Catherine St.John

Ein undurchsichtiger Gentleman.


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war er jetzt ja auch im Auftrag seines Vaters unterwegs. Mama hatte heute Morgen durchaus Recht gehabt, auch wenn sie ihren Verlobten vermisste, seufzte Annabelle im Stillen.

      „Was hast du?“

      „Ach, nichts. Es ist nur so schön hier… habe ich nicht Glück, dass Stephen um mich angehalten hat?“

      Susan umarmte sie schnell. „Wir haben aber auch Glück, dass er dich gewählt hat! Stell dir vor, er hätte sich mit einer unangenehmen Person verlobt!“

      „Ich fühle mich sehr geehrt – aber du wirst mir ja auch eine ganz liebe Schwägerin sein!“

      „Lieber als Charlotte auf jeden Fall“, vermutete Susan mit einem Zwinkern. „Hoffentlich heiratet sie endlich mal einer weg.“

      „Dieser Mann müsste dann aber eine sehr ernste Auffassung vom Leben haben“, überlegte Annabelle, was Susan sehr amüsierte.

      Mittlerweile waren sie am Seiteneingang des Hauses angekommen und Annabelle ließ noch einmal ihren Blick schweifen. „Diese herrliche Eichenallee!“

      „Die hat mein Urgroßvater anlegen lassen – wer ist das?“

      „Wer? Wo? Wen meinst du?“

      Susan zeigte wenig damenhaft zum Pförtnerhaus; dort stand ein Mann, der nun seinen Hut zog. Mehr war auf die Entfernung nicht zu erkennen – doch, jetzt verbeugte er sich und schritt die Landstraße entlang davon.

      „Sicher einfach ein Spaziergänger“, vermutete Annabelle. „Ihm wird wohl auch die wundervolle Allee aufgefallen sein und er hat daraufhin nach dem dazu gehörenden Haus Ausschau gehalten.“

      „Gut möglich“, antwortete Susan nachdenklich.

      Kapitel 2

      Wenige Tage später rollte der Wagen mit Lady Horbury, Annabelle und John durch die Londoner Straßen. Ihr Ziel war die Jermyn Street, wo John in Miller´s Hotel Zimmer hatte reservieren lassen.

      „Ihr werdet natürlich zu jeder Zeit den Wagen haben können; ich werde mir für meine Zwecke hier ein Reitpferd mieten“, erklärte John, bevor er die Formalitäten im Hotel erledigte.

      „Was wirst du denn hier unternehmen?“, fragte Annabelle ihren Bruder. Der sprach etwas vage von Geschäften und erwähnte Viscount Lynet.

      Mit dem Kutscher, dem Kammerdiener Binns und der Zofe Mary benötigten sie immerhin einige Räume, was vom Hotelpersonal durchaus positiv aufgenommen wurde, ebenso wie die zahlreichen Gepäckstücke, die die Hausknechte ächzend auf die Zimmer beförderten: vornehme Gäste!

      Während Binns und Mary sich um das Verstauen der Garderobe und der sonstigen Habseligkeiten kümmerten, berieten Lady Horbury, John und Annabelle die Pläne für diesen Nachmittag, denn so müde waren sie nach der nicht allzu langen Reise auch nicht, dass sie nicht noch etwas unternehmen wollten. Lady Horbury studierte die Liste der Geschäfte, in denen der nötige Haushaltsbedarf erworben werden sollte, Annabelle plädierte für den Besuch bei einer Modistin – Susan hatte ihr eine Madame de Rouaille empfohlen.

      „Wie heißt die Dame?“, fragte John sofort. „Das kann man ja kaum aussprechen! Ich glaube nicht, dass das ihren Geschäftserfolg befördern wird.“

      „Vielleicht hat sie das gar nicht mehr nötig?“

      „Stell dir vor, du willst sie weiterempfehlen und stotterst bei diesem Namen – beim nächsten Mal sagst du dann lieber nichts mehr.“

      Annabelle lächelte herablassend. „Ich spreche doch viel besser Französisch als du, also sehe ich da keine Probleme.“

      „Kinder! Ich denke, wir kümmern uns heute um die Handtücher, die Lady Norton uns als sinnvoll benannt hat. Zwölf Dutzend, glaube ich – kräftiges Leinen. Und noch einmal sechs Dutzend für die Küche – etwas dünnere Qualität. Und alles muss ja noch mit deinem Monogramm versehen werden… nun, das kann vielleicht die gute Miss Spragge machen, die, die gleich bei der Kirche in diesem krummen Häuschen wohnt, nicht wahr?“

      John blinzelte. „Miss Spragge? Dieses uralte verhutzelte Weiblein? Sieht die dafür denn noch gut genug?“

      Seine Mutter bedachte dies kurz und nickte. „Vielleicht kann auch das Leinengeschäft dies gleich erledigen – du hast Recht!“ Dann fuhr sie mit ihren Erwägungen fort: „Ich überlege gerade, ob die Nortons auch gerne hätten, dass du Bettwäsche mit in die Ehe bringst… ich sollte Lady Norton vielleicht eine Nachricht schicken…“

      Sie erhob sich und setzte sich an den Schreibtisch, wo eine vorausschauende Hotelleitung elegantes Briefpapier, Tinte, eine Auswahl Federn und alles andere Nötige bereitgestellt hatte.

      Annabelle und John wechselten einen erheiterten Blick, dann flüchtete John aus dieser beklemmend hausfraulichen Atmosphäre.

      Annabelle blieb auf dem Sofa sitzen und überlegte, dass Bettlaken, Handtücher und Tischdecken wirklich jede Romantik im Kein ersticken konnten. Und wenn jede Braut zwölf Dutzend Handtücher nach Norton House mitgebracht hatte, dann musste es dort ja Berge über Berge davon geben! Handtücher verbrauchten sich doch nicht?

      Sie wagte es, diese Frage ihrer Mama vorzulegen, als diese mit ihrem Brief fertig war und mit Streusand und Siegellack hantierte.

      Lady Horbury drehte sich nur kurz zu ihrer Tochter um: „Sie werden mit der Zeit dünn, wie du dir doch denken kannst. Pass auf, ich beauftrage einen Boten, diesen Brief nach Norton House zu bringen, und dann machen wir einen netten kleinen Spaziergang, mit Mary natürlich. Oxford Street, dort gibt es die meisten Leinenhändler. Nun setz bitte ein anderes Gesicht auf, Kind! Es geht um deine Ausstattung, nicht um mein spezielles Vergnügen!“

      „Ja, Mama.“ Sie fand das in Aussicht gestellte Unternehmen aber trotzdem wenig aufregend.

      Eine halbe Stunde später stand sie mit Mary in der Hotelhalle, während ihre Mutter einem der Hotelboten ihren Auftrag erteilte.

      Gäste traten ein und eilten hinaus, Pagen liefen, um Gepäck zu tragen und Getränke zu servieren – und am Fenster zur Seitenstraße saßen einige Herren, die abwechselnd das Treiben auf der Straße beobachteten und dann wieder die Damen in der Halle beäugten – sogar mit Lorgnon!

      Annabelle drehte ihnen entrüstet den Rücken zu und ihre Mutter zischte, als sie die Gentlemen – Gentlemen? – bemerkte: „Unerhört! Komm, mein Kind! Mary!“

      Sie folgten Lady Norton, die aus jeder Pore Missbilligung verströmte, nach draußen auf die Jermyn Street. „Sind wir gut zu Fuß?“, fragte ihre Mutter draußen. „Wir könnten den Wagen nehmen oder die Regent Street nach Norden gehen und dabei nach schönen Geschäften Ausschau halten.“

      Das gefiel Annabelle nun wieder besser: „Modistinnen?“

      „Unter anderem“, hielt ihre Mutter sich etwas bedeckt. „Dann wollen wir doch mal sehen, was wir alles ausfindig machen können!“

      Sie marschierte munter vorneweg, so zügig, dass Annabelle kaum mehr als einen Blick in die verlockenden Schaufenster am Wegesrand werfen konnte. Immerhin konnte sie sich einen Laden merken: Mademoiselle Rosalie´s Paradise, alles in rosa dekoriert und mit einigen wunderhübschen kleinen Täschchen und Schals geschmückt. Hier musste sie morgen unbedingt noch einmal hin! Notfalls nur mit Mary, falls ihre Mutter immer noch mit Handtüchern beschäftigt sein sollte…

      Handtücher waren öde!

      „Annabelle, trödle nicht so! Du bist doch kein kleines Kind mehr – und es geht um deinen künftigen Hausstand!“

      „Das ist doch immer noch Lady Nortons Hausstand! Oder glaubst du, sie und Stephens Vater ziehen ins Dower House und überlassen uns das Herrenhaus?“

      „Nein, natürlich nicht. Das wäre ja auch albern. Aber sie könnten es umgekehrt arrangieren, nicht wahr? Möchtest du dann nicht eigene Handtücher und Haushaltswäsche haben?“

      Annabelle zuckte die Achseln. „Alte Handtücher würden mich nicht stören,