Hölle, die er je durchlebt hatte und die ihn sofort wieder in seinen Grundfesten erschütterten.
Der Schmerz war das Ventil, um zu verhindern, dass er wahnsinnig wurde oder gar selbst verging, doch an der grausamen Realität des Todes konnte er nichts ändern.
Das Gehirn realisierte die Situation und begann allmählich wieder zu funktionieren, das Herz jedoch war danach nicht mehr dasselbe und für die Ewigkeit gezeichnet.
Da Jorik durch den Verlust Darias all dies bereits wusste, als das kleine Mädchen auf seinem Arm starb, war er sich absolut nicht sicher, ob er, trotz der Tatsache, dass sie ja eigentlich eine Fremde für ihn war, diesen furchtbaren Schmerz ein zweites Mal würde überstehen können.
Doch mitten in seiner Verzweiflung erschien ihm ein wahrhaftiger Engel, an den er sich lehnen, mit dem er seinen Schmerz teilen und an dem er sich letztlich sogar aufrichten konnte.
Und dieser Engel hieß...Marivar!
Im ersten Moment hatte er gar nicht wahrgenommen, dass sie sich vor ihn gekniet hatte, ihre Arme um ihn legte und ihn sanft zu sich zog.
Erst als er in seine Tränen hinein spürte, dass dort ein Körper, eine Schulter war, an die er sich lehnen konnte, die mit ihm fühlte, die mit ihm weinte, die ihm aber dennoch Kraft gab, es besser durchzustehen, erkannte er Marivar vor sich. Doch sie wollte keine Worte und keine Erklärungen, stattdessen verständigten sie sich nur mit Blicken und ließen ihrem gemeinsamen Schmerz freien Lauf.
Bis eine weitere Person zu ihnen trat und Marivar ernste Worte sagte, die er nicht verstand, aber bewirkten, dass sie sich von ihm, wenn auch sichtlich widerwillig, löste und in den Katakomben des Stützpunktes verschwand.
Jorik schaute ihr wehmütig nach, versank für kurze Zeit nochmals in tiefe Trauer, dann erhob auch er sich und folgte ihr.
Im Inneren des Stützpunktes nahm man ihm das Baby schnell ab und brachte es in die Krankenstation. Ob man es der Mutter in ihrem labilen Zustand schon zu diesem Zeitpunkt gezeigt hatte, konnte er nicht sagen, aber er glaubte nicht daran.
Im ersten Moment zog es auch ihn in die Krankenstation, weil er Sehnsucht nach Marivar hatte, doch dann entschloss er sich anders und ging in sein Quartier, wo er erst einmal duschte.
Dabei reifte in ihm schnell der Entschluss, dass er auch bei der Beerdigung des kleinen Mädchens anwesend sein wollte. Da er wusste, dass die Toten sehr schnell begraben wurden, um das Risiko von Infektionen und Krankheiten zu vermindern, beeilte er sich.
In der Krankenstation traf er jedoch nur auf eine der Schwestern, die ihm sagte, dass der Sarg schon auf dem Weg in die Totenhalle war. Die Frage, ob Marivar ebenfalls dort sein würde, bejahte sie.
Außer der Mutter, die in einem Rollstuhl saß, sichtbar verzweifelte Tränen geweint hatte und jetzt schluchzend ins Leere starrte, war da noch eine weitere Schwester, die den Rollstuhl schob, zwei ältere Männer, die als Grabwärter fungierten und gerade den Sarg in die Erde hinabließen und der Priester, der aus dem heiligen Buch zitierte. Jorik fiel auf, das es nicht Pater Matu war, der normalerweise diese Aufgabe übernahm, jetzt aber scheinbar verhindert war.
Und Marivar war da. Doch sie hatte ihren Kopf gesenkt und schien so sehr in Gedanken, dass er sie nicht stören wollte. Also stellte er sich ein paar Schritte entfernt neben sie.
Irgendwann dann hob sie ihren Kopf und erkannte ihn. Als sich ihre Blicke trafen, konnte er trotz der Trauer, die auch sie umfing, ein Leuchten erkennen, dass ihm zeigte, dass sie erfreut war, ihn zu sehen. Dennoch blieb er, wo er war und folgte der Zeremonie, obwohl er große Sehnsucht danach hatte, ihre Nähe zu spüren. Er nahm sich vor, sie am Ende der Beerdigung in die Krankenstation zurück zu begleiten.
Dann aber bat der Priester zum Gebet und alle senkten ihre Köpfe. Als er den Blick wieder anhob, musste er erschrocken feststellen, dass Marivar nicht mehr da war. Offensichtlich hatte sie die Situation genutzt, um unbemerkt zu gehen.
Sofort verspürte Jorik Trauer darüber und eine immer größer werdende Sehnsucht nach ihr. Dem Drang, frühzeitig zu gehen und sie zu suchen, konnte er jedoch widerstehen, denn der Wunsch, dem kleinen Mädchen die letzte Ehre zu erweisen, war vordringlicher.
Danach aber würde ihn sein Weg direkt zu ihr führen, denn ihm war mehr als klargeworden, dass er sich nicht mehr zurückhalten konnte und wollte.
VII
Als sie die Ostküste Poremiens vor Augen hatten, begann Lexis bereits wieder am Horizont zu versinken. So weit im Norden waren die Tage ohnehin weitaus kürzer als im Zentrum des Planeten.
Mittlerweile hatten Rimbo und Kendig die Aufgaben getauscht und sie rauschten mit unvermindert hoher Geschwindigkeit in Küstennähe Richtung Ajuminaja.
Als sie die größte Stadt Poremiens an der Ostküste schließlich erreicht hatten, war die Sonne jedoch auch hier schon gesunken und die Abenddämmerung hatte Einzug gehalten.
„Was gibt es?“ fragte Shamos. Rimbo hatte ihn vor einer Minute über Bordlautsprecher ins Cockpit gerufen.
Nach ihrem Gespräch in der Eiswüste hatten sich nach und nach alle anderen wieder in den hinteren Aufenthaltsraum des Schiffes verzogen und die beiden jungen Männer allein gelassen. Sogar Malawi und Idis waren gegangen und in ihren Gesichtern konnte man erkennen, dass sie hofften, noch mehr über ihre Reise von Shamos und Matu zu erfahren.
Als der Wissenschaftler jetzt aber in das Cockpit kam, hatte er alle anderen wieder mit im Schlepptau und der Raum war sofort wieder ziemlich überfüllt.
Rimbo und Kendig warfen sich einen mürrischen Blick zu, weil sich so lange Zeit niemand hatte blicken lassen und sie jetzt alle, wie die Geier, wieder auf der Stange hockten, weil endlich etwas passierte.
Dann sagte Rimbo. „Wir sind etwa acht Meilen vor Ajuminaja! Sie müssen uns sagen, wo wir anlegen sollen! Wir kennen uns hier nicht aus und wissen nicht, wo die Bibliothek zu finden ist!“
Shamos lächelte und nickte, doch bevor er antworten konnte, meinte Pater Matu. „Die Bibliothek liegt im äußersten westlichen Bezirk. Wir können nicht direkt dorthin. Aber wir können am Hafen vorbei den Imlo-Fluss stromaufwärts fahren bis wir zu den Hubschleusen...kommen!“ Er stoppte ab, weil ihn die anderen anschauten und Shamos ihn sogar anstarrte. „Was?“ fragte er daher.
„Woher weißt du das?“ Shamos war sichtlich überrascht.
„Warum nicht?“ erwiderte der Pater aber mit einem lockeren Schulterzucken. „Ich habe hier mal eine Zeitlang gelebt, da prägen sich die Örtlichkeiten eben ein!“
Allen anderen war das Erklärung genug, nur Shamos schien noch ein wenig unzufrieden, blieb jedoch stumm.
Rimbo hingegen nickte. „Also den Fluss stromaufwärts bis zu...?“
„…den Hubschleusen!“ vervollständigte Matu. „Es gibt da eine Schleusenanlage mit Hebewerk. Der Fluss kommt aus dem nördlichen Hochland und besitzt eine beachtliche Geschwindigkeit, wenn er sich der Küste nähert. Früher gab es dort einen Wasserfall. Er war wohl der eigentliche Grund, warum man hier dann eine Siedlung gebaut hat, die sich später zu dieser Millionenmetropole entwickelte. Um den Fluss besser als Transportweg nutzen zu können und die Rohstoffe im Norden effektiver zu fördern, hat man ihn gestaut und dieses Hebewerk mit den Schleusen gebaut!“ Alle Anwesenden hörten ihm aufmerksam zu und nickten teils beeindruckt. „Ich nehme jedoch nicht an, dass das Werk noch intakt ist, sonst könnten wir bis auf Wurfweite an die Bibliothek heranfahren. Doch auch wenn es noch funktionstüchtig wäre, sollten wir es wohl nicht ausprobieren!“
„Warum?“ fragte Esha.
„Weil es sicher zu viel Aufsehen erregen würde!“ erwiderte der Pater ungerührt. „Die Stadt wird wie alle anderen Städte auch, randvoll mit Monstern sein!“
Für einen Moment trat eine bedrückende Stille ein, weil alle wussten, dass Matu Recht hatte und sie sich plötzlich wieder bewusst zu werden schienen, dass ihr Vorhaben absolut lebensgefährlich