José Luis de la Cuadra

Eine Faust-Sinfonie


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Trasteveres einkehrte, in der ich schon meinen ersten Abend verbracht hatte. Wahrscheinlich fühlte ich mich wohler an einem Ort, den ich schon kannte. Mein Unbewusstes hoffte vielleicht, die Kurtisane anzutreffen, deren Schicksal mich immer mehr beschäftigte.

      Ich setzte mich auf einen Hocker an der Bar. Vor mir auf der Theke lag der Lisztführer, den ich mir erstanden hatte. Ich ließ mir wieder ein Glas Liutprando einschenken. Der süffige Wein würde mich auf Rom einstimmen.

      Ich machte gerade Pläne für die nächsten Tage, als tatsächlich die Kurtisane außer Atem die Schenke betrat und sich unweit von mir an die Bar setzte. Sie war so aufgeregt, dass sie mich nicht wahrnahm und vor dem Barkeeper zu gestikulieren begann. Es schien, dass die beiden sich kannten. Ein wahrer Wortschwall entlud sich über dem Tresen.

      „Aiuta me!“, schrie die Frau. Dann schlug sie mit den Fäusten

      auf den Tisch. Der Barmann wirkte verlegen und trat einen Schritt zurück. Offenbar wollte er nichts wissen von der Tragödie, die sie ihm anvertraute. Er stellte ihr ein Glas Schnaps hin, welches die Hure in einem Zug leerte.

      Etliche fröhlich gestimmte junge Herren betraten das Lokal. Der Barkeeper war sichtlich erleichtert, dass er sich abwenden konnte, um die neuen Gäste zu bedienen. Wütend blickte sich die Kurtisane im Raum um. Dann sah sie mich. Sie konnte mich in ihrer Erregung nicht sofort einordnen, aber plötzlich setzte sie sich zu mir.

      „Ah, der Freund des Priesters.“

      „Ich bin nicht sein Freund ..., ich meine, nun ja, eigentlich schon.“

      „La bestia!“

      „Wie bitte?“

      „Sicher gehört er auch zur Kardinalssekte, die hinter der Novizin her ist. Wölfe im Schafspelz. Männer Gottes auf Abwegen. Verbündete des Teufels.“

      „Hören Sie, wir sind nicht mehr im Mittelalter.“

      „Der Teufel hat kein Alter. Ich verstehe, wenn zölibatäre Männer mal eine Abwechslung brauchen. Dafür sind wir Kurtisanen da. Aber ich finde es abscheulich, wenn sie dem verbotenen Geschlecht Gewalt antun.“

      „Wer ist denn das verbotene Geschlecht?“

      „Na, wir natürlich, wir Frauen.“

      „Verboten im Zeitalter der Emanzipation? Das gibt es nicht mehr. Nicht einmal Ihre Gattung ist heutzutage verboten.“

      „Sie haben keine Ahnung, mein Lieber. Im Vatikan herrscht Mittelalter. Die Angst vor dem weiblichen Geschlecht geht um, vor der Mutter Gottes, wenn Sie wollen. Die Kirchenmänner bangen um ihre Macht, fühlen sich von Hexen bedroht. Sie haben schmutzige Gedanken. Unter dem Deckmantel der göttlichen Reinigung huldigen sie Ritualen mit grausamsten Praktiken.“

      Ich fand keine Worte. Wusste diese Frau wovon sie sprach, oder war sie geisteskrank? Erinnerungen an meinen Traum von letzter Nacht flackerten auf und ließen mich frösteln.

      „Ich weiß nicht, weshalb Sie mir das alles erzählen. Ich bin Ausländer. Ich habe mit alledem nichts zu tun. Ich glaube, sie haben eine glühende Fantasie.“

      „Ich sage Ihnen zwei Dinge, mein Herr. Erstens, was hier geschieht geht weit über eine glühende Fantasie hinaus. Aber ich gebe Ihnen Recht, die Dinge sind schlicht unvorstellbar. Zweitens weiß ich genau, dass Sie ein Ausländer sind, das sieht man ja von weitem. Aber wenn ich mich an jemanden aus Rom wende, kann ich sicher sein, dass alles unter den Tisch gewischt wird. Hier herrscht die Camorra bis in den Vatikan hinein. Alle stecken unter derselben Decke. Sie hingegen sehen so aus wie, sagen wir mal, eine wichtige Person. Habe ich recht?“

      „Ich bin Professor für Molekularbiologie in Zürich.“

      „Darf ich fragen, wie Sie heißen?“

       „Hannes Georg.“

      „Ich bin Paulina“

      Sie gab mir die Hand. Sie war zart und heiß. Ich betrachtete zum ersten Mal genauer ihr Gesicht. Es war nicht vulgär, auch nicht schön. Zu stark geschminkt. Die Wimperntusche über die Wangen verstreut. Ein Anflug von Sehnsucht lag in ihren Augen. In diesem Gesicht lag nicht eine physische, sondern eine Schönheit der Gesinnung. Nein, sie war keine Irre. Und ..., ja, irgendwie glich sie der Kurtisane aus meinem Traum, die mich hätte ficken sollen und mich am Ende geküsst hatte.

      „Paulina, ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ihre Wut, Ihre Anschuldigungen, Ihre Äußerungen über Entgleisungen der Kirche ..., irgendwie fehlt mir der Glaube. Andererseits scheinen Sie mir ehrlich zu sein und Hilfe zu suchen. Ich möchte Ihnen vertrauen. Trotzdem, ich muss Sie bitten, mich zu überzeugen. Immerhin handelt es sich um gravierende Beschuldigungen.“

      Ohne ein weiteres Wort legte sie ein kleines Amulett auf die Theke.

      „Dies ist die Novizin Eva Maria Agnesa aus dem Kloster Santa Anna, eine gute Freundin von mir. Alle nennen sie Evi. Sie ist Sängerin im Sixtinischen Chor. Das gehört zu ihrem Noviziat.“

      Ich zog das Bild in meine Nähe und betrachtete es. Lange sagte ich kein Wort. Ich hielt den Augenblick fest, verweilte in dem schönen Gesicht und versuchte, in die Seele dieser Frau zu blicken. Ihr Haar war durch den weißen Novizenschleier bedeckt. Ein Kollar kränzte den Hals. Die Augen drückten Reinheit aus. Die Lippen waren perfekt geformt und ließen ein Lächeln erahnen. Trotzdem lag ein Hauch von Traurigkeit in ihrem Ausdruck, von Schmerz.

      „Ein schöneres Bild habe ich nie gesehen, Paulina.“

      „Ja, die Novizin ist unglaublich schön. Deshalb wurde sie zur Zielscheibe priesterlicher Begierde. Ich weiß nicht, ob sie hören wollen, was die Jesuitenkardinäle mit ihr vorhaben.“

      „Ich glaube nicht, dass ich das will. Viel mehr möchte ich dieser Frau begegnen. Ihre Schönheit hält mich gefangen.“

       Willkommen in meinem Reich.

       Verschwinde.

       Ist das Weib so schön, dass du nicht von ihm lassen kannst, du

       den Augenblick festhalten willst?

       Lass die Finger von ihr.

       Ich kann dich zu ihr führen.

       Ich halte mich lieber an Paulina.

       An die Hure?

       Es steht dir nicht zu, über sie zu urteilen.

       Du hältst nicht viel von mir. Du wirst mich kennen lernen. Ich

       bin ein Teil von dir.

       Daran bin ich nicht interessiert.

       Willst du dich selbst verleugnen? Bist du dir so gefällig?

       Ich glaube, du gefällst dir selbst zu sehr.

       Oh nein, ich bin ein Verstoßener des Herrn. Sein demütiger

       Widerpart. Ich sorge für dein seelisches Gleichgewicht, damit du

       nicht zu übermütig wirst. Das Schöne und Gute ist mein

       Reich, wenn immer es sinnlich ist. Wenn es zur Sünde wird, fühle

       ich mich so richtig wohl. Sieh dich vor, Schwärmer, sobald du

       dich versündigst gehörst du mir.

       Ich gehöre nur mir selbst.

       Eben, das meine ich.

      „Wenn Sie das wirklich wollen, Herr Professor, müssen Sie starke Nerven haben. Und Sie müssen mir dorthin folgen, wo sich das Unvorstellbare ereignet.“

      In diesem Moment war ich zu allem bereit. Wie damals, als ich Marthe kennengelernt hatte. Die Welt war auf dem Kopf gestanden, jede meiner Handlungen auf sie ausgerichtet gewesen. Ihre jugendliche Schönheit hatte alle meine Vorstellungen übertroffen. Sie war ein Teil von mir