Catherine St.John

Ein undurchsichtiger Gentleman.


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Ich fürchte, du hast in den nächsten Wochen noch einiges zu lernen!“

      Das wurde mit einem unwilligen Laut quittiert: Musste sie jetzt etwa ihrer Mutter auf Schritt und Tritt durch alle Obliegenheiten des Haushalts folgen? Sie wusste doch schon, wie man einen Haushalt führte und die Dienstboten richtig behandelte!

      Andere Passanten wurden schon aufmerksam auf die diskutierenden Damen. Nur Mary stand stumm dabei, aber einige junge Männer schenkten Annabelle anerkennende Blicke und zogen zum Teil sogar den Hut. Ein strenger Blick Lady Horburys brachte die meisten zur Raison, aber einer, ein wirklich recht gut aussehender junger Mann mit blonden Locken, grünen Augen und einer aufregend bunt gestreiften Weste, zwinkerte ihr doch tatsächlich unverschämt zu, bevor er seinen Biberhut noch einmal schwenkte.

      Annabelle reckte die Nase etwas höher und folgte eilig ihrer Mutter, Mary im Gefolge, die sich noch einmal neugierig nach dem frechen Kavalier umsah.

      Hatte sie ihm so gut gefallen? Annabelle eilte so in Gedanken versunken weiter, dass sie beinahe in ihre Mutter hineingeprallt wäre, die an der Ecke auf sie gewartet hatte.

      „Also bitte, Annabelle! Nun nimm dich doch endlich einmal zusammen und zeig wenigstens ein notdürftiges Interesse an deinem künftigen Hausstand. Was bitte soll Stephen von dir denken? Du bist zwar noch recht jung, aber du kommst schließlich nicht gerade aus dem Schulzimmer. Benimm dich also deinem Alter angemessen!“

      Annabelle ließ den Kopf sinken. „Ja, Mama.“ Sie schämte sich tatsächlich, denn sie liebte doch Stephen – und dennoch dachte sie über einen hübschen, aber unverschämten Fremden nach?

      Aber wenn Mama aus dieser Verlobung auch etwas so Langweiliges wie den Erwerb von Handtüchern machte!

      Sie folgte Lady Horbury entsprechend lustlos in einen Laden zu Beginn der Oxford Street, wo sie aber die Auswahl an den feinsten Leinentüchern schließlich doch fesselte – ein wenig zumindest. Als ihre Mutter zwölf Dutzend der besten Qualität orderte und zugleich darum bat, sie alle mit AH zu besticken, wurde es sogar ausgesprochen interessant, denn es gab eine große Auswahl an Stickvorlagen und Annabelle stürzte sich enthusiastisch in eine Diskussion über die eleganteste Monogrammgestaltung. Sie entschied sich schließlich für eine schlichte, aber schwungvolle Buchstabenform und wählte die gleiche Form auch für die sechs Dutzend Küchenhandtücher, die mit einem hübschen blauen Rand angeboten wurden. Allerdings gab es diesen Rand auch in Rot…

      Annabelle versank in Gedanken und entschied sich dann doch für Blau: „Immerhin ist es Stephens Lieblingsfarbe!“

      „Du meinst, falls er sich tatsächlich einmal in die Küche verirren sollte?“ Lady Horbury tauschte mit der Leinenhändlerin einen erheiterten Blick.

      „Das kann man doch nie wissen“, verteidigte Annabelle sich sofort. „Ich liebe Blau übrigens auch – und du kannst nicht bestreiten, dass ich mich von Zeit zu Zeit in der Küche sehen lassen muss, oder?“

      „So lange ihr keine zuverlässige Haushälterin habt und einen entsprechenden Butler, gewiss. Nun, immerhin verstehst du etwas von der feinen Küche, wenn auch noch nicht vom Leinenbedarf eines vornehmen Haushalts. Gut, Mrs. Barclay, dann nehmen wir die zwölf Dutzend Waschhandtücher und sechs Dutzend Küchentücher mit blauem Rand. Sie schicken alles, mit Monogrammen versehen, bitte nach Beech House in Kent. Ich schreibe Ihnen die genaue Adresse auf…“

      Annabelle, schon wieder gelangweilt, sah sich im Laden um. Gab es hier nichts wirklich Interessantes? Schöne Nachtwäsche zum Beispiel? Aber aus kratzigem Leinen wollte sie auch keine Nachthemden mehr tragen – einer jungen Ehefrau sollte Seide zukommen, fand sie. Mama sah das leider bestimmt wieder anders…

      Lady Horbury hatte ihre Verhandlungen beendet und sah sich nach ihrer Tochter um. „Wir kehren zum Hotel zurück – und morgen besuchen wir vielleicht den Pantheon Bazaar, dort finden wir bestimmt einige nette Kleinigkeiten für dich, mein Kind.“

      Das munterte Annabelle wieder beträchtlich auf, aber sie hatte auch selbst einen Vorschlag zu machen, nämlich Mademoiselle Rosalie´s Paradise. „Daran kommen wir auf dem Rückweg doch ohnehin vorbei! Oh bitte, Mama! Das Schaufenster sah wirklich verlockend aus!“

      „Nun, meinetwegen. Sollte es nicht zu unpassend sein, können wir ja wohl einen kurzen Blick riskieren.“

      Annabelle war drauf und dran, ihrer Mutter mitten in der Oxford Street um den Hals zu fallen – Lady Horbury konnte sie gerade noch bremsen: „Kind, wie alt bist du eigentlich? Sieh dich um, wir erregen schon wieder die Aufmerksamkeit der Menschen! Nun benimm dich so gesittet, wie wir es dir beigebracht haben – oder wir werden an diesem Paradise einfach vorbeimarschieren!“

      Annabelle sah sich, mäßig geknickt, um und blickte in aufmerksame Gesichter. Die meisten Leute wandten sich rasch ab, als sie sich ertappt sahen, aber da war schon wieder ein junger Gentleman, der seinen Hut zog: Gab es in London so viele von diesen gleich aussehenden Männern? Alle in blauem Gehrock und sandfarbenen Pantalons? Alle eher hellhaarig und recht hübsch? Nun, alle? Gerade einmal zwei – der dritte war ja daheim in Kent aufgetreten, am Ende der Eichenallee von Norton House.

      Sie wandte sich wieder ihrer Mutter zu und gelobte Besserung, aber wenige Minuten später betrachtete ihre Mutter kopfschüttelnd das Schaufenster von Mademoiselle Rosalie´s Paradise. „Wie außerordentlich – äh – rosa“, äußerte sie dann schwächlich. „Willst du dich in diesem Laden wirklich umsehen?“

      „Oh bitte, Mama!“

      Drinnen musste sie aber zugeben, dass das Sortiment nicht so recht überzeugen konnte; die Schals waren direkt fadenscheinig, das Rosa zu grell, die Stickereien nachlässig gemacht – und das kleine Hutsortiment wenig kleidsam und dafür recht überladen. Unzufrieden reichte sie der Inhaberin, einer auch etwas zweifelhaft aufgemachten Frau in mittleren Jahren, den letzten Hut, den sie aufprobiert hatte, zurück und bedankte sich.

      „Du hattest Recht, Mama“, gab sie draußen zu, halb aus ehrlicher Überzeugung, halb, um ihrer Mutter zu zeigen, dass sie geläutert war. Lady Horbury reagierte darauf auch mit dem verdienten Unglauben, schließlich kannte sie ihre Jüngste seit nunmehr gut zwanzig Jahren und wusste, wann sie taktierte. Ob sie damit bei ihrem Zukünftigen wohl Erfolg haben konnte? Oder hatte sie dort ein solches Verhalten nicht nötig?

      In der Hotelhalle verkündete sie, sie sei erschöpft und werde sich bis zum Dinner zurückziehen; ihrer Tochter empfehle sie das gleiche.

      „Und heute Abend beim Dinner wirst du dich tadellos benehmen!“

      „Gewiss, Mama.“

      „Du wirst nicht dauernd den Kopf drehen, um die übrigen Gäste zu inspizieren!“

      „Gewiss nicht, Mama.“

      „Du wirst nur mit Leuten sprechen, die sich mir oder deinem Bruder vorgestellt haben!“

      „Gewiss, Mama.“

      „Und deine Konversation wird nicht derartig monoton sein!“

      „Gew- natürlich nicht, Mama.“

      Annabelle erntete noch einen scharfen Blick, dann wurde sie in ihr Zimmer geschickt, wo sie aufs Bett sank und sich ärgerte. Nichts durfte man als Mädchen, außer sich nach strengen Regeln zu verhalten und so sterbenslangweilig zu sein. Ein Wunder, dass man so überhaupt einen Mann finden konnte!

      Bestimmt hatte es Stephen vor allem gefallen, wenn sie nicht ganz so brav gewesen war! Sie erinnerte sich an seine Küsse und spürte, wie das wohlige Gefühl dabei ihre Wangen warm werden ließ.

      Ach, jetzt das Hotel verlassen und sich ein wenig die Umgebung ansehen! Völlig unmöglich, natürlich – jenseits des gemeinsamen Wohnzimmers ruhte Mama in ihrem Schlafzimmer und wahrscheinlich räumte auch Mary irgendwo herum…

      Wie waren wohl die anderen Gäste in diesem Hotel? Lohnte es sich, ein besonders schönes Kleid anzuziehen und die dunkelbraunen Löckchen nach der neuesten Mode zu frisieren? Würde Mama ihr Mary dafür überhaupt zur Verfügung stellen?

      Welches Kleid? Mary hatte immerhin auch ihre Garderobe