Matthias Schroder

Faber


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nicht beides zugleich; Ordnung und Unordnung, Perfektion und Verwesung, Übersichtlichkeit und Labyrinth? Entstehen und Niedergang? Wie soll sich der Teufel da orientieren, wenn die Ordnung selbst sich in das Chaos mischt und ihm ihren Anstrich gibt?

      Gott: Glaub mir, die Menschen suchen zwar die Enge. Aber ohne diese hat es noch nie das Kreative gegeben. Und ich weiß, wovon ich dabei spreche. Sie suchen diese nur um sich zu entlasten, um frei für das Kommende und bisweilen Überraschende zu sein. Jede Seele will das Neue. Sie braucht es sogar dort, wo du ihr vorwirfst, sie entdecke nur das Gewohnte. Wie soll sie denn das Gewohnte entdecken, wenn sie es nicht in der Vielfalt sucht? Die Welt bleibt den Menschen stets offen und lebenswert.

      Teufel: Du bittest mich, dir zu glauben? Nein, keine Seele vermag ihrer Enge zu entkommen; und hätte sie alle Zeit der Welt. Sie würde noch in tausend Jahren ihre Schuhe auf die gewohnte Art binden und ihr Lieblingsessen so zubereitet wissen wollen, wie es die Mutter einst zubereitet hat. Es sind doch allesamt Seelen, die du nach eben dem Prinzip geschaffen hast, nach dem du auch die Welt ordnetest: die Wiederholung des Immergleichen, Regelmäßigen, Zyklischen, Berechenbaren. Für den Reichtum, von dem du redest, sind die Menschen blind. Du hast den Bauplan der Welt in die Menschen kopiert und ihnen ein Leben nach Gleichmaß beschert. Und obendrauf hast du den Menschen noch die Mathematik gegeben, die ihnen die Regelmäßigkeit mehr als bewusst macht; sie drängt sie ihm geradezu auf. Wie soll die Seele etwas anderes wollen, als eben die langweilig das scheinlebendige Tote gebärende Welt, in der sie sich selbst voll Bewunderung wiederzufinden sucht?

      Gott: Lass uns eine offene Probe wagen. Ein Mensch allein wird reichen, um dir den Gegenbeweis zu erbringen.

      Teufel: Du schlägst vor, ich solle mich an einer Seele vergreifen und sie in die Versuchung der Unsterblichkeit stürzen? Ist es nicht normalerweise an mir, derartig unerhörte Vorschläge zu unterbreiten?

      Gott: Wer von uns führt hier die hochmütige Rede? Ich habe großes Vertrauen in das Entstehen. Kein Mensch wird einen Zustand nur aus Gewohnheit so schön finden, dass er in ihm verweilen möchte. Kein Mensch wird immer wieder nur das in seinem Ich beschlossene Gleiche zu verwirklichen suchen, wenn die Welt sich ändert.

      Teufel: Wann habe ich die Wette gewonnen?

      Gott: Wenn du mir einen beliebigen Menschen zeigst, der sich in mindestens drei Leben nicht wirklich ändert.

      Teufel: Wen soll ich nehmen? – Kennst du den Faber?

      Gott: Den Professor?

      Teufel: Meinen Knecht!

      Gott: Der dient dir wirklich auf besondere Weise. Soweit ich weiß, ist der Mann vollkommen dahin; die Ehe und die Gesundheit am Ende; er ist schwerer Alkoholiker und klammert sich im Grunde nur noch ans Leben, indem er in Nischen forscht, in denen keiner sonst arbeiten will. Er ist einer der modernen Alchemisten, die die Schöpfung nicht in Gold, sondern in Tod verwandeln. Und wenn ich mich recht entsinne, war er einer der ersten, die der Frage nachgegangen sind, wie man den Tod den Menschen durch die Luft bringen kann.

      Teufel: Und er war erfolgreich damit.

      Gott: Zumindest in der Entwicklung! Über den Erfolg beim Nutzen lässt sich trefflich streiten! Warum willst du gerade ihn? Weil er schon am Ende ist?

      Teufel: Er ist eine Herausforderung und ein eindeutiger Fall. Er hat nicht mehr lange. Er weiß das und wird daher empfänglich für jedes überirdische Angebot sein. Er hat sich schon immer leicht verführen lassen und gerade meine Gegenwart wird ihm Hoffnung geben, weil er sicher sein kann, dass er vor mir keine Buße wird tun müssen. Eine verlorene Seele, die eine neue Chance gebrauchen kann, und eine gebildete Seele dazu!

      Gott: Und leider auch eine schon sehr alte Seele, die ihre Routinen hat.

      Teufel: Also bitte! Zu leicht sollst du es nicht haben! Soll ich mir ein Kind nehmen, das sich noch in alle Himmelsrichtungen formen und führen lässt? Das kann für uns kaum zweckmäßig sein. Außerdem ...

      Gott: Ich gebe dir Recht ... außerdem muss es sich um eine eigenständige Seele handeln, die von alleine läuft. Wir dürfen nicht mehr als bloße Zuschauer sein. Womit sich eine weitere wichtige Frage ergibt!

      Teufel: Genau! Wie weit dürfen wir einwirken? Du hast den Lauf der Welt in der Hand und hast Einfluss auf die Geister. Ich kann die Seele dirigieren und durch Versuchung wie Unheil auf sie einwirken. Mit alledem müssen wir uns in diesem Fall zurückhalten.

      Gott: So sei es, dass wir dem Geist nur Möglichkeiten und Wahlfreiheiten bieten, damit er zeigen kann, welchen Pfad er einschlägt: Folgt er dem Neuen oder geht er immer in dieselbe gewohnte Richtung. Pass auf, dass du dabei nicht wieder zu sehr als Versucher erscheinst …

      Teufel: … und du nicht als einer dieser überpersönlichen Zwänge mit Namen wie Gewohnheit, Sitte, Tradition, Wahrheit oder gar Religion! So sei es! Die Wette ...

      Gott: ...gilt!

      Teufel: Wie gut doch meine Ideen in seine und seine in meine greifen. Von Zeit zu Zeit seh ich den alten Gott gerne. Er gibt mir so ein angenehmes Gefühl von Weite, von Ferne.

      Vorspiel - anbrechender Frühling im Jahre 1914

      Faber hatte seit langem eine immer klarer werdende Vorstellung vom Ende des Lebens, denn er bewegte sich ohne Unterlass darauf zu. Es war nicht der Tod, den er dabei immer klarer vor Augen sah. Es war das wachsende Nichts, das umso deutlichere Konturen bekam, je undeutlicher die noch beschreitbaren Wege des eigenen Daseins wurden. Dieses Nichts hat viele Namen. Manche nennen es das Aus, manche bezeichnen es als Hoffnungslosigkeit, manche als Sackgasse, manche als das Unten. Er hatte seine ganz eigene Vorstellung davon. Für ihn war es das fortdauernde Überschreiten einer Grenze, hinter der es kein Zurück mehr gab. Eine Grenze, die er jeden Tag ein bisschen mehr überschritt; eine Grenze, hinter der er sich selber einschloss, indem er immer mehr Türen hinter sich zufallen ließ und bei denen er sich kaum noch erinnern konnte, was sie eigentlich bargen. Es war die Grenze, hinter der sich das Leben auf die Erhaltung von Vitalfunktionen und einem Rest-Ich trotz immer widerwärtiger werdender Zwänge und Gewohnheiten reduzierte.

      Einige Türen waren bereits für immer verschlossen. Seine Ehe war Geschichte. Er wusste nicht mehr, ob es der Alkohol war, der die Ehe zerstört hatte oder ob es der Alkohol war, mit dessen Hilfe er seine gescheiterte Ehe und damit einen Teil seines eigenen Unvermögens hinnehmen und ertragen wollte. Eine Tatsache war aber ihr Ende, das sich vor Langem schon als ein beharrlich ausbreitendes Schweigen andeutete und die unverrückbaren Regularien sichtbar werden ließ, von denen die Ehe seit langem bestimmt wurde. Er hatte nie die Kraft gehabt, gegen die Schatten zu kämpfen, die auf dem Alltag lagen, und die Ehe zu retten. Er hatte es geschehen lassen, dass seine Frau und später auch seine zwei Kinder sich immer weiter von ihm entfernten, bis die Ferne zuerst eine emotionale, später dann auch eine räumliche wurde. Er hatte nichts unternommen, als er ahnte, wie es um seine Familie stand, weil er es nicht wirklich wollte. Der Weg seiner Profession war einfacher, gradliniger, erhebender. Erfüllen konnte ihn nur seine Berufung, die er in der Wissenschaft fand; dies glaubte er jedenfalls eine Zeit lang, bis er merkte, dass auch sein Berufsleben unter der Last der neuentstandenen Leere zu leiden begann. Zwar verlor er nicht auch den Blick für sein berufliches Dasein gänzlich, aber mehr und mehr sein Ansehen unter den Kollegen, denen sein erlöschender Ehrgeiz und sein vermindertes Berufsethos nicht verborgen blieben. Zwar übernahm er noch Aufgaben und Forschungsaufträge, aber es waren mehr und mehr solche, die auch seine Studenten hätten bewältigen können. Stabilität hatte seine Karriere noch, aber sie war einem Schwung zu verdanken, der aus einer Zeit höherer Reputation entstammte. Immer weiter begab er sich selbst in Spezialbereiche, von denen er wusste, dass er in ihnen nicht brillieren musste, um erfolgreich zu sein, sondern in denen er aufgrund ihrer geringen Popularität zu den wenigen Sonderlingen und geduldeten Geringgeachteten gehörte. Damit trug er noch den Titel Ehemann und Professor der Chemie, aber diese fanden in der Wirklichkeit