Sigurd Marx

Der Schrei des Maikäfers


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wer der Schuldige am zweiten Weltkrieg und dem früh erkennbaren Untergang Großdeutschlands sei. Mutter behauptete, mein Ehrenpate, der dilettantische Gefreite, Adolf Hitler und seine ihm opportunistisch ergebenen Offiziere hätten alles Leid sowie den Untergang des deutschen Reiches in Folge des zweiten Weltkriegs zu verantworten.

      Frau von Hela verwies auf die, ihrer Ansicht nach ebenfalls stets opportunistische, deutsche Beamtenschaft bei der Übernahme der Staatsgewalt durch die Nazis und betonte dann mit besonders erhobener Stimme: »zu der letztendlich, liebe Frau Kröger, auch ihr Ehemann als Justizbeamter gehört, ob sie es wahrhaben wollen oder nicht«!

      Mutter war über diese bei Frau von Hela vorherrschenden Meinung, sehr erbost. Heute weiß der einst junge und jetzt alte Knabe, beide Frauen hatten auf ihre Weise Recht, denn die Schwäche der preußischen Offiziere resultierte auch aus der Schwäche und dem Ende der Weimarer Verfassung sowie die Entmündigung seiner Beamten durch das Hitlerregime.

      Wie ich später als erwachsener junger Mann während meines Studiums beim Verfassungsunterricht gelernt habe, war die erste demokratische Verfassung Deutschlands keine reine Neuschöpfung, sondern knüpfte in ihren Kerngedanken und in der Verteilung der Zuständigkeiten an die Traditionen früherer deutscher Verfassungen an. Ihr geistiger Urheber, Prof. Hugo Preuß und ihr endgültiger Schöpfer, die deutsche Nationalversammlung, fühlten sich als Vollender der in der deutschen Nationalversammlung von 1848/49 konzipierten Ideen der Freiheit und Gleichheit. Aber auch die Deutsche Nationalversammlung konnte sich leider nicht der Prägung durch den deutschen Obrigkeitsstaat entziehen.

      Und so spiegeln sich monarchische Elemente deutscher Verfassungsüberlieferung in der seinerzeit starken Stellung des Reichspräsidenten als Inhaber einer außerordentlichen, fast diktatorischen Regierungsform wider, die später Hitlers Regierungsform sehr entgegenkam.

      Abgesehen von aller weltanschaulichen Verschiedenheit mag in der Einschränkung letzter Eigenverantwortlichkeit ein Grund dafür liegen, dass die Parteien der Mitte bald auseinander drifteten. Behaftet mit dem Makel des angeblichen »Verrates und der Dolchstoßlegende«, beschwert mit der Bürde einen verlorenen Weltkrieg ausbaden zu müssen, hat die Weimarer Republik am Ende auch ihren Halt an ihrer Verfassung verloren – und wir, die »Weiße Generation« sollten aufpassen, dass wir vor lauter »Terrorismushysterie«, nicht auch den Halt an unserer Verfassung, dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verlieren!

      Obwohl der Hitlerjunge Sigurd Adolf Kröger kein Historiker wurde, ist er sich heute ganz sicher, dass das Ende der Weimarer Republik auch in der nicht ausgelebten und unterdrückten November Revolution von 1918 gesehen werden muss. Angesichts der Massenbewegung Anfang November 1918 forderten die führenden Männer der SPD zwar die Abdankung des Kaisers, um den Kontakt zur Basis nicht ganz zu verlieren, nicht aber die Abschaffung der Monarchie mit ihrer monarchistischen Bürokratie und Justiz; ein schwerer politischer Sündenfall, wie sich noch zeigen sollte.

      Und Friedrich Ebert als richtungsweisender Mann innerhalb der SPD, soll gesagt haben, bevor ihm Max von Baden das Reichskanzleramt übertrug, er hasse die Revolution wie die Sünde – mein Gott; was wäre Deutschland, Europa und der Welt erspart geblieben, wenn dieser „richtungweisende Sozialdemokrat“ den Mut aufgebracht hätte, in Zusammenarbeit mit den Kommunisten, zur Revolution aufzurufen.

      Als der Sozialdemokrat Philip Scheidemann am 09. November 1918 die Republik ausrief, weil er meinte, mindestens dies müsse man den Hunderttausenden auf den Straßen Berlins anbieten, damit die Bürger nicht scharenweise zu den radikalen Linken überliefen, soll er von Ebert heftig kritisiert worden sein. Die Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung war in dieser Situation für Ebert vorrangiges Ziel.

      Heute im 21. Jahrhundert; in der Weltwirtschaftskrise des Jahres 2009 heißt das vorrangige Ziel: Erhaltung des sozialen Friedens, damit das neue Prekariat, die verarmten Wähler, nicht in Scharen zur »Neuen Linken« überlaufen.

      Als machtbewusster und tonangebender Mann im Rat der Volksbeauftragten sorgte Ebert dafür, dass die Verwaltung und Justiz »im Namen des Volkes« ungehindert weiterarbeiten konnten. Denn Ebert baute auf die Macht des Militärs und der Verwaltung, um eine Ausbreitung der Revolution zu verhindern und möglichst rasch wieder zu geordneten Verhältnissen zu kommen. Dagegen strebte der Rätekongress die Entmachtung der alten Eliten, der Militärs und Junker, der Kohle- und Stahlbarone, der monarchistischen Bürokratie und Justiz, wie aber auch die Entscheidung für eine parlamentarische Regierungsform an. Wohl war Ebert für die parlamentarische Regierungsform, er versuchte jedoch nicht, die Macht der Eliten zu schmälern, auf deren Unterstützung er angewiesen zu sein glaubte. In der Linken machte sich Wut und Enttäuschung breit – damals so wie heute. Ende Dezember 1918 schieden die unabhängigen Sozialdemokraten aus. Gestützt auf bürgerliche Minister, regierten die Sozialdemokraten nun allein.

      Die Gegensätze wurden schärfer, die Unruhen nahmen zu, auch das Misstrauen vieler Arbeiter gegenüber der sozialdemokratisch geführten Regierung (damals so wie heute).

      Am 05. Januar 1919 folgten Hunderttausende von Berlinern einem Aufruf zur Demonstration. Überwältigt von diesem Erfolg beschlossen die Berliner oppositionellen Sozialisten, auf den Sturz der Regierung zu drängen. Spontan, aber auch reichlich dilettantisch, wurden Verlagsgebäude besetzt, aber nicht strategische wichtige Positionen. Noch heute ist in diesem Zusammenhang vom »Spartakusaufstand« die Rede. Es lag allerdings schon damals im Interesse der SPD-Regierung, die Aktionen als gefährlichen Umsturzversuch darzustellen und dafür den Spartakusbund verantwortlich zu machen.

      Nur so war gegenüber der eigenen Anhängerschaft einigermaßen plausibel zu begründen, warum die Regierung extrem national orientierte Freikorpsverbände nach Berlin beorderte und militärisch mit Waffengewalt gegen die Aufständischen vorging. Die Regierung nutzte diese trügerisch günstige Chance, die Machtfrage ein für alle Mal zu ihren Gunsten zu entscheiden. Wenige Tage danach, am 19. Januar 1919 wurde gewählt - und diese Wahl zur Nationalversammlung bescherte den sozialistischen und bürgerlichen Parteien einen großen Erfolg.

      Während die Nationalversammlung sich an die Ausarbeitung einer Verfassung machte, regierte nun eine nach parlamentarischen Grundsätzen gewählte Regierung aus SPD, Deutscher Demokratischer Partei (DDP) und katholischem Zentrum, eine Regierung der linken Mitte. Gleichzeitig kristallisierte sich heraus, dass aus den angestrebten Reformen wohl nichts werden würde, denn die alten Eliten des Kaiserreichs blieben weiter an der Macht. Jedoch die Arbeiter in den industriellen Kerngebieten waren nicht mehr bereit, dies hinzunehmen. Es kam zu großen Streiks an der Ruhr, in Sachsen und Berlin. In Bremen und München entstanden kurzlebige Räterepubliken.

      Wieder setzte die Regierung Freikorpsverbände gegen die Aufständischen ein. Wieder gab es zahlreiche Tote. Im Mai waren schließlich alle revolutionären Unruhen mit Waffengewalt niedergeschlagen. Somit war auch die zweite Phase der Revolution gescheitert, in der es, radikaler als zuvor, vor allem auch um ökonomische Fragen gegangen war.

      Ein positives Verhältnis zur Revolution von 1918/19 hat die SPD während der Weimarer Republik nicht gewonnen - genau so wenig wie nach dem Mauerfall 1989. Das hat sich schon vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten klar abgezeichnet und später bitter gerächt. Denn Eberts Aversion gegen Streik, insbesondere den politischen, war für die Nazis von großem Nutzen und endete für die SPD, ihre Mitglieder und Sympathisanten sowie anderen demokratischen Parteien in Verboten und Verfolgung. Von lebendiger, revolutionärer Tradition konnte keine Rede sein. Die Weimarer Demokratische Republik gründete ihr Selbstverständnis nicht auf die Revolution, sondern allenfalls auf deren Überwindung.

      Aber nicht die Verfassungskonstruktion war Schuld daran sondern vor allem diejenigen, die nicht zu ihrer Republik standen und sie bekämpften. Eher den Eigennutz als den Gemeinwillen verwirklichten und die in der Weimarer Verfassung vorausgesetzte Kompromissbereitschaft und Achtung Andersdenkender in ein klein kariertes Freund/Feind - Verhältnis auflösten - damals so wie heute.

      Zu optimistisch hatten die Verfassungsgeber geglaubt, mit dem Wechsel von der Monarchie zur Demokratie seien auch die Bürger und ihre Vertretungen befreit von obrigkeitsstaatlicher Bevormundung, mündig und reif, die eigene Souveränität anzunehmen und auszuüben.

      Spätesten am 24. März 1933 stellte sich diese Hoffnung als fatal heraus