vermied es, diese Diskussion weiter zu führen. Für ihn bestand Lebensqualität nicht nur in ruhigem Landleben. Die verschlüsselte Botschaft Bockholds war aber angekommen. Ich, Bob W. Bockhold, habe genug Geld, mir ein Haus zu kaufen, wo immer ich gerne möchte. Und wie zur weiteren Demonstration seines Wohlstands ließ Bockhold, am Haus angekommen, per Fernbedienung das breite Schwingtor zur Garage aufgehen.
„Das hier sind meine Babies“, sagte er mit einer weit ausholenden Armbewegung, welche K. an die Gestik des Trigema-Mannes erinnerte.
K. sah den Grundstock für ein Automuseum. Da stand neben einem Porsche Speedster von 1956 ein alter 356 B. Ein VW-Käfer mit geteilter Heckscheibe war da, ebenfalls ein Bully in der Campingausführung – Woodstock ließ grüßen – und als Krönung ganz vorne ein Porsche-Targa der ersten Generation in Quietschgrün, der Trendfarbe in den 1970er Jahren.
„Kommen sie, wir machen einen kleinen Ausritt mit dem Targa“, sagte der stolze Fuhrparkbesitzer, „das Wetter ist akzeptabel, wir können offen Fahren. Ich zeige ihnen mal die Gegend hier.“
Er öffnete die Kofferraumhaube und klemmte das Kabel des Ladegerätes von der Batterie ab. Dann entfernte er das Dach. Als er den Zündschlüssel drehte, blubberte und fauchte der Motor. Dem Auspuff entwichen dunkle nach verbranntem Öl riechende Wolken. Bockhold bog von der Uferstraße ab. Sie fuhren durch eine leicht hügelige stark zersiedelte Landschaft. Der luftgekühlte Sechszylinder röchelte, schmatzte oder kreischte, je nachdem, wie der Anwalt seinen Gasfuß stellte. Der alte Motor rüttelte sich wach und kam wieder zu Kräften.
Alle zehn Meilen tauchte eine Shopping Mall neben der Hauptstraße auf. Alle sahen sie gleich aus und alle waren sie belegt von den sattsam bekannten Einzelhandelsketten. Die Sportartikelgeschäfte waren hier so groß, wie ganze Warenhäuser in Deutschland.
Bockhold führte K. durch endlos lange, meist menschenleere Gänge an Regalen mit Artikeln vorbei, die ausnahmslos aus Fernost kamen. Allein das Angebot des Ball-Sortiments für American Football in der Sportequipment-Arena nahm eine ganze Hallenseite in Anspruch. Ausrüstungsgegenstände und Funktionsbekleidung für nahezu jede Sportart befanden sich in den Auslagen. Für Bockhold war dieses Angebot neben den teuren Importautos am Landungssteg Sinnbild für die Realisierung des amerikanischen Traums der unbegrenzten Möglichkeiten. Dabei war es viel mehr eine Demonstration für den Einfallsreichtum und die bessere Qualität der Produkte in den Erzeugerländern in Fernost und in Europa.
Und mit jedem Ball, der über den Ladentisch ging und mit jedem Paar Turnschuhe, das verkauft wurde, schnitt sich Fernost wieder ein kleines Stückchen aus dem großen amerikanischen Kuchen heraus. Dasselbe taten auch die japanischen und die deutschen Automobilfirmen in etwas größeren Happen. Die mächtigste Nation der Welt merkte in ihrem Konsumwahn nicht, wie sie sich sukzessive ans Ausland verkaufte. Dort liefen Billionen Dollar an Devisen auf, die auf Dauer nicht im Sparstrumpf verschwinden, sondern als Investitionen in Firmen und in Immobilien nach den USA zurück fließen würden.
Doch Vorsicht, da gab es noch einen anderen Aspekt. Das was Amerika ausgab, nicht nur für Importwaren, sondern auch für Häuser und Motorboote, Offroader und Pick ups, Raumfahrt und Waffen sowie Medicaid, das staatliche Programm für die Krankenversorgung und vieles andere mehr, das wurde durch Geld bezahlt, welches größtenteils gar nicht da war. Es war Spielgeld in Form von Überziehungskrediten auf Plastikkarten und von Hypothekenbriefen, mit denen überwiegend Schrottimmobilien viel zu hoch besichert worden waren, wie sich einige Jahre später in der größten Finanzkrise, welche die Wirtschaft jemals erschüttert hatte, herausstellen sollte.
So beuteten die USA den Rest der Welt aus. Es war Kolonialismus und letztlich auch Imperialismus pur, mit viel größeren Ausmaßen, als bei den Beutezügen der Spanier in Südamerika oder des Britischen Empire in Indien. Nur, dass der Raub hier über elektronische Verbindungen und undurchsichtige Finanzinstrumente im Verborgenen zustande kam und nicht in offen praktizierten feindlichen Handlungen, wie bei den christlichen Eroberern. Zwar würden die Amerikaner ihre Schulden, welche sich bei den Exportnationen in Form riesiger Handelsbilanzdefizite anhäuften, vollständig wieder zurückzahlen. Nur würden das dann Dollars sein, die nicht mehr den ursprünglichen Wert besaßen. Der altbekannte Trick hieß Inflation. Das fehlende Geld würde einfach nachgedruckt werden.
Man haute sich also gegenseitig übers Ohr und spielte Katz und Maus. Der eine gab dem anderen sein Spielgeld, damit dieser sich reich und mächtig fühle. Der andere gab dem einen dafür billiges Spielzeug oder gute Autos, damit der seinen Spaß haben sollte. Wenn nun der fleißige Produzent sein gespartes Spielgeld eintauschen wollte, bekam er nichts mehr dafür, aber der andere hatte seinen Spaß gehabt.
Deshalb tobte hinter den Kulissen ein geheimer Krieg; denn keiner hatte etwas zu verschenken. Wenn du versuchst, mich für dich arbeiten zu lassen, dann ist es nur recht und billig, wenn ich dir deine Ideen klaue. Damit kann ich mir dann wieder zurückholen, was du mir schuldest. In dieser Auseinandersetzung ging es um die wichtigste Ressource der Menschheit, es ging um das Wissen über neue Technologien. Dieser Krieg kannte keine Fronten, aber er benötigte Soldaten. Bald würde K. einer davon sein. Die Tentakel des Myzels hatten ihn geortet und begannen, ihn zu umranken.
„Bei so viel alter Autoprominenz brauchen sie eigentlich einen eigenen Mechaniker“, sagte K. zu Bockhold.
„Habe ich auch. Das managed mein alter Freund Simon für mich. Der hat finanziell ausgesorgt und besitzt noch mehr Autos, als ich. Unter anderem nennt er einen Original-Porsche-Spyder sein Eigen. Er treibt sich nur noch auf Märkten rum, wo Ersatzteile für die alten Schlitten gehandelt werden.“
Einige Tage später sollte K. auch diesen Simon kennen lernen. Es war ein langer dünner etwas linkischer Typ. Bockhold und er unterhielten sich wie zwei plappernde pubertierende Mädchen, als es um Vintage, also moderne Antiquitäten ging. K. bekam mit, dass die beiden nicht nur alte Autos sammelten, sondern jeder mehrere Exemplare unterschiedlicher Ausgaben der alten 08-Parabellum-Pistole im Schließfach hatte. Auch tauschten sie Auktionskataloge aus, in denen ausschließlich alte Nikons angepriesen wurden.
Interessante und teure Sammelleidenschaften haben die, typische technische Männerhobbies mit dem Mythos der Geheimdienste, dachte sich K., wahrscheinlich haben die zu viel Spionageromane gelesen. Darüber geht nur noch das Sammeln von Panzern und Flugzeugen. Tatsächlich interessierte sich Bockhold auch intensiv für die Anfänge des Raketenzeitalters in Peenemünde. Er hatte alles an Literatur zusammengetragen, was er dazu kriegen konnte. Irgendetwas Geheimnisvolles umwehte diesen Mann.
Die Tage und Wochen waren für K. angefüllt mit zahlreichen Meetings und Diskussionen über Verteidigungsstrategien bei den Gerichtsverfahren, in denen asbestbedingte Gesundheitsschäden verhandelt wurden. Es ging um die Schuldfrage, inwieweit das Inverkehrbringen asbesthaltiger Produkte bei den Anwendern zu Lungenerkrankungen geführt hatte und in welchem Umfang die daran beteiligten Firmen dafür nicht nur haftbar, sondern auch zu bestrafen seien. Insbesondere dieses Punic Damage trieb die Schadenersatz- und Strafzahlungen in Schwindel erregende Höhen.
Die Strategie war schlicht aber aufwendig: Wir machen uns bei den Klägern denkbar unbeliebt, indem wir wissenschaftlich-fachlich und argumentativ so fit werden, dass die Klägerseite davon rennt, wenn sie nur unseren Namen hört.
Anfänglich bereitete K. das intellektuelle Amerikanisch seiner Gesprächspartner, die ausnahmslos in Harvard oder Yale studiert hatten, gewisse Probleme. Sie verwendeten eine Idiomatik, die er vorher so noch nie gehört hatte. Erstaunt war er über das Easy Going in der Kanzlei. Hier wirkte keiner überarbeitet, alle waren relaxed. Eine solche Arbeitsatmosphäre bekommt man nur hin, wenn man zahlungskräftige Mandanten hat. Zermürbend für K. waren die stundenlangen Diskussionen zu Punkten, die er schon längst erledigt wähnte. Er war immer davon ausgegangen, dass Amerikaner rasch entscheiden. Das Gegenteil war der Fall.
Im großen Holzhaus Bockholds am Strand roch es moderig. Es war kein sehr aufdringlicher Geruch, zumal man ihn nach längerem Aufenthalt im Haus nicht mehr wahrnahm. Wie eine Dauerinfektion schleppte man aber diese dünne morbide Fahne in den Klamotten nach außen. Der Geruch begleitete einen dann den ganzen Tag und Leute, die einem zu nahe kamen, mussten meinen, dass man sein Zuhause im schimmeligen feuchten