Anna J. Heeb

Sieben Farben


Скачать книгу

war.“

      „Und warum ist er das jetzt nicht mehr?“

      Da hatte die Mutter geschmunzelt. „Ich glaube, weil er zu viel gearbeitet hat und keine Zeit für sie hatte.“

      „Und macht ihn denn die ganze Geldverdienerei glücklich?“

      Da hatte die Mutter Lara verwundert angeschaut. Nachdenklich hatte sie dann entgegnet: „Nein, ich glaube nicht.“

      ‚Mhm, klingt irgendwie nicht sinnvoll’, hatte sich Lara da nur gedacht.

      Naja, jedenfalls da ihre Mutter nicht so unglaublich wichtig wie Peters Vater war und sie deshalb nicht so viel Geld hatten, musste sie jeden Winter mit dieser hässlichen, knallbunten Mütze herumlaufen. Und wenn sie mal kaputtging, strickte Mama einfach eine neue, in knallbunt, natürlich...

      Das blöde Ding kratzte ganz schön, aber ohne bekam man unangenehm kalte Ohren. Laras dunkle Haare lugten vorne aus der Mütze heraus. Hinten liefen sie zu einem Pferdeschwanz zusammen. Ihre Hände waren ziemlich kalt, obwohl sie in dicken Fäustlingen steckten. Die hatte sie von ihrer Cousine geerbt. Sie waren noch etwas groß. Außerdem hatten sie an einer Stelle schon ein kleines Loch. Lara hatte das ihrer Mutter aber noch nicht erzählt, sonst bekäme sie wohlmöglich auch noch knallbunte Handschuhe und die violette Farbe der Fäustlinge gefiel ihr. Also lieber etwas frieren. Ihre Wangen leuchteten rot. Es war wirklich ein eisiger Wintertag. Ihr Atem gerann zu kleinen, weißen Dampfwolken, sobald er ihre Nase verlassen hatte.

      Langsam kroch der Kinderlindwurm die Treppe zum Museum hinauf und schob sich kompakt durch die Eingangstür. Lara bestaunte die hübschen Bäumchen neben dem Eingang des Museums. Sie trugen kleine Schneemützen. Nur ein Bäumchen sah ganz traurig aus. Seine kleinen Blätter waren aschfahl mit einem leichten Lilastich. Lara stutzte. So etwas hatte sie noch nie gesehen.

      Kaum war der Kinderlindwurm vollständig in die Eingangshalle eingetreten, löste er sich auch schon wieder auf und verwandelte sich erneut in ein buntes Kinderknäuel. Die leise plappernden Kinderstimmen hallten in dem großen Raum wider, hin und wieder übertönt von einem lauteren Gekicher oder einem piepsenden Mobiltelefon. Auf beides reagierte Frau Schmitt prompt mit einem strengen Blick über ihre Nickelbrille. Schon senkte sich der Lärmpegel der ganzen Gruppe etwas. Doch sobald sich die Lehrerin wieder wegdrehte, stieg er erneut an. ‚Also, so einen Radau hätte es früher nicht gegeben’, dachte sie. Stimmt, Mobiltelefone gab es zu ihrer Schulzeit noch nicht…

      Als Lara drinnen angekommen war, atmete sie tief durch. Wärme durchströmte sie augenblicklich. Die weißen Atemnebelwolken waren verschwunden. Sie begann sich umzusehen und staunte nicht schlecht. Der Museumsbesuch versprach spannend zu werden und irgendwie kam ihr die Halle vertraut vor, obwohl sie hier ja noch nie gewesen war.

      Über Lara wölbte sich eine riesige, rötliche Kuppel, die an manchen Stellen mit goldenen Blättchen verziert war. „Das nennt man Mosaik“, hörte sie Sarah hinter sich flüstern, ein zierliches Mädchen, mit pechschwarzen Zöpfen. Sarah wusste immer alles. Jedenfalls fast immer…

      Die Kuppel wurde von vier doppelten Säulen getragen, die in die vier Himmelsrichtungen deuteten. In goldenen, verschnörkelten Buchstaben stand oben an jeder Doppelsäule auf einer steinernen Platte, die wie eine Schriftrolle aus Pergament aussah, jeweils eine Himmelsrichtung. Demnach lag der Eingang zwischen Norden und Westen. Die Säulen bestanden in der Mitte aus grauweißem, und unten und oben aus rotem Marmor. Die Wände zwischen den Säulen waren aus dunkelgelbem Stein. Sie waren mit blumenförmigen Einlegearbeiten aus schwarzem und grauem Marmor sowie kleinen Spiegeln verziert. Die ganze Eingangshalle erinnerte eher an einen Tempel als an den Vorraum eines städtischen Museums. Auf der dem Eingang gegenüberliegenden Seite führte eine ausladende Treppe mit schneeweißen Stufen hinauf zu den Ausstellungssälen. Sie teilte sich. Ein Gang bog nach rechts ab, einer nach links und einer führte geradeaus. Neben dem Eingang war ein Glashäuschen. Darin saß eine Dame mit grüner Uniform und ziemlich roten Lippen. Frau Schmitt wandte sich ihr zu, um die Eintrittskarten zu besorgen. Nach kurzer Zeit kam die Lehrerin wieder zurück und rief mit hoher Stimme: „So, Ihr Lieben! Jetzt gehen wir erstmal zur Garderobe. Folgt mir bitte.“

      Als Lara sich zum Gehen umdrehte, zuckte sie vor Schreck zusammen. Sie sah zwei düstere Gestalten am Ende der Treppe. Die Gestalten trugen tiefschwarze Mäntel, die bis zum Boden reichten. Die Kapuzen hatten sie ins Gesicht gezogen. Mit grimmiger Miene schauten sie in die Vorhalle. Ihre gelben, habichtartigen Augen schienen einen förmlich zu durchbohren. Dann drehten sich die Gestalten um und gingen mit steifem Schritt in einen der Ausstellungssäle. Lara wandte den Kopf, um ihnen nachzuschauen. Niemand sonst schien sie bemerkt zu haben. Das Mädchen wunderte sich. Was waren das für Kreaturen und was wollten sie hier? Das war doch alles sehr merkwürdig.

      Das kunterbunte Kinderknäuel trabte hinter Frau Schmitt leise lärmend her. Sie gingen zu einem Gang, der dem Kassenglaskasten gegenüber lag. Am Ende des Ganges war ein großer Raum. Darüber stand „GARDEROBE – SCHULKLASSEN“. Im Raum gab es mehrere Reihen mit langen hakenbewehrten Kleiderstangen. Die Kinder legten ihre dicken Wintersachen ab und hängten die Jacken auf die Haken, nicht ohne dies mit entsprechender Lautstärke zu kommentieren. Es folgte wieder ein strenger Blick von Frau Schmitt und der Knäuel bewegte sich zurück in die Haupthalle. Herr Krenzler folgte den Kindern mit ungelenkem Schritt.

      Die alte Lehrerin erhob erneut ihre Stimme. Etwas heißer sagte sie: „So, wir teilen uns jetzt auf. Heute Morgen habe ich Euch doch rote und lila Aufkleber verteilt. Die holt Ihr jetzt mal hervor und klebt sie Euch gut sichtbar auf Eure Pullover. Die lila Gruppe geht mit Herrn Krenzler, die rote Gruppe kommt mit mir mit.“

      Lara und Peter freuten sich. Sie waren beide in der lila Gruppe. Das bedeutete, sie gehörten zu den harmloseren Schülern und es hieß, der Museumsrundgang würde spaßig werden.

      In der Ausstellung

      „Also, los geht es. Wir nehmen als erstes den mittleren Gang.“ Herr Krenzler winkte etwas ungelenk mit seinen dünnen Armen, um seine zehn Schützlinge zum Aufbruch zu motivieren. Beinahe hätte er sich dabei mit der einen Hand, die beim mit-den-Armen-Wedeln etwas zu nah am Kopf vorbeistreifte, die Brille von der Nase gestoßen. Im letzten Moment fing er sie aber mit der anderen Hand noch auf und rückte sie hektisch wieder zurecht. Dabei wippte er wie eine Gummipuppe hin und her. Dann schaute er die Kinder etwas verlegen an. Er drehte sich um, stolperte dabei fast über seinen linken Fuß und setzte sich schließlich in Richtung des ersten Ausstellungsraums in Bewegung.

      Die Kinder folgten ihm kichernd die Treppe hinauf. Peter schnaufte leise. Er litt unter Asthma und bekam deshalb oft schlecht Luft. Endlich waren sie oben. Ein weiter Gang öffnete sich vor ihnen. Rechts und links gingen mehrere Türen ab, die jeweils in einen Ausstellungssaal führten. Manche Räume hatten hinten Durchgänge zu zusätzlichen Räume. Es war gar nicht so leicht, sich hier nicht zu verlaufen.

      Herr Krenzler führte die Gruppe in den ersten rechten Ausstellungssaal. Direkt neben dem Durchgang stand eine Wachsfigur, ein zauseliger Typ mit wuscheligem, verfilztem, dunklem Haar, breiten Augenbrauen, einer dicken Nase, einem unrasierten Kinn und einem dicken Fellumhang. Lara blieb am Eingang des Saales stehen und musste lachen. „Der sieht ja wie mein Onkel Gustav aus“, flüsterte sie Peter zu. Der grinste zurück. Ja, die Ähnlichkeit zu ihrem Onkel war unverkennbar. Wenngleich er diesen noch nie mit einem Fellumhang bekleidet gesehen hatte. Aber die Frisur und der missmutige Blick stimmten schon überein.

      Plötzlich hörte Lara, wie jemand mit schweren, energischen Schritten hinter ihr den Gang entlang lief. Sie drehte sich um und sah zwei Museumsmitarbeiter, die mit besorgtem Gesichtsausdruck vorbeieilten. Der ältere von beiden – es war der kleine, untersetzte Mann, der an ihr draußen vorbeigegangen war – murmelte in Richtung des zweiten, jüngeren Mannes: „So etwas habe ich in den 35 Jahren meiner Tätigkeit noch nie gesehen. Und glaub mir, ich hab schon viel gesehen. Wenn das so weiter geht, haben wir wirklich ein Problem.“

      Der andere Mann nickte vielsagend. Hinter den beiden kam plötzlich noch ein weiterer Museumsmitarbeiter schnaufend herbeigelaufen. „Warten Sie bitte, meine Herrn!“ rief er sehr aufgeregt. Seine Wangen leuchteten von der ungewohnten Anstrengung ganz rot.