhe ja früher unten in seinem Kinderzimmer stand, randvoll gefüllt mit Spielzeug. Lucas kniete nieder und öffnete ganz langsam die Truhe. Aber statt seiner alten Spielsachen fand er ein in Folie verpacktes Brautkleid. Vorsichtig nahm er es heraus. Es war ein prachtvolles altes mit Perlen besticktes Brautkleid und als er es so hochhielt, fiel sein Blick noch einmal in die Truhe. Er sah auf den Boden der Truhe und entdeckte einen hellblauen Umschlag und etwas, das so aussah wie ein Tagebuch. Er legte das Kleid behutsam beiseite und nahm den Umschlag und das Tagebuch aus der Truhe. Irgendwie war ihm das alles auf einmal ziemlich unheimlich, denn auf dem Umschlag stand in großen Buchstaben:

      “Für Lucas“

      Er stand auf und ging wieder in die Mitte des Dachbodens, um sich direkt unter die Glühbirne, die noch immer leicht hin und her schaukelte, zu setzen. Langsam und tief durchatmend öffnete er den Umschlag und schaute hinein. Er zog ein kleines Bündel mit Geldscheinen heraus.

       »Oh Mann!«, das waren auf den ersten Blick mindestens dreitausend Dollar. Er legte das Geld neben sich auf den Boden, denn er entdeckte auch noch einen Briefbogen. Vorsichtig nahm er den Brief heraus und las.

      Mein lieber Lucas!

      Wenn Du das hier liest, dann weißt auch Du, dass es an der Zeit war für mich zu gehen. Ich danke Dir von ganzem Herzen für Deine Liebe und Fürsorge, die Du mir geschenkt hast. So traurig das auch klingen mag, aber Du warst das Beste, was meine Tochter je zustande gebracht hat und für mich eine unbeschreibliche Bereicherung in meinem Leben. Die schönsten Momente meines Lebens nach dem Tod Deines Großvaters verdanke ich Dir. Du bist ein ganz besonderer Mensch, genauso wie er es war. Du hast wirklich viel von ihm. Ich habe in den letzten Jahren immer wieder ein paar Dollar für Dich beiseitegelegt. Es ist nicht sehr viel, aber für ein Auto, das Du nun brauchen wirst, um in die Stadt zu kommen, wird es hoffentlich reichen. Ich werde Dich vermissen, mein Schatz! Ich küsse und umarme

      Dich!

      In Liebe Deine Nana

      Lucas wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und atmete tief durch.

       »Ich vermisse dich auch Nana!«

      Die Bilder der vergangenen Tage tanzten in seinem Kopf. Wie er sie fand nach ihrem schweren Schlaganfall, die Fahrt ins Krankenhaus, das sie jedoch nicht mehr lebend erreichte. Lucas war völlig durcheinander, so etwas hatte er noch nicht erlebt. Tote, die einem im Traum Hinweise geben, das war einfach zu verrückt und unrealistisch. Plötzlich wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Hatte sich dort drüben etwa der alte braune Lampenschirm, der auf dem Boden lag, bewegt? Ihn überkam ein mulmiges Gefühl, gefolgt von Gänsehaut. Schnell nahm er das Geld, den Brief, das Tagebuch und sprang auf.

       »Autsch«, er stieß sich den Kopf an der Dachschräge, aber ignorierte den kurzen Schmerz, stieg die Leiter hinunter und schloss die Luke zum Dachboden so schnell er konnte.

       »Das ist doch verrückt.« Lucas schüttelte den Kopf.

      Er ging hinunter in die Küche und setzte sich an den Tisch

       »Das glaubt dir doch kein Mensch!«

      Er legte das Geld, den Brief und das Tagebuch auf den Tisch und ging zum Kühlschrank. Eigentlich war es noch nie seine Art in Stresssituationen zum Alkohol zu greifen, doch jetzt brauchte er dringend ein Bier. Er öffnete es, trank einen großen Schluck und setzte sich an den Tisch. Dann nahm er das Tagebuch in die Hand und betrachtete es von allen Seiten. Es war schwarz und mit goldenen Leisten an den Kanten verziert. Der Stoff mit dem es von außen bezogen war, war feinster Samt. Lucas schlug die erste Seite auf und las:

      Das Begehren das Unabänderliche zu verändern,

      liegt in der Natur des Menschen.

      Jeder Tag wird durch sein Denken und Handeln

      neu geschrieben.

      M. L., 1849

      Er klappte das Tagebuch wieder zu und betrachtete es ganz genau - von allen Seiten.

       »1849, so alt kannst du doch noch nicht sein und wer zum Teufel ist M. L.?«, fragte er sich laut, denn das Tagebuch sah aus, als wäre es nagelneu.

      „Na ja, vielleicht nur ein Zitat einer berühmten Person.“, dachte Lucas. Er öffnete das Tagebuch wieder und blätterte eine Seite weiter…

      Liebes Tagebuch!

      Heute Morgen hat mich Mimi aus dem Schlaf gerissen. Sie klingelte Sturm, um mir Ihren heiß begehrten Käsekuchen zu bringen. Sie blieb etwa eine Stunde und ich musste morgens um 10.00 Uhr Käsekuchen frühstücken. Sie ist ganz schön mitgenommen. Als sie ging habe ich mich erst noch mal aufs Ohr gelegt und habe ganze drei Stunden lang geschlafen. Mir war kotze-schlecht, deshalb bin ich etwas spazieren gegangen und habe Sarah getroffen. Wie hübsch sie doch ist und wie lange habe ich sie nicht mehr gesehen. Sie ging mit zu mir, wir aßen Mimis Käsekuchen und unterhielten uns den ganzen Abend lang. So gegen 23.00 Uhr ging sie dann nach Hause. Ich bin so froh, dass sie wieder hier ist!!!

      Moonville, 17. März 2007

      Lucas schaute auf den großen Kalender, der gleich neben der Küchentür hing. Heute war der 16. März 2007. Aber das war doch ihre Handschrift. Er kannte doch die Handschrift seiner Nana!

       »Nana, da warst du ja wohl doch schon ganz schön durcheinander!«

      Er nahm den Brief noch