José Luis de la Cuadra

Eine Faust-Sinfonie


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Teufel?

       Du rufst mich schon wieder?

       Es scheint, du verfolgst mich.

       Das will ich meinen.

       Hatte ich als Forscher und Mensch versagt? War das biologische Gerüst jeglichen Lebens, waren diese seelenlosen Eiweißstränge aus Nucleinsäuren eine Fiktion meines Geistes, Strukturen für die Projektion von Trugbildern?

       Elender Zweifler, ich glaube, ich kann dir wirklich nützlich sein.

       Kannst du mir nützlicher sein, als ich mir selbst?

       Blödmann. Ich bin doch ein Teil von dir.

       Jetzt reicht’s.

       Ist es so schwer, die Hilfe seines Schattenmanns anzunehmen? Ich

       bin dir näher als du glaubst.

      „Sie haben Recht. Der Wein vernebelt meine Sinne. Er macht mich überheblich. Ich kann mich tatsächlich nicht rühmen, mein Leben im Griff zu haben.“

      „Ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten, mein Herr. Erlauben Sie mir, Ihnen einen Vorschlag zu machen. Ich kann Sie auf Ihrer Romreise begleiten, gewissermaßen als Gesellschafter oder Freund. Ich werde Sie zu den Geheimnissen dieser Stadt führen, zu ihrer Schönheit und Sinnlichkeit, zu einem Leben, das Ihnen bisher verschlossen blieb.“

      „Ihr Angebot tönt verlockend. Aber meiner Meinung nach ist es unvereinbar mit der Gesinnung, die von einem Würdenträger des Bistums Rom erwartet wird, Monsignore. Sie scheinen mit einem Fuß in einer anderen Welt zu stecken. Ich frage mich, warum Sie mir als Priester zur Sinnlichkeit raten. Nein, ich glaube nicht, dass dies mein Weg sein sollte.“

      „Wie Sie meinen, aber mein Angebot bleibt. Erlauben Sie mir also, mich zu verabschieden. Ich bin übrigens Monsignore Diabelli.“

      „Sehr erfreut. Ich bin Professor Hannes Georg von der ETH Zürich.“

      Der Priester lächelte, erhob sich und verließ das Lokal. Er hinkte leicht. Irgendetwas stimmte nicht mit seinem Fuß.

       Das wirst du bereuen.

       Schweig.

      Unwillentlich griff ich zum Glas Rotwein.

      Monsignore Diabelli? Ein komischer Kauz. Sprach zu fremden Menschen und biederte sich als Freund und Begleiter an. Er wollte mir zu Schönheit und Sinnlichkeit verhelfen. Wollte ich das nicht? Nun ja, eigentlich schon. Es war mein innerster Wunsch, das Ziel meiner Flucht aus der Verantwortung meines früheren Lebens. Ich wollte eine neue Dimension des Lebens erfahren. Triebhaftes mit Genuss verbinden. Mich der Essenz der menschlichen Existenz hingeben.

      Monsignore Diabelli? Ein Jesuit, ein Anhänger der strengsten katholischen Lehre, ein Sektierer mit Machtinstinkt, ein Verschwörer. Ein Verführer? Mein Retter in der Not?

      In Gedanken versunken blickte ich mich in der düsteren Taverne um. An der Bar saß eine junge Dame, die Beine übereinander geschlagen, großzügiger Ausschnitt und weit hochgezogener Minirock. In der einen Hand ein Glas Sekt, in der anderen eine Zigarette. Ihr schwarzes Haar reichte bis weit über die Schultern. Sie blickte ständig zu mir herüber und schlug ihr Haar wiederholt über das Ohr zurück. Dabei sprach sie unaufhaltsam mit dem Barkeeper und gestikulierte mit den Armen. Mehrmals schwappte Sekt aus dem Glas. Schließlich erhob sie sich und blieb einen Moment neben dem Barhocker stehen, um die Zigarette auszudrücken. Sie fixierte mich mit verführerischem Blick. Dann, nach kurzem Zögern, näherte sie sich meinem Tisch.

      „Seien Sie vorsichtig.“

      „Wie bitte?“

      „Ich möchte Sie vor dem Mann warnen, der zuvor bei Ihnen saß.“

      „Wie meinen Sie das?“

      „Er ist gefährlich.“

      „Kennen Sie ihn?“

      Sie trat nervös von einem Bein auf das andere. Ihr Busen wippte. Spürte ich Angst in ihrem Gebaren?

      „Ja und nein, ich kenne ihn nicht persönlich. An meinem Arbeitsplatz ist er aber wohl bekannt.“

      „Wo ist denn Ihr Arbeitsplatz?“

      „Im Vatikan.“

      „Höre ich recht?“

      Spielte die Welt verrückt? Diese anzügliche und nicht gerade dezent gekleidete Dame sollte im Vatikan arbeiten?

      „Sie haben mich richtig verstanden.“

      „Und was tun Sie dort?“

      „Ich stehe zu Diensten.“

      Eine Kurtisane?

      „Von welchem Dienst sprechen Sie“?

      „Vom sexuellen.“

      Sie fand das offenbar ganz normal. Mir wurde es langsam zu viel.

      „Ich glaubte immer, in der Umgebung des Apostolischen Stuhls gelte das Keuschheitsgelübde.“

      „Das glaubte ich auch einmal.“

      „Was hat das Ganze mit dem Priester zu tun, der vorher bei mir saß?“

      „Ich habe Kolleginnen, die ihm zu Diensten sind.“

      „Und was geht mich das an?“

      „Ich wiederhole, er ist gefährlich.“

      Sie blickte unruhig um sich, zündete eine neue Zigarette an, drehte sich auf dem Absatz um und verließ eiligst das Lokal.

      Zurück blieb der Professor, der Ausreißer, ich. Zurück blieb auch ein mulmiges Gefühl in mir. Ein Gefühl von Hilflosigkeit, von Ratlosigkeit. Nein, ich konnte nicht glauben, dass ein Kardinal offen über Sinnlichkeit sprach und eine Hure im Vatikan die Priester bediente. Natürlich wusste man von den Verfehlungen der Geistlichkeit, aber direkt damit konfrontiert fühlte sich das Ganze irgendwie klebrig an. Das einzig Gute war, dass ich von meinen Problemen abgelenkt wurde. In meinem Innersten widerhallte diese seltsame Stimme. Das wirst du bereuen. Mein Alter Ego? Warum warnte mich die Dirne vor einem sündigen Priester, der mein Freund werden wollte?

      Irritiert griff ich schon wieder zum Glas. Da fiel mein Blick auf einen Prospekt, welchen der Jesuit offenbar auf meinem Tisch liegengelassen hatte. Ich muss zugeben, dass meine Hände zitterten, als ich nach der Schrift griff, vermutete ich doch eine unangenehme Botschaft Diabellis.

      Erleichtert atmete ich auf, als ich feststellte, dass es sich bei dem Papier lediglich um ein Konzertprogramm des Auditoriums Parco della Musica handelte. Das RAI-Sinfonieorchester Roms spielte morgen die Faust-Sinfonie von Liszt. Als ausgesprochener Musikliebhaber und weil das Auditorium Parco della Musica sowieso auf meinem Besuchsprogramm stand, beschloss ich, mir eine Karte zu besorgen. Dieses monumentale Werk war praktisch nie im Konzertsaal zu hören. Es war zu schwierig in den Harmonien und erforderte ein immenses Orchester. War der Jesuit ein Musikliebhaber? Oder wollte er mir etwas mitteilen, mich auf seine Pfade lenken?

      „Il conto!“ rief ich zur Bar hinüber, dann begab auch ich mich zum Ausgang der Taverne.

      3

      Du bist noch nicht der Mann, den Teufel festzuhalten! Umgaukelt ihn mit Süßen Traumgestalten, versenkt ihn in ein Meer des Wahns;

      (MEPHISTO an die Geister, Faust: Der Tragödie erster Teil)

       Das Auditorium Parco della Musica ist ein phantastisches Kulturzentrum im Stadtteil Parioli in Rom. Es wurde nach den Plänen des italienischen Stararchitekten Renzo Piano erbaut und 2002 eröffnet. Die Sala Santa Cecilia bietet 2800 Sitzplätze und ist für große Orchester und Chöre bestens geeignet.

      Nachdem ich im Konzertsaal Platz genommen hatte, vertiefte ich mich in das Programmheft mit den Erläuterungen zur Faust-Sinfonie Liszts. Die Abhandlung beleuchtete vor allem die Kompositionstechnik.