Anna J. Heeb

Sieben Farben


Скачать книгу

mpty-line/>

      Impressum

      Sieben Farben

      Anna J. Heeb

      Copyright: © 2013 Anna J. Heeb

      published by: epubli GmbH, Berlin

      www.epubli.de

      ISBN 978-3-8442-6273-5

      Kapitel 1: Entdeckungen

      Das Große Museum

      Silberne Schneeflocken tanzten wie Wattebällchen durch die Straßen der kleinen Stadt. Die dunklen Dächer der dicht an dicht gedrängten Häuser trugen dicke, weiße Schneemützen und die Schornsteine hüllten sich in schwere Rauchmatten, die vom eisigen Wind immer wieder zerrissen wurden. Die Sonne hatte sich hinter einer dichten Wolkendecke versteckt, als würde sie ahnen, welches Unheil sich unter ihr zusammenbraute.

      Ein kleiner, untersetzter Mann eilte schnaubend und kopfschüttelnd über den großen, verschneiten Museumsplatz inmitten der Stadt. Er hatte den Kragen seines dunklen Wintermantels hochgeschlagen und seine schwarze Mütze weit ins Gesicht gezogen. Tiefe Besorgnis lag in seinem Gesicht. Seine Augen zuckten unruhig. Leise vor sich hinmurmelnd ging er an einer Gruppe von etwa zwanzig Kindern vorbei, die laut kichernd wild durcheinanderliefen. Er nahm das fröhliche Treiben kaum wahr. So sehr war er in seine sorgenvollen Gedanken vertieft, dass er beinahe einen kleinen Jungen umgestoßen hätte, der ihm auf der Flucht vor einem beachtlichen Schneeball eines Kameraden vor die Füße gelaufen war.

      „Wenn nicht schnell etwas passiert, endet das in einer Katastrophe“, presste der Mann zwischen seinen Zähnen hervor. Mit schnellen Schritten steuerte er schließlich auf das riesige Gebäude auf der anderen Seite des Platzes zu. Während er durch den Eingang eilte, fiel sein Blick auf ein kleines Zierbäumchen, das davor stand. Es war aschfahl. Er stutzte. „Das kann doch nicht sein“, murmelte er entsetzt, bevor er im Gebäude verschwand.

      Von dieser Erscheinung gänzlich unbeeindruckt schaute Frau Schmitt auf das wilde Treiben ihrer Schüler. Sie war der Inbegriff einer alten Klassenlehrerin mit ihrer Nickelbrille, die immer ziemlich weit vorne auf ihrer spitzen Nase saß.

      Mit hoher, fester Stimme sagte sie schließlich: „Sammelt Euch bitte!“ Nach einer kurzen Pause, die sie dazu nutzte, ihre Schützlinge noch einmal eingehend zu mustern, zeigte sie auf das große Gebäude auf der anderen Seite des Platzes und fuhr fort. „Da sind wir. Das Große Museum. Bitte denkt daran, was wir besprochen haben. Bleibt alle zusammen, seid leise und fasst nichts an.“ Und als hätte sie die bevorstehenden Ereignisse kommen gesehen, fügte sie hinzu: „Und bedenkt, wenn Ihr Euch die Bilder anschaut: Die Kunst ist das Tor zu einer anderen Welt.“

      Lara stand neben Frau Schmitt und schaute dem kleinen, untersetzten Mann nach, der leise murmelnd an ihr vorbeigegangen war. Sein Verhalten kam ihr seltsam vor. Doch dann schüttelte sie den Kopf, zog die Schultern hoch und blickte mit strahlenden Augen über den Platz. Auf seiner gegenüberliegenden Seite lag ein imposanter, verschnörkelter Sandsteinbau mit einer großen, steinernen Treppe, auf der der abgetretene Schnee schmutzig grau schimmerte. Viele geschwungene Stufen führten hinauf zu einem riesigen, rötlichen Torbogen, der von zwei schwarzen eben so riesigen Türflügeln verschlossen wurde. In einem der Türflügel war eine kleinere Tür eingelassen. Darüber stand in goldenen Lettern „EINGANG“. Das war es also, das Große Museum.

      Lara ahnte natürlich noch nicht, wie sehr dieser Museumsbesuch ihr Leben verändern würde. Aber für sie war er sehr wichtig. Schon lange hatte sie sich darauf gefreut.

      Lara liebte Gemälde. Ihre Mutter war deshalb schon öfter mit ihr in kleineren Museen gewesen, die es in der Umgebung reichlich gab. Das Mädchen konnte sich nicht satt sehen an den vielen wunderschönen Kunstwerken und wollte bei diesen Ausflügen gar nicht mehr nach Hause. Doch das Große Museum hatte sie noch nie gesehen. Dabei hing dort ein Bild, das ihr Vater vor langer Zeit gemalt hatte. Sie wollte es unbedingt einmal sehen. Ihrer Mutter war es dort aber immer zu voll. Deshalb dachte sie sich jedes Mal eine neue Ausrede aus, um mit ihr nicht hingehen zu müssen.

      Endlich fand die Schulklasse zu einer Ordnung und setzte sich knirschend auf der verharschten Schneeschicht in Bewegung. Vorneweg ging Frau Schmitt mit energischem Schritt und leicht verrutschtem Dutt, gefolgt von einem Lindwurm aus zwei Reihen Schülern, die sich jeweils paarweise an den Händen hielten. Ein sehr farbenfroher Lindwurm war das. Die vielen bunten Mützen, Handschuhe, Schultaschen und Jacken hoben sich deutlich gegen den grauweißen, winterlichen Museumsplatz ab. Den Abschluss bildete Herr Krenzler, der Referendar, ein unscheinbarer, schlanker Mann mit graumelierter Kurzhaarfrisur und Hornbrille. Er wirkte immer etwas unbeholfen, war aber wegen seiner freundlichen Art beliebt bei den Kindern.

      Lara ging wie immer neben Peter. Er war ihr bester Freund seit sie denken konnte. Peter war sehr zierlich für seine elf Jahre und konnte nicht so schnell laufen wie die anderen Kinder. Aber er war der beste Kumpel, den man haben konnte. Leider war er manchmal sehr traurig. Vielleicht lag das daran, dass Peter seinen Vater nur sehr selten sah, weil er so oft auf Dienstreise war. Lara musste daran denken, wie sie seinen Vater einmal – das einzige Mal – gesehen hatte. Es war an Peters vorletztem Geburtstag gewesen. Da kam sein Vater ausnahmsweise einmal etwas früher nach Hause, wirkte aber sehr gehetzt in seinem verknitterten schwarzen Anzug. Er grüßte die Kindergeburtstagsgesellschaft knapp, legte Peter ein riesiges, wunderschön eingepacktes Geschenk auf den Gabentisch und verschwand dann wieder in seinem häuslichen Arbeitszimmer. Einige Minuten später hörte man ihn telefonieren. Er schien vollkommen vergessen zu haben, warum er früher nach Hause gekommen war. Peter wirkte danach sehr geknickt. Seine Mutter versuchte den missglückten Auftritt des Vaters durch noch lustigere Spiele wieder wett zu machen. Aber so richtig leuchteten Peters Augen an diesem Tag nicht mehr. Das taten sie sowieso eher selten.

      Bei Lara war das anders. Und wenn sie doch einmal traurig war, erzählte sie das einfach ihrer Mutter oder ihrem Großvater und dann ging es ihr schon wieder besser. Ihrem Vater aber konnte sie nichts erzählen. Er war verschwunden, als sie zwei Jahre alt gewesen war. Damals war er mit ihrem Großvater in Südfrankreich unterwegs gewesen. Mehr wusste sie leider nicht. Ihr Großvater sprach niemals darüber und ihre Mutter wollte sie nicht fragen. Ihre Erinnerungen an ihren Vater waren nur schemenhaft. Eigentlich kannte sie ihn nur von Fotos, aber sie vermisste ihn sehr. Oft stellte sie sich vor, wie es wohl wäre, wenn er plötzlich wiederkäme. Sie glaubte fest daran, dass das eines Tages auch passieren würde.

      Da stieß einer von Laras Mitschülern sie aus Versehen an und riss sie aus ihren Gedanken. Sie zupfte an ihrer bunten Wollmütze. Peter musste so etwas nie tragen. Er hatte immer schön weiche und kuschelig warme Sachen von irgendwelchen Edelmarken in ausgesuchten und aufeinander abgestimmten, gedeckten Farben der Saison. Das konnte sich ihre Mutter nicht leisten. Ihr Vater war ja Künstler gewesen, wie ihr Großvater. Leider hatte er damit aber kaum Geld verdient und deshalb auch nie etwas zurückgelegt. Ihre Mutter war Sekretärin in einem großen Betrieb. Lara hatte sie im letzten Winter einmal dorthin begleitet. Ihre Mutter arbeitete in einem klobigen Büroturm, der etwas außerhalb der kleinen Stadt in den Himmel ragte. Das dunkelverspiegelte Gebäude stand auf einem großen, grauen Platz. Auf der angrenzenden, wie ein Bach gewundenen Straße rasten unablässig Autos an ihm vorbei. Lara erinnerte sich, dass damals ein paar schwarze Krähen um den Turm gekreist waren, wodurch er noch bedrohlicher gewirkt hatte. Ein kalter Schauder lief ihr über den Rücken, als sie daran dachte. Zu allem Übel war der Chef ihrer Mutter auch noch ein ziemlicher Grießkram. Er blickte immer aus stechenden, meist etwas rotunterlaufenen Augen auf die Welt. Ihre Mutter hatte einmal erzählt, dass er eigentlich ganz nett sei, nur eben oft überarbeitet.

      „Warum arbeitet er denn so viel?“ hatte Lara sie da gefragt.

      „Na, weil er viel Geld verdienen will“, hatte die Mutter erklärt.

      „Und was macht er damit?“ hatte Lara daraufhin wissen wollen. Die Mutter hatte nur mit den Schultern gezuckt und geantwortet: „Tja, ich schätze, er gibt es aus.“

      Lara hatte aber nicht locker gelassen. „Wofür denn?“

      „Ach je, Kind! Das weiß ich doch nicht. Ich schätze Autos, Häuser, die Alimente seiner zwei Ex-Frauen. Was halt so alles anfällt.“

      „Mama,