Catherine St.John

Ein undurchsichtiger Gentleman.


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mit der grünen Stickerei? Ach, sie würde wohl noch mehrmals im Hotel essen, dann konnte sie doch alle ihre Kleider ausführen. Heute – rosa.

      Wie lange würden sie denn wohl in London bleiben? Nachdem das Leinen bestellt war, gab es doch gar nichts Dringendes mehr zu tun? Wollte Mama ihr wirklich einen Bummel durch die Modegeschäfte erlauben oder sie möglichst schnell nach Kent zurück schaffen? Andererseits hatte sie ihr den Pantheon Bazaar doch beinahe sicher versprochen – und Mama nahm Versprechungen nie zurück!

      Sie ließ sich zurückfallen und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Was könnte sie in diesem Bazaar denn erwerben? Ihr Nadelgeld hatte sie zwar mitgenommen, aber das waren gerade einmal sechs Guinees. Aber musste Mama nicht bezahlen, was für die Ausstattung nötig war?

      Ach herrje – nötig? Darüber würde es noch endlose Diskussionen geben und wenn die anderen Kundinnen dort auf sie aufmerksam wurden, hieße es bestimmt wieder, sie habe sich nicht so benommen wie es einer Miss Horbury zukam.

      Der Kronleuchter war eigentlich recht hübsch. Sie seufzte: Sogar wenn sie im Dower House einen eigenen Haushalt einrichten durften, gab es garantiert schon in jedem Raum eine traditionsreiche Beleuchtung – ohne Gas natürlich, auf dem Land? Hier in London gab es bestimmt schon Gaslicht!

      Auf dem Kaminsims stand eine Uhr, deren Zeiger halb fünf anzeigten. Zuhause gäbe es jetzt Tee… sie spürte, wie ihr Magen knurrte (was man natürlich nicht laut sagen durfte, wenn man nicht als vulgär gelten wollte) – aber vor dem Dinner war wohl nichts Essbares zu erwarten…

      Sie schloss die Augen und fühlte das Wegdämmern, ohne sich dagegen zu wehren: Was sollte sie hier denn auch anderes anfangen?

      „Miss?“

      Sie öffnete unlustig ein Auge und erkannte Mary.

      „Miss, es ist Zeit, sich zum Dinner umzukleiden. Sie möchten das Rosafarbene tragen? Und einen Schal dazu?“

      „Ja… ja. Herrje, hab ich einen Hunger. Oh, schon fast acht? Du lieber Himmel, wie spät isst man denn in der Stadt?“

      „Es ist sehr vornehm, spät zu essen, Miss“, wusste Mary. „Die feinen Herrschaften gehen ja danach noch auf Bälle, die halbe Nacht lang, und stehen am nächsten Morgen erst kurz vor dem Lunch auf.“

      „Furchtbar“, murmelte Annabelle und erhob sich, herzhaft gähnend.

      „Miss!“

      „Keine Angst, das mache ich doch nicht in der Öffentlichkeit. Also, rosa und Schal… haben wir den cremeweißen mit der Blumenstickerei mitgenommen?“

      „Natürlich, Miss.“

      Mary half ihr dabei, in das rosa Kleid zu schlüpfen, löste dann ihre zerzauste Frisur, bürstete die glänzenden dunklen Locken und steckte sie ordentlich wieder auf. Einige Löckchen wurden so arrangiert, dass sie Annabelles Gesicht hübsch umtanzten, dann legte Mary ihr vorsichtig den Schal um die Schultern und ging, sich um Lady Horbury zu kümmern.

      Kapitel 3

      Beim Dinner sah Annabelle auch ihren Bruder wieder, der seiner Mutter flüchtig die Hand küsste, „Siehst nett aus, Belle“, murmelte und dann zusah, wie den Damen die Stühle zurecht gerückt wurden.

      Annabelle hielt sich sehr gerade und bemühte sich, sich nicht im Speisesaal umzusehen, schließlich hatte sie ja Mama versprochen, sich untadelig zu benehmen. Immerhin schien der Speisesaal gut besucht zu sein, das lebhafte Stimmengemurmel konnte man auch bemerken, wenn man mit dem Rücken zum Saal saß.

      „Nun, John, was hast du unternommen?“

      „Ich war ein wenig in meinem Club, wo sie mich tatsächlich getadelt haben, weil ich so selten in der Stadt sei. Einige meiner Bekannten saßen dort, aber manche hatten schon zu dieser Tageszeit reichlich den Erfrischungen zugesprochen.“

      „Ist das schlimm?“, erkundigte Annabelle sich. „Darf man tagsüber nichts trinken, auch wenn man durstig ist?“ Zur Unterstreichung hob sie ihr Limonadenglas.

      „Ich meinte alkoholische Erfrischungen“, erläuterte John nachsichtig. „Tee oder dieses süße Zeug kann man natürlich immer trinken, aber diese Tröpfe waren schon lange vor dem Dinner kaum noch imstande, einen klaren Satz herauszubringen oder auch nur einigermaßen gewandt aufzustehen. Das ist dann schon recht peinlich, finde ich.“

      „Gab es interessante Neuigkeiten?“, wollte Lady Horbury wissen.

      „Kaum“, bedauerte John. „Die Lage seit dem Tod von Prinzessin Charlotte ist ja schon allgemein bekannt, und bis jetzt hat man noch nicht gehört, dass jemand einen Ersatz – äh.“ Er brach ab, als er sah, wie fasziniert Annabelle lauschte.

      „Und dann“, fuhr er hastig fort, „diskutieren manche immer noch über den Tod dieses grässlichen Lynet – erinnert ihr euch noch?“

      „Er war wirklich gemein zu seiner armen Tochter – aber die ist ja nun verheiratet“, sinnierte Annabelle.

      „Und darüber, dass sich ein reicher Geschäftsmann aus der City als Lynets Bruder und Erbe gemeldet hatte.“

      „Hielten sie ihn etwa für einen Hochstapler?“ Lady Horbury war erstaunt.

      „Nein, sie wissen ja, dass er der echte Bruder ist, schließlich haben Hertwood und die kleine Melinda ihn anerkannt – und Margaret, die Witwe, auch. Aber manche Leute müssen eben immer Klatsch verbreiten und Entwicklungen hinterfragen.“

      „Du zum Beispiel“, merkte Annabelle an und löffelte zierlich ihre Suppe.

      John lachte, bevor seine Mutter Ermahnungen aussprechen konnte. „Jedenfalls hat das Vermögen dieses Benedict de Lys dem heruntergewirtschafteten Besitz nur gut getan. Er muss wirklich sehr, sehr reich sein.“

      Lady Horbury schauderte. „Das Haus hat in den letzten Jahren ausgesehen, als stürze es gleich in sich zusammen… aber sonst gab es nichts Interessantes? Etwas Neueres vielleicht?“

      John überlegte. „Nein. Im Club gab es einige neue Gesichter, die mir aber schon sehr jung und unerfahren erschienen sind. Zwei waren anscheinend mit älteren Verwandten gekommen, ein anderer suchte offenbar jemanden, der aber nicht anwesend war.“

      Er kicherte kurz. „Ich dachte, dieser – wie hieß er? Pendleton, glaube ich - breche gleich in Tränen aus, so dass wir uns ein wenig mit ihm unterhalten mussten, um ihn aufzumuntern. Der reinste Milchbart, aber durchaus sympathisch.“

      „Dieser Mr. Pendleton – hat er gute Beziehungen?“

      John sah seine Mutter einigermaßen erstaunt an: Annabelle war doch schon untergebracht? „Das weiß ich nicht. Er ist Sir Ernest Pendleton – du kannst ihn ja überprüfen lassen. Ich glaube ohnehin nicht, dass ich ihm noch einmal begegnen werde. Morgen treffe ich mich mit zwei alten Bekannten bei Tattersall, sie möchten meine Beratung beim Pferdekauf – und übermorgen: Sind wir dann überhaupt noch in London?“

      „Das hängt davon ab, ob wir alle unsere Vorhaben bis dahin erledigt haben, nicht wahr, Annabelle?“

      Annabelle sah auf. „Wie bitte – ach so, ja, Mama.“

      Die fromme Antwort trüg ihr einen misstrauischen Blick ein, den sie voller Unschuld erwiderte: Jetzt hatte sie doch gar nichts angestellt?

      „Wir könnten morgen Abend ins Theater gehen“, schlug John da vor. „Es soll eine reizende Komödie geben.“

      „Woher weißt du das?“, wollte seine Mutter sofort wissen.

      Die Antwort war ein Schulterzucken. „Irgendjemand im Club hat das erwähnt, aber wer… es muss jemand sein, der jüngere Schwestern hat, denn die seien angeblich ganz hingerissen gewesen. Soll ich mich um Plätze in einer Loge bemühen? Das Parkett ist wohl doch zu – äh – ausgelassen, meinst du nicht?“

      „Ganz gewiss!“, antwortete Lady Horbury. „Das Parkett ist für anständige Damen völlig unmöglich, wie du selbst ja auch sehr gut weißt. Plätze