Catherine St.John

Ein undurchsichtiger Gentleman.


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      „Aber gewiss, Miss Horbury. Für eine junge Braut genau das Richtige!“

      Annabelle strahlte, warf aber doch ihrer Mutter einen fragenden Blick zu. Als diese gnädig nickte, begutachtete sie mit wachsender Verzückung alle blauen Nachtgewänder in der Kiste und legte die vier schönsten beiseite. „Ein Dutzend wirst du gewiss brauchen, meine Liebe“, zeigte Lady Horbury sich großzügig.

      Madame Lacroix nickte bestätigend. „Das ist das Übliche für eine Brautausstattung. Und dazu wenigstens drei Negligés!“

      Überwältigt von dieser Großzügigkeit wandte Annabelle sich wieder der Kiste mit den blauen Träumen aus Seide, Spitze und Stickereien zu und schwankte längere Zeit: „Sie sind alle so wunderschön…!“

      Schließlich hatte man sich auf ein Dutzend Nachthemden geeinigt, drei Negligés, zwei Dutzend Hemden und zwei Dutzend Unterhosen mit Spitzenkante am Knie und einem blassblauen Taillenband, wie es gerade der letzte Schrei war, wie Madame Lacroix nicht müde wurde zu erklären: „Sie wissen ja, Mylady, dass die so tragisch verstorbene Prinzessin Charlotte sie in Mode gebracht hat!“

      Lady Horbury nickte und wechselte das Thema – so aufregend war Leibwäsche nun auch wieder nicht, fand sie. „Ich denke, einige Unterröcke wären auch noch vonnöten…“

      Als sie endlich davonfuhren, im Bewusstsein, dass ein gewaltiges Paket seinen Weg nach Kent nehmen würde, war es bereit hoher Nachmittag und beide Damen verspürten Appetit, also begab man sich auf Annabelles Betteln hin zu Gunter´s am Berkeley Square, um sich mit Eiscreme und feinem Gebäck zu erfrischen.

      Als sie Gunter´s hochzufrieden wieder verließen, kamen sie kaum bis zum Wagen, bevor sich ihnen ein junger Mann in den Weg stellte und schwungvoll den Hut zog. „Lady Horbury! Miss Horbury! Einen wunderschönen Tag wünsche ich!“

      Annabelle war verdutzt; ihre Mutter fing sich schneller wieder: „Ach, Sir – Ernest, nicht wahr?“

      „Oh, Mylady! Welch ein Kompliment, dass sie sich an mich erinnern! Ergebenster Diener!“ Erneut verbeugte er sich so tief, als wollte er Lady Horbury die eleganten Stiefelchen küssen. Annabelle kicherte unwillkürlich: Waren die Männer in London denn alle so übertrieben? Konnten die Damen in der Stadt das wirklich ernstnehmen?

      Hübsch war dieser Sir Ernest ja schon, fand sie – aber Stephen sah männlicher aus, fand sie. Und er war bei weitem nicht so albern!

      „Darf ich mich erbieten, die Damen zum Hotel zu geleiten? London ist ein gefährliches Pflaster, und zwei schutzlose Damen…“

      Lady Horbury dankte lächelnd. „Das wird wohl kaum nötig sein, unser Wagen steht gleich hier – und auf unseren Kutscher ist stets Verlass. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag, Sir Ernest!“

      Sie stieg, von Annabelle dicht gefolgt, rasch in den offenen Wagen und setzte sich zurecht, dem jungen Mann noch einmal zunickend, der Annabelle mit verzehrendem Blick betrachtete.

      „Ein doch etwas seltsamer junger Mann“, erklärte diese, sobald der Wagen außer Hörweite gerollt war. „Ein so übertriebenes Gebaren! Meinst du, das ist in London so üblich, Mama?“

      „Das denke ich nicht. Außerdem glaube ich gar nicht, dass dieser so schwungvolle junge Mann überhaupt aus London stammt. Aber ich hätte nichts dagegen, wenn wir ihn nicht noch einmal treffen.“

      „Ach ja, hat John nicht erzählt, er stamme aus dem Norden? Der Sohn eines Fabrikbesitzers?“

      „Du hast Recht. Nun, heute Abend im Theater wird er hoffentlich nicht schon wieder in Erscheinung treten!“

      Kapitel 5

      Annabelle sah sich fasziniert um, als John seine Damen in eine Loge mit gutem Blick auf die Bühne geleitet hatte. „Wie riesig das alles ist! Und so viele Menschen! Und die Damen gegenüber, schaut doch nur!“

      „Annabelle!“, zischte Lady Horbury. „Wehe, du zeigst noch mit dem Finger auf die Damen! Setz dich und kommentiere ihr Aussehen leise hinter deinem Fächer, wie es sich gehört!“

      Ihre Tochter gehorchte und John klärte sie freundlicherweise auf: „Die Dame in Purpur ist eine Mrs. Templeton. Sie hat vor einigen Jahren ihren Gemahl verloren und ist nun eine recht wohlhabende Witwe.“

      „Woher weißt du das alles?“, wollte Annabelle wissen.

      „Auch im Club blühen Klatsch und Tratsch. Es dürfte einige Herren geben, die sich da Hoffnungen machen…“

      Lady Horbury linste betont diskret über den Rand ihres Fächers. „Der Geschmack der Dame lässt allerdings zu wünschen übrig – und wie kann man zu so zarten Farben einen Purpurton wählen? Das macht doch totenblass!“

      Annabelle warf ebenfalls einen vorsichtigen Blick auf die Dame, die sich mit einer silbergrau gekleideten Begleiterin unterhielt: goldblonde Locken, helle Augen, ein klassisch englischer Teint. Sie musste ihrer Mutter Recht geben.

      „Ein nicht zu kräftiges Saphirblau wäre eine bessere Wahl gewesen“, schlug sie also vor und erntete ein Handtätscheln. „Meine Tochter! Du hast meinen unfehlbaren Blick für Farben geerbt.“

      Annabelle kicherte. „Außer in diesem Paradies-Geschäft, nicht wahr?“

      „Dieses unsägliche Rosa? Nun gut, das kann auch an den wirklich schmutzigen Fenstern gelegen haben…“

      Dass ihre Mutter heute so großzügig war? Kein Tadel, keine hochgezogenen Augenbrauen – außer beim Betreten der Loge?

      Die Saaldiener löschten langsam die Beleuchtung und Annabelle fixierte erwartungsvoll den Vorhang, ohne dass der Lärm im Parkett wesentlich leiser geworden wäre.

      Dennoch waren die turbulenten Ereignisse auf der Bühne verständlich genug, um Annabelle gänzlich zu fesseln. Lady Horbury und ihr Sohn betrachteten ihr niedliches Profil mit dem aufgeregt geöffneten Mund gerührt und lächelten, als der Vorhang zur Pause fiel und Annabelle sich ihnen zuwandte: „Ob der Prinz erkennen wird, dass diese Frau böse ist? Ich bin ja schon so gespannt, wie es weitergeht!“

      „Ich verrate es dir nicht“, schmunzelte ihre Mutter.

      „Ja, weißt du es denn?“

      „Natürlich – ich habe dieses Drama schon einmal gesehen. Komm, wir lassen uns Erfrischungen bringen!“

      John stand schon in der Tür, um einen Lakaien herbeizurufen – zwei Gläser Champagner und ein Glas Mandelmilch.

      Annabelle war kurz davor, zu schmollen, weil sie keinen Champagner bekam, aber als John sie breit angrinste, beschloss sie, es doch zu lassen. Wer wollte schon immer als Küken abgetan werden? Aber Stephen würde ihr sicher Champagner gestatten, wenn sie erst einmal verheiratet waren! Stephen würde ihr überhaupt alles gestatten, da war sie ganz sicher!

      Nur noch wenige Wochen…

      „Da ist dieser Mensch doch schon wieder!“, stellte ihre Mutter ohne Begeisterung fest.

      „Welcher Mensch?“, fragte John mit mäßigem Interesse.

      „Der junge Mann, den wir gestern Abend im Speisesaal kennengelernt haben. Heute ist er uns übrigens schon wieder in den Weg getreten.“

      „Vielleicht verfolgt er uns“, schlug Annabelle vor und nahm ihr Glas Mandelmilch entgegen.

      John lachte. „Und warum sollte er das tun? Aber vielleicht gefällst du ihm ja…“

      „Wir haben doch gestern schon verkündet, dass wir wegen Belles Trousseau hier sind“, wandte Lady Horbury ein. „Ich denke, es war nur Zufall. Vielleicht wollte er sich auch nur bei Gunter´s erfrischen. Das hatten wir schließlich auch gerade getan.“

      „Möglich“, murmelte John und trank einen Schluck Champagner. „Ich wüsste auch nicht, warum er euch verfolgen sollte, wenn Annabelle praktisch schon unter der Haube ist und er nicht versucht hat, euch zu berauben. Oh, es scheint weiter zu