Torben Stamm

Beyl und MacGarney


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lenkte Beyl ein. „Die alte Dame hast du tatsächlich beleidigt. Wir haben doch darüber gesprochen: Du musst dich zusammenreißen.“

      MacGarney wirkte zerknirscht: „Ja. Scheiße, ich versuche es.“

      Sie gingen zu jenem Zimmer, das auf der linken Seite neben dem Zimmer des Opfers lag.

      „Mir kommt der Kerl nicht sauber vor“, merkte MacGarney an.

      „Du musst objektiv bleiben.“ Beyl klopfte erneut: „Hallo?“, rief er. „Polizei!“

      Keine Reaktion. Der Hotelbesitzer kam, wohl angelockt durch den erhöhten Geräuschpegel, aus dem Zimmer des Opfers: „Kann ich Ihnen helfen?“

      „Ist der Gast nicht da oder macht er nicht auf?“

      MacHorn griff zu seinem Handy: „Das haben wir gleich. Ich frage eben nach, ob an der Rezeption etwas bekannt ist.“

      Er entfernte sich ein paar Schritte und sprach leise in sein Telefon.

      „Ich denke, wenn der nicht da ist, sind wir hier bald fertig“, sagte MacGarney. „Ich habe sowieso Hunger.“

      Beyl war nicht ganz der Meinung: „Du musst dich noch etwas zusammenreißen. Ein paar Dinge müssen wir schon noch abklären.“

      MacHorn sagte: „Danke“, und steckte sein Handy weg. Dann ging er wieder zu den beiden Beamten: „Mr. Arthur hat das Hotel heute Morgen um fünf Uhr dreißig verlassen. Er hatte wohl eine kleine Tasche dabei.“

      „Er ist abgehauen?“, fragte MacGarney entgeistert. „Dann haben wir wohl unseren ersten Verdächtigen.“

      „Ich bitte Sie, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen. Er hat nicht ausgecheckt, er wird also wohl wieder zurückkommen.“

      „Waren Sie denn seitdem auf dem Zimmer? Vielleicht haben ja alle seine Sachen in die Tasche gepasst!“ MacGarney ging der Typ langsam auf die Nerven.

      „Wäre es möglich, dass Sie die Zimmertür öffnen? Es liegt ein begründeter Verdacht vor, dass es sich bei dem Bewohner möglicherweise um den Täter handeln könnte.“

      MacHorn rang mit sich. MacGarney gab ihm einen kleinen Hinweis: „Ansonsten besorgen wir uns die entsprechende Verfügung beim Richter. Das dauert länger und Sie stehen hinterher doof da, wenn Mr. Arthur tatsächlich der Täter war.“

      MacHorn nickte: „In Ordnung.“ Er griff in seine Hosentasche und zog eine Karte hervor. MacGarney runzelte die Stirn: „Ich dachte, das ist ein Retro-Hotel. Warum haben Sie denn hier keine Schlüssel?“

      „Leider sind die Karten sehr viel sicherer. Das Ganze ist eine Frage der Versicherung.“

      Er steckte die Karte in einen Schlitz. Mit einem leisen Piepsen entriegelte die Tür. MacHorn öffnete sie und bedeutete den Polizisten, dass sie nun eintreten könnten.

      Das Zimmer war so eingerichtet wie das des Opfers.

      Beyl und MacGarney sahen sich um: Der Raum wurde offensichtlich noch bewohnt: Das Bett war nicht gemacht, schmutzige Kleidung lag neben einem großen Koffer, der auf dem Boden unter dem Fenster stand.

      „Entweder, er kommt wieder oder er ist geflohen“, sagte Beyl. Er ging langsam durch das Zimmer.

      „Ich denke, es wäre gut, wenn Sie mit auf das Revier kommen würden, um ein Phantombild von Ihrem Gast anzufertigen.“

      „Ist das denn wirklich nötig?“ MacHorn war sichtlich betrübt.

      „Was meinen Sie denn?“, raunzte MacGarney.

      MacHorn schaute hilfesuchend zu Beyl, aber der blickte ihn nur ausdruckslos an.

      „OK“, sagte MacHorn. „Ich warte unten.“

      Eine streitbare Dame

      Auf dem Revier setzten Beyl und MacGarney MacHorn beim Phantomzeichner ab und gingen anschließend in ihr Büro. Es war kurz nach elf und sie waren platt. „Ich brauche einen Kaffee“, sagte Beyl. MacGarney nickte zustimmend: „Vorher müssen wir aber noch zur Chefin.“

      Beyl verzog das Gesicht: Die Chefin war ihre Vorgesetzte. Im Grunde war es sehr unterhaltsam: MacGarney eckte bei jeder Zeugenbefragung an. Keiner konnte ihn leiden. Beyl war der Charmebolzen, dem die Leute vertrauten. Sobald sie aber das Revier betraten und ihrer Chefin gegenüberstanden, änderte sich die gewohnte Rollenverteilung: Die Chefin war charakterlich das weibliche Gegenstück zu MacGarney: Direkt, grobschlächtig und mit einer gewissen Affinität zur Fäkalsprache. Sie konnte Beyl nicht wirklich leiden, wusste aber, dass er ein fähiger Ermittler war. Sie hatte noch fünf Jahre bis zur Pensionierung und es gab außer MacGarney kaum einen, der sich nicht darauf gefreut hätte.

      „Bringen wir es hinter uns“, sagte Beyl und ging in Richtung Tür. MacGarney folgte ihm.

      Sie verließen das Büro und gingen die tristen Flure entlang. Schließlich kamen sie zu einer breiten Tür aus dunklem Holz. MacGarney klopfte.

      „Was?“, scholl eine tiefe Stimme aus dem Zimmer, der man den jahrzehntelangen Nikotinkonsum anhörte. MacGarney öffnete die Tür: „Morgen“, sagte er.

      „Es ist nicht Morgen. Wenn Sie arbeiten würden, wüssten Sie das.“ MacGarney entgegnete: „Ich habe heute mehr gearbeitet als Sie, bei allem Respekt.“

      Seine Chefin grinste: Sie mochte MacGarney. Er war nicht so ein Weichei wie die anderen Idioten hier, sondern wusste, dass man Härte auch an der Sprache erkannte.

      Elsbeth Dromder war eine alte Dame, mit der man lieber keinen Streit haben wollte: Sie hatte so manche Karriere beendet, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Mit den Jahren war sie nicht milder geworden, wie mancher vielleicht gehofft hatte. Vielmehr war in ihr die Überzeugung gereift, dass sie den Saustall auf eine Zeit ohne sie vorbereiten musste.

      „Was wollen Sie?“, fragte sie nun.

      „Wir waren bei dem Retro-Hotel. Es gibt einen potentiellen Verdächtigen.“

      „OK. Gibt es einen Bericht der Spurensicherung?“

      Beyl antwortete: „Nein, der steht noch aus.“

      Dromder verdrehte die Augen: „Junge, dann machen Sie denen mal Feuer unterm Hintern!“

      „Sie sind dran. Der Bericht sollte bald vorliegen.“

      „Aha.“ Dromder schaute von einem zum anderen: „Wars das? Ich habe zu tun!“ Sie nickte in Richtung ihres Computers.

      „Alles klar.“ MacGarney schob Beyl sanft in Richtung Tür.

      „Warum ist die immer so ätzend?“, fragte Beyl. Er war schon seit einigen Jahren in der Abteilung, konnte sich aber einfach nicht an die Besuche bei der Chefin gewöhnen.

      „Denk mal nach: Wie alt ist die?“

      „100?“

      „Quatsch. Aber sie ist voll alt. Sie ist aber auch schon ewig „die Chefin“. Das bedeutet, sie hat sich hochgearbeitet, als Frauen in Leitungsfunktionen absolut keine Selbstverständlichkeit waren. Ich denke, sie musste so sein, damit sie überhaupt ernst genommen wird.“

      „Aber muss es denn immer so sein?“

      „Stell dir vor, sie wäre ein Mann.“

      „Was soll das denn jetzt?“

      „Wenn sie ein Mann wäre, würdest du sagen, er ist ein harter Hund. Fertig. Aber weil sie eine Frau ist, die nicht in dein Bild passt, meckerst du.“

      Beyl schaute MacGarney an: Vielleicht hatte er Recht.

      „Mir egal“, sagte er trotzdem. „Ich habe Hunger. Mittagessen?“

      „Mittagessen!“

      Mittagessen