José Luis de la Cuadra

Eine Faust-Sinfonie


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sich das Rad nicht mehr zurückdrehen ließ. Zorn krallte sich an mir fest. Kleine Kobolde stiegen in mir auf und drängten mich, das niemals Gewollte zu tun. Ich kämpfte gegen Kräfte einer anderen Macht. In meiner Wehrlosigkeit sah ich das Verderben vor mir. Der Sog aus der Tiefe riss mich mit.

       Das war ich, du Schlaumeier. Meine Kräfte sind unwiderstehlich.

       So hilf mir da raus, wenn du alles besser weißt.

       Tu’ ich ja.

      „Wohin wollen Sie mich führen, Paulina?“

      „In den Untergrund des Vatikans.“

      „Sie meinen in die Grotten des Petersdoms, wo die Päpste aufgebahrt sind?“

      „Nein, in die Grabstätten des alten Rom. Zwischen der Nekropole des Petrus unter dem Petersdom und der kürzlich eröffneten Nekropole der Via Triumphalis gibt es einen Verbindungsgang, der ursprünglich dem Leichentransport aus dem Neronischen Circus diente. Dort wurden in jüngerer Zeit Lustkammern für die Kardinäle eingerichtet. Auch Geheimarchive des Vatikans befinden sich dort.“

      „Haben Sie Zutritt?“

      „Natürlich, wir arbeiten dort. Es gibt einen Verbindungsgang vom Vatikan her.“

      Sie sprach so leise, dass ihre Lippen mein Ohr berührten. Sie legte einen Arm auf meine Schulter. Ich konnte ihr verführerisches Parfum riechen und ihre Brust fühlen. Eine angenehme Begehrlichkeit breitete sich in mir aus. Ich musste die Unterhaltung rasch beenden, da ich befürchtete, dass sich die Stimme in meinem Innern wieder melden würde. Ich fühlte mich geschwächt. Mein chaotischer Gemütszustand hatte mich verletzlich gemacht.

      Paulina spürte meine Unruhe.

      „Seien Sie stark, Professor Georg. Ich werde Sie begleiten und Sie wieder sicher aus dem Vatikan bringen. Und wenn Sie wollen ... .“

      Ohne den Satz fertig zu sprechen schmiegte sie sich an mich. Ich wich zurück.

      „Nein, Paulina, was Sie wollen ..., das will ich nicht. Aber wenn es um die Novizin geht, dann willige ich ein, die Kammern zu besuchen.“

      Ich sah in ihren Augen einen Funken Hoffnung aufblitzen. Sie sorgte sich ehrlich um ihre Freundin. Aber ich wusste nicht, weshalb sie mich in den Vatikanischen Untergrund mitnehmen wollte und noch viel weniger konnte ich erahnen, was mich dort erwartete.

      6

      So ist denn alles, was ihr Sünde, Zerstörung, kurz, das Böse nennt, mein eigentliches Element.

      (MEPHISTOPHELES, Faust: Der Tragödie erster Teil)

       Paulina nahm mich an der Hand, als wir zusammen die steinerne Treppe zu den Grabkammern hinunterstiegen. Spärliches Licht fiel von den Kandelabern des Gewölbegangs. Es war feucht und ein erdiger Geruch entwich dem Gemäuer. Vorsichtig tasteten wir uns abwärts, bis wir zu einer terrassenartigen Verbreiterung gelangten. Hier teilte sich der Gang. Paulina zeigte mit einer Kopfbewegung zu einer eisernen Wendeltreppe, die weiter in die Tiefe führte. Von unten stieg kühlere Luft empor. Ich vermutete, dass wir uns bereits viele Meter unterhalb der Ebene des Vatikans befanden.

      Am Ende der Wendeltreppe hielt mich Paulina am Arm zurück. Vor uns lag ein Säulengang, von welchem mehrere Räume abgingen. Vor der hintersten Kammer stand die Türe offen und man konnte leise Stimmen hören. Die Kurtisane legte ihren Zeigefinger auf die Lippen. Sie führte mich auf die andere Seite des Stollens, wo wir hinter einem Pfeiler Einblick in die Kammer hatten, ohne dass man uns entdeckte.

      Es handelte sich offensichtlich um einen Archivraum. An allen Wänden gab es Regale mit Ordnern und Büchern. In der Mitte stand ein Holztisch mit Stühlen. Zwei ältere Kardinäle saßen einander gegenüber. Paulina flüsterte mir ins Ohr, dass es sich um Monsignore Giuseppe Canonico, Chormeister des Vatikans, und um Kardinal Paulo Espinoza, Generalarchivar der Diözese, handelte.

      „Streng dich an, Paulo, du musst diese Komposition finden. Es sind nur noch wenige Tage bis zu unserem Festeggiamento Segreto und ich muss das Ganze noch für den Sixtinischen Chor umschreiben.“

      „Aber, Giuseppe, wir haben doch Hunderte von Kompositionen. Muss es denn ausgerechnet diese sein? Schriftstücke, die zu ihrer Zeit vom Papst mit dem Bann belegt wurden sind äußerst schwer zugänglich. Ich muss das ganze Bücherregal an der östlichen Wand abtragen, um an die dahinterliegende Geheimkammer zu gelangen. Und ich weiß nicht einmal, wo ich den richtigen Schlüssel auftreiben kann.“

      „Ich habe den Schlüssel. Der Kämmerer des Papstes hat ihn mir gegeben.“

      „Maledizione! Wenn das der Papst erfährt, dann wehe uns.“

      „Für unsere Rituale müssen wir schon etwas riskieren.“

      „Du spinnst ja. Willst du den Papst einladen?“

      „Warum nicht?“

      „Giuseppe, hast du Gras genommen?“

      „Gras werde ich nehmen, wenn sie endlich auf dem Altar ausgestreckt liegt.“

      „Wozu brauchst du denn diese vermaledeite Komposition?“

      „Diese Musik wird uns in Ekstase versetzen. Und die Ekstase ist das Sine qua non für die jungfräuliche Hochzeit mit dem Teufel.

      „Wer ist diesmal der Teufel, du?“

      „Ich wünsche mir nichts sehnlicher. Aber du weißt ja, die Gemeinschaft entscheidet. “

      „Ich begreife nicht, was es mit dieser Musik auf sich hat, warum sie zur Ekstase führen soll.“

      „Weil darin das Ewig Weibliche verherrlicht wird, aber nicht die Mater Immaculata, sondern die entjungferte Maria.“

      „Du glaubst also nicht an die unbefleckte Empfängnis?“

      „Es steht nichts davon in der Bibel. Das Dogma hat Pio Nono erlassen. Er wollte durch die Unversehrtheit Marias die Erbsünde von der Kirche fernhalten.“

      „Heute bist du richtig bösartig.“

      „Sagen wir es so: viele von uns wissen nicht, dass das Böse unmöglich verbannt werden kann. Der Teufel steht uns Priestern auf die Stirn geschrieben seit Kain seinen Bruder erschlagen hat. Der Herr hat Luzifer verstoßen, damit er ihn auf dem Schlachtfeld der menschlichen Seelen bekämpfen kann. Unsere Gläubigen sind aber zu schwach, um dem Bösen zu widerstehen. Ihnen muss die Angst vor dem Teufel eingeimpft werden. Sie werden sich gerne von ihren Sünden freikaufen. Ein goldiges Geschäft, mein Lieber. Was wäre die katholische Kirche ohne den Herrn der Finsternis?“

      „Glaubst du wirklich, dass wir Kardinäle den Teufel in uns tragen?“

      „Ich meine, wir sollten uns nicht schämen und ihn annehmen, so wie Adam die verbotene Frucht aus der Hand Evas angenommen hat. Wir müssen die Weiblichkeit, die sich bei der Erschaffung des Menschen gegen uns versündigt hat, bestrafen und unterdrücken. Sie ist die Verkörperung des Bösen.“

      „Du machst mir Angst, Giuseppe, wirklich.“

      „Ich werde dir die Beichte abnehmen, damit du deine Seele erleichtern kannst.“

      Ich konnte mich vor Entsetzen kaum auf den Beinen halten. Paulina bemerkte, dass ich taumelte und hielt mich fest. Sie flüsterte in mein Ohr.

      „Professor, können Sie den Wortwechsel verstehen?“

      „Nur zu gut. Ich spreche italienisch, weil ich mit italienischen Forschern zusammenarbeite. Ich wollte, ich hätte nichts verstanden. Es ist kaum zu glauben, was ich höre. Einfach schrecklich. Paulina, Sie brauchen mir nicht zu sagen, wer auf dem Altar dem Teufel geopfert werden soll. Ich habe begriffen. Um welche Komposition handelt es sich denn?“

      „Ich weiß es nicht. Hören wir weiter.“

      Monsignore Canonico war aufgestanden und grübelte in der Tasche unter seiner Soutane. Er hielt einen schwarzen Schlüssel in der