Andy Klein

19 Tage


Скачать книгу

was es heißt ein Mensch zu sein. Er konnte nicht verstehen, warum sie so ganz anders war als seine Nana. Sie war so voller Wärme und Güte, und so, wie sie es verdiente, strahlte die Sonne, die sie im Herzen trug, auch am Tage ihrer Beisetzung.

      Lucas hatte nicht die geringste Lust gemeinsam mit seiner Mutter und ihrem reichen Sack zur Beerdigung zu fahren. Andererseits, hier am Rande der Stadt, wussten sowieso alle um die Familienverhältnisse. Das war ja schließlich ein richtiger Skandal - damals. Diesen Gefallen, zusammen mit ihr zur Beerdigung zu fahren, des lieben Scheines wegen, hatte seine Mutter ganz und gar nicht verdient, aber er tat es dennoch - für seine Nana.

      Die Beerdigung lief wie ein alter Stummfilm an ihm vorbei. Die vielen Menschen um ihn herum, nahm er nur als schwarz-weiße Schatten wahr. Ihre Stimmen hallten wirr, wie kleine Echos in seinem Kopf. Er konnte sich am Abend noch nicht einmal daran erinnern, wer alles auf dem Friedhof war und auch nicht an die vielen Beileidsbekundungen. Es gab in dieser Situation auch keine Worte, die seinen tiefen Schmerz hätten lindern können. Seine Tränen ließen sich auch hinter der großen Flieger-Sonnenbrille nicht verbergen.

      Der alte Dachboden mit seinen vielen alten Schätzen war schon ganz schön unheimlich. Die kleine Glühbirne leuchtete den Raum, in dem man gerade so eben stehen konnte, nicht besonders gut aus. Lucas saß auf einer großen alten Truhe, als eine ihm sehr vertraute Stimme zu ihm sprach.

       »Das war eine schöne Beerdigung, mein Junge! Du bist mir immer das Liebste gewesen. Sei nicht traurig. Ich werde immer bei dir sein.«

      Großmutter streichelte sein Gesicht. Erschrocken und schweißgebadet riss er seine Augen auf. Er drehte den kleinen roten Radiowecker in seine Richtung. Es war 3.22 Uhr. Es war nur ein Traum.

       »Schöne Beerdigung, was soll an einer Beerdigung schon schön sein, Nana.«, sagte er laut und warf seinen Kopf wieder auf das Kissen. Die letzten Tage hatten an seiner Kraft gezehrt und in dieser Nacht forderte der Körper auch ohne jegliche Hilfsmittel seinen Schlaf. Er schloss die Augen, drehte sich herum und schlief weiter.

      Als Lucas erwachte war es bereits fast Mittag. Er ging in die Küche und kochte erstmal einen starken Kaffee. Zum Glück hatte er ein paar Tage mehr Urlaub bekommen, dachte er. Schließlich gab es ja auch noch einiges zu erledigen.

      Er musste noch einmal in sein altes möbliertes Appartement, um es seinem Vermieter zu übergeben. Er hatte richtiges Glück, dass der Neffe seines Vermieters sehr großes Interesse daran hatte direkt dort einzuziehen, so dass er sofort ausziehen konnte. Das Appartement lag mitten im Zentrum der Stadt. Es war gerade mal 20 Quadratmeter groß, dafür aber relativ preiswert und für einen Junggesellen, wie ihn, genau das Richtige. Einen Wagen brauchte er auch nicht, denn die Klinik in der er arbeitete lag nur zehn Gehminuten von ihm entfernt. Das würde sich jetzt auch ändern, von nun an brauchte er mit dem Bus über dreißig Minuten bis in die Stadt. Er saß an dem großen runden Holztisch, während er seinen Kaffee trank und starrte durch das Küchenfenster in den Blumengarten, wo gerade alles anfing zu blühen. Er fühlte sich das erste Mal seit langer Zeit sehr einsam. Doch viel Zeit für seinen kleinen Anflug von Selbstmitleid blieb ihm nicht. Die Übergabe der Wohnung sollte schon in einer Stunde stattfinden. Lucas gönnte sich eine Katzenwäsche und eine nicht besonders gelungene Rasur. Gerade als er die Tür öffnete, um zur Bushaltestelle zu gehen, stand ein Fremder vor der Tür.

       »Hi, mein Name ist Victor, Victor Gab, ich bin gestern nebenan eingezogen und wollte einfach mal “Hallo“ sagen. Eigentlich sagte der Makler, dass hier eine nette ältere Dame wohnen würde.«

       »Tja, ich bin Lucas und die nette ältere Dame ist gestern beerdigt worden…«, sagte er barsch. »…und ich habe leider keine Zeit, mein Bus fährt gleich.«

       »Sie wollen nicht zufällig in die Stadt?«, fragte Victor hektisch, dem die Situation augenscheinlich mehr als nur peinlich war. Lucas blickte ihn an und nickte stumm.

       »Ich muss auch in die Stadt, darf ich sie in meinem Wagen mitnehmen?«

      Lucas freute sich innerlich über die Mitfahrgelegenheit und sie stiegen in Victors knallroten S-Klasse Mercedes.

      Victor Gab war ein eher unscheinbarer Typ, dunkelhaarig mit Halbglatze vorn und er war ein klein wenig dicklich um die Hüften, um es charmant auszudrücken. Lucas schätzte sein Alter auf Anfang vierzig.

       »Was verschlägt sie denn hierher aufs Land?«, fragte Lucas, der nun doch auch äußerlich seine Freude darüber zeigte, eine Mitfahrgelegenheit zu haben.

      »Weiber! - Ich bin vor meiner Noch-Ehefrau geflüchtet, die sich wohl gerade mit meiner Ex-Freundin überlegt, wie sie mich am besten um die Ecke bringen.«

      Lucas musste grinsen, das erste Mal seit dem Tod seiner Großmutter. Der Typ sah nun wirklich nicht gerade wie ein Herzensbrecher aus. Aber das Eis war nun gebrochen und sie unterhielten sich. Er erfuhr, dass Victor Gab ein wohl recht angesehener Rechtsanwalt aus St. Louis war, der sich einfach mal hier auf dem Land eine kleine Auszeit gönnen wollte. Im Gegenzug klärte er ihn über die “ältere Dame“ auf, in deren Haus er nun lebte und entschuldigte sich für sein Verhalten an der Haustür.

       »Wir sehen uns, vielleicht trinken wir mal ein Bierchen zusammen.«, sagte Victor und ließ ihn am Stadtpark aussteigen. Von da aus brauchte Lucas nur noch über die Straße und war an seiner alten Wohnung.

       »Geht klar - und nochmals danke fürs Mitnehmen.«, antwortete er und verschwand im Park.

      Es war schon spät, als er nach Hause kam. Die Wohnungsübergabe verlief völlig unproblematisch. Ein bisschen seltsam war es schon, die kleine Wohnung zu verlassen in der er ja schließlich die letzten drei Jahre verbrachte, aber als sein Vermieter ihm, die im Voraus gezahlte Miete eines halben Monats in bar in die Hand drückte, war auch das wehmütige Gefühl verschwunden, denn er konnte momentan jeden Cent gut gebrauchen. Anschließend traf er sich noch einmal mit seiner Mutter und Jeff in einem kleinen Café. Warum er sich darauf einließ die Beiden noch mal zu treffen, konnte er sich selbst nicht so richtig erklären. Wahrscheinlich, weil sie noch am selben Tag die Stadt wieder in Richtung Texas verlassen wollten und er sich nur vergewissern wollte, dass sie auch wirklich wieder aus seinem Leben verschwinden. Sie redeten nicht besonders viel. Jeff nahm an der Unterhaltung, die man eher als oberflächlich bezeichnen konnte, erst gar nicht teil, sondern stocherte gelangweilt mit seiner Gabel in seinem Stück Apfelkuchen herum. Lucas empfand ihn als äußerst arrogant. Wie er da so saß - in seinem schwarzen Armani Leibchen und mit den mehr als nur auffälligen Cowboyboots aus Schlangenleder an den Füßen. Außerdem, fand er, war seine Nase viel zu groß für sein Gesicht. Wie dem auch sei, es war der übliche Mutter-Sohn Gesprächsstoff, wie „Such dir doch endlich mal eine Frau, die Ordnung in dein Leben bringt“, oder „Kauf dir doch endlich mal was Vernünftiges zum anziehen“, was ja unweigerlich auch etwas damit zu tun hat eine gescheite Frau für sich zu gewinnen. Sie sprachen kein einziges Wort über Großmutter… Er war froh, als sie sich dann endlich auf den Weg zum Flughafen machten.

       »Lass dich mal sehen, Junge.«, sagte seine Mutter und gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die linke Wange.

       »Das glaube ich kaum, Mutter!«, entgegnete ihr Lucas.

      Jeff gab ihm wortlos die Hand, setzte seinen überdimensional großen beigefarbenen Stetson Cowboyhut auf und die Beiden verschwanden schnell in einem Taxi. Erleichtert schaute er ihnen noch kurz hinterher und machte sich anschließend auf den Weg zum Supermarkt, schließlich war der Kühlschrank zu Hause leer.

      Die Leute im Bus schüttelten den Kopf, als er mit den ganzen Tüten einstieg und dort für ordentlichen Tumult sorgte, weil er zwei Tüten fallen ließ und deren Inhalt sich der Länge nach im ganzen Bus verteilte. Aber das war ihm egal.

      Im großen Supermarkt in der Stadt konnte man eben am günstigsten einkaufen. Acht große vollgepackte Einkaufstüten schleppte Lucas schließlich in die Küche.

       »Mist, ich hätte ja auch schon mal den Kühlschrank anmachen können.«

      Er steckte den Stecker ein und begann damit die Tüten auszupacken. Beim Einkaufen hatte er noch ganz schön Hunger, hatte er doch heute lediglich Kaffee und Zigaretten konsumiert und