José Luis de la Cuadra

Eine Faust-Sinfonie


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Sie würde mir durch das Telefon hindurch den Kopf abreißen. Meinen Psychiater konsultieren, den ich während mehrerer Monate aufgesucht hatte? Er würde mich nur fragen, ob ich meine Tabletten nahm.

      Ich musste erst mal ausschlafen. Morgen würde ich meine Situation überdenken.

      Das Auditorium war schon fast menschenleer, als ich mich auf den Weg zu meiner Pension in der Nähe der Spanischen Treppe machte. Eine Frühjahrsbrise strich durch die Gassen und kühlte meinen Kopf. Ich schöpfte Hoffnung.

      4

      Auch muss ich, wenn die Nacht sich niedersenkt, mich ängstlich auf das Lager strecken; auch da wird keine Rast geschenkt, mich werden wilde Träume schrecken.

       (FAUST, Faust: Der Tragödie erster Teil)

      Teufelsquinten prasselten wie Hagelkörner auf mich herunter. Mein Leib lag auf der Streckbank eines finsteren Gewölbekellers, nackt. Eine Gruppe Jesuitenpriester stand mit Fackeln und Prügeln in den Händen um mich herum. Ein Folterknecht drehte am Streckrad. Ich kannte ihn. Es war der Jesuit von der Taverne, Monsignore Diabelli. Er lächelte verächtlich, während er das Rad immer weiter drehte und mein Körper zu knirschen begann. Der Schmerz durchfuhr meine Wirbelsäule als würde sie mit einem Messer aufgeschlitzt. Die Arme zerrten an den Schultergelenken und drohten sie auszurenken. Ich schrie und brachte nur noch ein Krächzen hervor. Mein Körper wand sich in seinem Schweiß hin und her, obwohl jede Bewegung die Qual verstärkte.

      Ein grober Schlächter führte eine Frau in das Verließ und warf sie vor die Streckbank. Er befahl ihr, sich auszuziehen, und als sie sich widersetzte, schlug er mit einem Knüppel auf sie ein. Zwei Folterknechte ergriffen sie, rissen ihr die Kleider vom Leib und setzten sie mitten auf meinen überstreckten Leib. Ich stöhnte auf. Mein Körper schien unter dem Gewicht zu bersten. Ihr Gesicht war aufgedunsen und aus den geschwollenen Lidern flossen Tränen. Ich spürte die warmen Tropfen auf meine Brust fallen. Durch den stickigen Dunst des Kerkers hindurch konnte ich erahnen, dass es sich um die Kurtisane aus der Taverne handelte.

      „Fick ihn! Los, fick ihn, Schlampe!“

      „Bitte, nicht ihn.“

      „Warum nicht ihn?“

      „Er sucht etwas anderes.“

      „Es interessiert uns nicht, was der Mistkerl sucht. Gott steht hinter uns. Weißt du nicht, wer wir sind? Dass uns der Glaube führt? Wer sich nicht unterwirft, wird in der Hölle schmoren. Wer nicht nach den Gesetzen Gottes lebt, ist des Teufels.“

      „Ist es ein Gebot Gottes, was ihr von mir verlangt?“

      „Es dient der Reinigung deiner Seele, du Luder. Es ist der Ablass deiner Sünden, ein Opfer für diesen verlorenen Sohn hier. Los schon!“

      Die Priester schlugen wieder auf sie ein und der Jesuit am Rad drehte weiter. Die Kurtisane brach auf mir zusammen und stürzte auf meine Brust. Es war nicht mein geschundener Leib sondern das Leiden der Frau, das mich beinahe in den Wahnsinn trieb. Ihre Lippen prallten auf meinen Mund und ich sah in ihre weit aufgerissenen Augen. Entsetzen lag in ihnen. Dann küsste sie mich und sog den letzten Atem aus meiner Lunge. In einer verzweifelten Aufwallung meiner Kräfte schrie ich: „Teufel, hilf mir!“

       Nanu?

       Befreie mich aus den Klauen Gottes.

       Das hör’ ich gern.

      In diesem Augenblick spürte ich, wie die Kurtisane mir durch ihren zitternden Mund den Atem zurückgab, mir über die Stirne strich und sanft von meinem Leib glitt. Diabelli lächelte und drehte das Streckrad zurück.

      Ich drohte vom Foltertisch zu fallen und klammerte mich mit den befreiten Händen an die Unterlage. Sie war weich, wie eine Matratze, nein, es war eine Matratze. Ich setzte mich auf und

      erkannte, dass ich mich im Zimmer meiner Pension befand. Um mich herum war alles schwarz. Nur ein scheuer Lichtschein entwich dem Schlüsselloch der Türe. Im Gang knirschten Schritte, die sich langsam entfernten. Dann war es still, totenstill.

      Erschöpft wischte ich mir den Schweiß aus dem Gesicht. Der Albtraum hatte mich ausgezehrt und mein Atem beruhigte sich nur langsam.

      War es möglich, dass ich nach dem Teufel geschrien hatte? War ich so verzweifelt, dass ich mich den Kräften der Hölle zuwandte, einen Packt mit dem Teufel suchte? So tief war ich also gefallen. Marthe, verzeih mir den Schmerz, den ich dir zufüge. Sonja und Tobias, verzeiht, was ich euch antue. Agathe, du hattest Recht, als du mich vor diesem Schritt warntest.

      Schuldgefühle nagten an meinem Bewusstsein. Ein riesiger Schraubstock drückte auf meine Rippen. Tosender Lärm umklammerte mein Gehör, wurde lauter und lauter. Ich griff in die Schublade des Nachttisches und entnahm ihr das Klappmesser, welches ich auf meine Reise mitgenommen hatte. Ich hielt es fest umklammert in meiner Faust. Dann schlug ich mit beiden Armen gegen die Wand. Was hatte der Teufel gesagt? Er könne mich zu Lust und Sinnlichkeit führen, zu genussvollem Leben? War das die Erlösung? Wo war er den, zum Teufel?

       Ich bin da, wo ich dich haben wollte.

       Ich wollte niemals so tief sinken.

       Beinahe habe ich Mitleid mit dir.

       Ich sehne mich nach Liebe.

       Stehe zu Diensten.

       Nach der reinen Liebe meine ich.

       Ich kann dir geben, was du willst, aber ich empfehle dir eine

       Liebe, die du auch sinnlich spüren kannst, die nicht ganz so rein

       ist, dass sie Vater Gott gefällt.

       Stimmt es, dass im Vatikan die Hurerei betrieben wird?

       So steht es doch im alten Testament, Hesekiel 23 und so.

       Ich kann das mit meinem Verstand nicht fassen.

       Ja, dein Verstand ist klein, du großer Wissenschaftler.

      Ich öffnete das Klappmesser und richtete die Klinge gegen meine Brust.

       Nicht doch! Du bist noch nicht reif für die Hölle.

      Ich spürte die Spitze in meiner Haut. Musste man reif sein für die Hölle? Meine Hand zitterte. Das Messer entglitt ihr und fiel zu Boden. Erschöpft ließ ich mich zurück auf das Bett sinken. Ich war nicht mutig genug, mir das Leben zu nehmen. Es war nicht die Hölle, die ich fürchtete, nein, es war der Himmel, dem ich misstraute. Was auch auf mich zukommen würde, ich musste den Weg gehen, zu dem ich mich entschlossen hatte, auch wenn ich gezwungen war, dem Pfad des Teufels zu folgen.

      Ich fiel in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

      Am nächsten Morgen begab ich mich nach unten zum Frühstück. Als ich die Eingangshalle durchquerte, sah ich ihn sofort. Monsignore Diabelli saß in einer Ecke und grinste mich an.

      „Guten morgen, Herr Professor. Sie sehen blass aus. Haben Sie nicht gut geschlafen?“

      Ich brauchte einen Moment der Besinnung und hielt meine Hände vor das Gesicht. Ein Gedankenblitz durchzuckte mich und ich sah den Folterknecht an seinem Hebelrad vor meinem inneren Auge. Schon wieder drängte kalter Schweiß aus meinen Poren.

      „Guten morgen, ja ..., nein, ich habe nicht gut geschlafen.“

      Ich sah den Priester lange an. Suchte ich seine Hörner?

      „Bitte setzen Sie sich zu mir. Ich möchte auf meinen Vorschlag zurückkommen.“

      War da ein hämisches Grinsen?

      „Ich wollte eigentlich frühstücken.“

      „Gut, dann frühstücken wir doch zusammen. Ich habe Hunger.“

      Was blieb mir anderes übrig, als mich zu fügen? Wir gingen in den Frühstücksraum. Der Kellner brachte ein