José Luis de la Cuadra

Eine Faust-Sinfonie


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Sie sind nach Jahreszahl geordnet. Die Komposition findest du unter dem Jahr 1870. In diesem Jahr hat Pius das Werk mit einer päpstlichen Bulle verdammt. Die Partitur trägt die Jahreszahl 1857. Obwohl es sich nicht um das Original handelt, wurde der Abdruck von Franz Liszt persönlich signiert. Ich gehe davon aus, dass er mit der Schrift bei Pio Nono war. Wahrscheinlich hatte der Komponist Zweifel an der Lauterkeit seiner Musik. Ich weiß nicht, ob der Papst die Partitur in den Index verbotener Kompositionen aufgenommen hat. Jedenfalls wurde das Werk zu Zeiten Liszts in Rom nie aufgeführt.“

      „Wie, hast du gesagt, heißt das Werk?“

      „Chorus Mysticus, das Alternativ-Finale der Faust-Sinfonie. Die Apotheose der weiblichen Sinnlichkeit. Ein teuflisches Werk. Es zeigt die verwerflichen Charakterzüge des Komponisten. Er war besessen von Weibern, betete sie an und ließ sich zur Sühne die priesterlichen Weihen geben.“

      „Und in deiner Logik war seine Stirne von Satan gezeichnet.“

      „Du sagst es.“

      Verzweifelt blickte ich Paulina an.

      „Ich muss hier raus, bitte.“

      Die Kurtisane schien mein Entsetzen zu spüren. Sie ergriff meine Hand und führte mich behutsam zur Wendeltreppe zurück. Als sei der Teufel persönlich anwesend stolperte ich, als wir den Gewölbegang erreichten, über eine Erhebung im Boden und schlug gegen einen Kandelaber. Er fiel krachend herunter.

      In diesem Augenblick glitt ein eisernes Tor von der Decke und versperrte den Weg. Offenbar war ein Sicherheitsalarm ausgelöst worden. Die zwei Kardinäle stürmten aus dem Archivraum, polterten die Wendeltreppe empor und blieben vor uns stehen.

      „Nanu, die Hure mit einem Freier. Was treibst du hier, Paulina. Du hast heute keinen Dienst, soviel ich weiß. Bianca ist im Plan eingetragen.“

      Das Gesicht von Kardinal Canonico verfinsterte sich, als er mich mit seinen Augen musterte. Dann wandte er sich wieder der Kurtisane zu.

      „Du weißt, dass es streng untersagt ist, diese Räume mit weltlichen Sündern zu betreten. Ich werde es dem Generalvikar melden müssen. Wie viele Peitschenhiebe hast du für dieses Vergehen verdient?“

      „Zehn? Fünfzehn?“ Die Stimme Paulinas war nur noch ein Säuseln.

      „Fünfundzwanzig, meine Liebe! Melde dich morgen im Vikariat.“

      „Zu Diensten, Eminenz.“

      Paulina wollte mich wegziehen, als der Kardinal mich am Ärmel packte.

      „Der Ausgang bleibt versperrt, bis wir wissen, wer dieser Herr ist. Er scheint kein Römer zu sein. Wie heißen Sie?“

      „Professor Hannes Georg.“

      „Interessant. Welches ist denn ihr Gebiet, Herr Professor? Erforschen Sie das Wesen der Begierde?“

       Paulina stellte sich schützend vor mich.

      „Er ist unschuldig, Monsignore, ich habe ihn verführt.“

      „Ist ja dein Beruf. Aber wir haben mit dir einen Vertrag abgeschlossen. Du hast eine kirchliche Anstellung und einen guten Lohn. Dein Arbeitsbereich betrifft ausschließlich die Bedienung der Kardinäle. Schon vergessen?“

      „Ich bitte um Vergebung, Euer Heiligkeit. Es kommt nicht wieder vor.“

      „Das will ich hoffen. Und nun raus hier. Und vergiss den Peitschentermin nicht. Ihnen, Professor, rate ich gründlich zu vergessen, wo Sie heute waren. Die Arme des Vatikans sind lang und ich möchte Ihnen nicht wünschen, sich mit dem Bischof von Rom anzulegen.“

      Kardinal Canonico drückte auf einen Knopf in einer Vertiefung neben dem Eisentor. Sogleich begann sich die Absperrung zu heben und wir eilten rasch nach oben. Meine Knie zitterten.

      Als wir vor dem Vatikan standen, fanden wir keine Worte. Wir starrten auf den beinahe leeren Petersplatz. Die Dunkelheit war hereingebrochen und Laternen kämpften vergeblich gegen die Finsternis. Paulina fasste sich zuerst.

      „Es tut mir leid, Professor. Ich habe Sie in eine unangenehme Situation gebracht. Für mich ist es nicht schlimm. Das Spiel mit der Peitsche gehört zu unserer Arbeit. Die Ordensbrüder lieben es. Es gibt ihnen Macht über uns. Einige ziehen es vor, von uns Kurtisanen selbst gegeißelt zu werden. Der Schmerz, wissen Sie, er hilft vielen Gottesmännern über das Leid hinwegzusehen, das sie über die Gläubigen bringen. Busse für die Kirche, sozusagen. Auch Kardinäle fürchten das Wort Gottes. Sie haben es ja gehört. Die Angst ist die Waffe der Kirche. Sie hält die Institutionen am Leben, macht sie reich.“

      „Sie tragen keine Schuld, Paulina. Ich wollte es ja, wegen der Novizin. Jetzt bin ich alarmiert. Jemand muss sie warnen.“

      „Sie weiß von dem Vorhaben der Jesuitenbrüder.“

      „Sie weiß es?“

      „Ihr Glaube an die Kraft des Guten ist so groß, dass sie überzeugt ist, dem Bösen widerstehen zu können. Evi ist so beseelt von Jesus Christus, dass sie ihr Leben für ihn geben würde.“

      „Aber doch nicht für den Teufel“.

       Hast du noch immer etwas gegen mich?

       Du bist das Krebsgeschwür der Menschheit.

       Und doch brauchen mich alle.

       Ich könnte auf dich verzichten.

       Wer hat dich denn in die Kellergewölbe geführt?

       Paulina.

       Bist du sicher?

       Ich sehne mich nach der Novizin.

       Wer hat das Begehren in dir geweckt?

       Du?

       Wer sonst?

      Paulina zupfte mich am Arm.

      „Professor, geht es Ihnen gut? Sprechen Sie mit jemandem?“

       „Ich ... weiß nicht, ich meine ..., nein, ich glaube nicht.“

      „Hören Sie, ich fühle mich in Ihrer Schuld. Ich möchte das Ihnen Widerfahrene gutmachen, Ihnen Zärtlichkeit geben, damit Sie sich entspannen können. Ich lade Sie ein, die Nacht bei mir zu verbringen. Sie haben gehört, ich habe keinen Dienst. Wir können auch das Peitschenspiel machen, wenn Sie wollen. Vielleicht hilft Ihnen der Schmerz, die Verirrungen der Kirche leichter zu ertragen.“

      Sie nahm mich am Arm und ich wehrte mich nicht.

      7

      Ich bin ein Teil des Teils, der anfangs alles war, ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebar ...

      (MEPHISTOPHELES, Faust: Der Tragödie erster Teil)

       Am nächsten Morgen eilte ich zu meiner Pension. Mein Rücken schmerzte von den Peitschenhieben. Ich musste Paulina Recht geben. Der Schmerz hatte nicht nur die Spannung gelöst und das Entsetzen erträglich gemacht, sondern auch meine Schuldgefühle gegenüber meiner Familie gelindert. Was mich erstaunte war die Tatsache, dass mir die Schmerzorgie inneren Frieden gebracht hatte. Ich musste sogar ein gewisses Verständnis für das Treiben der Teufelskardinäle feststellen. Das Peitschenspiel, es war kein Spiel, es war das Verlangen gequälter Seelen. Es war ein Instrument des Satans, um sich Zugang zu diesen Seelen zu verschaffen. Es löste neue Ängste aus und neues Verlangen. Paulina war genügend erfahren und einfühlsam gewesen, mich vor weiteren Exzessen zu bewahren. Am Ende waren wir erschöpft und zufrieden nebeneinander gelegen. Sie hatte meine Hand in die ihre geschlossen und gesagt:

      „Danke, Professor, dass ich Sie in dieses abscheuliche Geheimnis einweihen durfte. Ich weiß nicht, ob Sie den Mut haben, etwas dagegen zu unternehmen, ob es Ihnen möglich ist, den Verlauf der Dinge zu ändern.“

      Das wusste ich natürlich auch nicht. Zudem beschlichen mich immer mehr Zweifel an meinem Bewusstseinszustand. Hatte der Alkohol meine Wahrnehmung getrübt? Die Vorstellung