José Luis de la Cuadra

Eine Faust-Sinfonie


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      Wie dem auch sei, ich war ungewollt in diese Tragödie hineingeschlittert und fühlte mich zu nichts verpflichtet. Obwohl ..., da war die Novizin. Und was ich in den unterirdischen Räumen mitgehört hatte, entfaltete Turbulenzen in meinem Innern. Ich schien mich spiralartig dem Abgrund meiner Seele zu nähern. Merkwürdigerweise wehrte ich mich nicht im Geringsten gegen den Gedanken, tiefer zu fallen.

      An der Rezeption der Pension überreichte man mir eine Mitteilung. Ich öffnete den Umschlag und entnahm ihm ein Briefpapier mit dem Banner des Vatikans.

       Heute Etappe 1: Kloster Santa Maria del Rosario,

       Monte Mario. Wir treffen uns um 11 Uhr an der Pforte.

       Gezeichnet: Ihr Gesellschafter, Kardinal Diabelli.

      Ich setzte mich in die Eingangshalle. Ein Ausflug auf den Monte Mario – wie ich erfahren hatte, konnte man dort eine herrliche Aussicht über ganz Rom genießen – schien mir eine willkommene Abwechslung zu sein. Ich hoffte, die bedrohliche Richtung, welche die Reise in mein neues Leben genommen hatte, noch abwenden zu können. Das Unbehagen, das sich mit dem Namen Diabelli verband, war zwar immer noch da, aber das offizielle Banner des Vatikans auf dem Briefkopf ließ meine Bedenken, mich vom Jesuitenkardinal führen zu lassen, schwinden.

      Ich bestellte ein Taxi, welches mich durch den dichten Morgenverkehr Roms auf den Monte Mario fuhr.

      Am Fuße des Klosters gibt es eine kleine Parkanlage, wo ich den phantastischen Ausblick bis zum Petersdom genießen konnte. Da mir noch etwas Zeit blieb, setzte ich mich auf eine Bank und ließ meine Gedanken über die ferne Stadt schweifen. Die Harmlosigkeit der Weite und Schönheit Roms ließen Bewunderung für den Schöpfer dieser Welt aufkommen. Wie konnte es sein, dass sich unter der Oberfläche der heiligen Metropole eine Perversion des Glaubens eingeschlichen hatte? Die Erinnerung an meine gestrigen Erfahrungen in den Tiefen der Vatikanischen Grotten ließen mich immer noch erschauern.

      Ich hoffte, dass ich im Inneren des Dominikanerklosters begreifen würde, weshalb ein Star wie Franz Liszt 1863 hierher gekommen war, ausgerechnet in einer der turbulentesten, vielleicht auch dunkelsten Zeiten Roms, vor der Einigung Italiens. Mehrere Jahre hatte er in Askese und Abgeschiedenheit gelebt und schließlich die Priesterweihen erlangt. War er wirklich müde gewesen von seinem exzentrischen Leben, oder suchte er den damaligen Okkultismus der katholischen Lehre?

      Pünktlich um 11 Uhr begab ich mich zur Pforte des prächtigen Gebäudes. Der Jesuitenkardinal stand vor dem Eingang. Er breitete seine Arme aus.

      „Ich freue mich, dass Sie gekommen sind, Professor. Sie dürfen mir glauben, dass sich selten jemand hierher verirrt. Das Kloster finden Sie in keinem Fremdenführer. Es wird heute von Klausurschwestern bewohnt, so dass es der Öffentlichkeit nicht zu Verfügung steht. Ein Besuch der frühchristlichen Ikone in der Kirche ist allerdings während des Gottesdienstes möglich. Wir haben Glück, kommen Sie.“

      Wir betraten den Kirchenraum. Die Morgensonne warf ihre warmen Strahlen ins finstere Innere. Leise Frauenstimmen drangen in den Altarraum. Die Madonna blickte uns durch ein Gitterfenster an, von oben durch eine kleine Lampe beleuchtet, traurig, unendlich entrückt, die Güte der Weiblichkeit ausstrahlend. Lukas soll die Maria gemalt haben.

      Das Bildnis faszinierte mich fast ebenso wie dasjenige der Novizin. Der weibliche Gesang aus dem Hintergrund, der das Antlitz der Heiligen beinahe zum Leben erweckte, stand im krassen Gegensatz zur Verachtung, welche die Kardinäle in den Vatikanischen Grotten dem weiblichen Geschlecht entgegenbrachten. Weshalb war Maria heilig, wenn sie im Finsteren mit Füssen getreten wurde? Wer machte die Weiblichkeit zur Hure?

       Ich nehme an, du meinst mich.

       Erraten.

       Bei wem warst du gestern Nacht?

       Was geht dich das an?

       Na, komm schon!

       Ich hatte mich nicht mehr unter Kontrolle.

       Eben, soll ich nicht bei dir sein und die Kontrolle für dich

       übernehmen?

       Ich gebe zu, dass ich Schwäche zeige.

       So gefällst du mir. Jetzt öffnest du Tür und Tor für ein lustvolles

       Leben. Du machst Fortschritte.

       Aber was in den Kellern des Vatikans vor sich geht gefällt mir

       nicht.

       Du bist kleinlich. Lass dem Bösen seinen Spielraum. Warst du

       nicht begierig nach der Lust, welche dir die Peitsche gebracht hat?

       Ich musste mich erlösen lassen vom Schmerz des Erlebten.

       Schmerz mit Schmerz tilgen. Du bist wahrlich teuflisch. Bald

       kann ich von dir lernen.

       Bitte, lass mich in Frieden.

       Immer zu Diensten.

      Diabelli stupfte mich.

      „Der Gottesdienst ist zu Ende. Wir müssen gehen.“

      Die Gitterfenster schlossen sich und wir verließen die Klosterkirche. Der Kardinal führte mich zu einer schattigen Bank am Fuß des Klosters.

      „Leider können wir die Innenräume des Klosters wegen der Klausur nicht besuchen. Wenn Sie meine persönliche Meinung wissen wollen, die Nonnen verstecken sich vor dem Teufel. Ich glaube, der Komponist, für den Sie sich interessieren, wollte sich auch vor dem Teufel verstecken. Er war zwar ein Genie, aber er hat Vielweiberei betrieben, gehurt. Er hat das Weibervolk zum Kreischen gebracht. Es ist ihm zu Füssen gelegen, es hat ihm die Hände geleckt.

      Ja, er musste sich reinigen. Er wollte sich dem Herrn zuwenden, wollte sich der Einsamkeit hingeben, sich läutern. Er hat viel gebetet, Kirchenmusik komponiert. Stellen Sie sich vor, hier entstand sein Christus Oratorium. Und ich sage Ihnen, es war eine Inszenierung, eine Täuschung seiner selbst und der Welt. Er meinte, mit dem Schein der Heiligkeit würden seine Sünden getilgt. Aber der Teufel lässt sich nicht so leicht übertölpeln. Nicht durch priesterliche Weihen, nicht durch Gespräche mit dem Papst. Es herrschte Krieg in der Seele des Musikers. Der Teufel hat mit dem Herrn gerungen. Die Schlacht ist mit leichtem Vorteil für den Teufel ausgegangen. Abbé Liszt stolzierte mit der Soutane umher. Er stürzte sich bald wieder in die Menge, gab Konzerte, ließ sich feiern, genoss die Weiber. Kaum hier angekommen reiste er in alle Welt. Seine Verzweiflung stieß ihn direkt in die Niederlage.

      Luzifer ist stark, Professor. Der gefallene Engel ist ein Teil Gottes, der Schatten des Herrn, die Finsternis, die nach dem Licht sucht.“

      „Sie erzählen mir da eine recht teuflische Version der Geschehnisse, wenn Sie mir meine Direktheit entschuldigen wollen, Pater Diabelli.

      Wie ich einer Liszt Biographie entnommen habe, ist der Starvirtuose mit ernsthafter Absicht hierher gekommen. Er entsagte seinem prunkvollen Leben und verzichtete auf die Eitelkeit der Welt. Seit unserem Besuch der Klosterkirche, und nachdem ich die Abgeschiedenheit dieses Ortes gespürt habe, kann ich das Bedürfnis des Komponisten verstehen, seine Arbeit in Nähe der heiligen Mutter fortzusetzen, abseits des Rummels der Großstadt, der Aufdringlichkeit seiner Anhängerinnen. In meinen Augen suchte er Inspiration, weit weg von den weltlichen Versuchungen.“

      „Fast könnte man meinen, Sie argumentieren als Fürsprecher des Herrn und ich sei das Sprachrohr des Teufels.“

      War sein Lächeln verächtlich oder verschmitzt? Huldigte Diabelli dem Widersacher Gottes? Gehörte er zu den Frauenhassern, zu den Triebgestörten der katholischen Kirche?

      „Kennen Sie Kardinal Canonico?“

      „Den Chorleiter? Aber natürlich. Wer kennt ihn nicht? Ohne ihn gäbe es keine Momente der Besinnlichkeit in der Strenge unserer täglichen Glaubensarbeit.